Menschen

Das Gemeindeblatt

Die Birnbaumer-Nüsselschweif ist ja Vorsitzende des kirchlichen Müttervereins und in dieser Eigenschaft bei allen kirchlichen Veranstaltungen und Obliegenheiten omnipräsent. Ob es nun darum geht, daß für eine Glocke oder Orgel gesammelt werden muß, ob es darum geht, daß die Pfarrbücherei neu bestückt werden muß oder ob es darum geht irgendwas an den Haustüren zu sammeln oder das Gemeindeblättchen zu verteilen: Die Birnbaumer-Nüsselschweif hat irgendetwas damit zu tun.

Das Verteilen des Gemeindeheftes hat sie schon vor Jahren aufgegeben, seit ihr die dicken Knie so weh tun. Jetzt ist sie nur noch Leiterin der Verteilstelle und das steht auch in jedem Heft hinten schön fett und breit drin.

Allerdings ist jetzt eine ältere Frau gestorben und hat eine Lücke im ausgeklügelten Verteilsystem hinterlassen.
Das rief die Birnbaumer-Nüsselschweif gleich in zweierlei Hinsicht auf den Plan.

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Als sie erfuhr, daß der in München lebende Sohn der alten Dame seine Mutter durch uns bestatten lassen will, hatte die Birnbaumer bei der Gemüsefrau vor versammelter Kundschaft verkündet, sie lasse sich auch durch ihre abgrundtiefe Abneigung gegen uns nicht davon abbringen, an der Trauerfeier teilzunehmen. „Da ist Wasser dicker als Wein! Und wenn die mich fesseln und schreiend aus ihrem Bestattungshaus raustragen lassen, ich habe als Verteilleiterin und Vorsitzende des Mütterkreises ja sozusagen eine höhere amtliche Pflicht, zu dieser Beerdigung hinzugehen.“

Kein Mensch bei uns wäre auf die Idee gekommen, die Birnbaumer rauszuwerfen. Warum auch? Die ist sowieso überall präsent und wollte man ihr aus dem Weg gehen, müsste man ganzjährig zu Hause bleiben. Trotzdem zaubert es ein Schmunzeln auf meine Lippen, als die Gemüsefrau mir davon erzählt und ich mir vorstelle, wie Sandy und Frau Büser eine lange Stange auf ihren Schultern tragen, an der unten die gefesstelte Birnbaumer-Nüsselschweif hängt.

Nun muß ich vorausschicken, daß die Birnbaumer es sich inzwischen mit allen Blumenläden und Gärtnern des Ortes verdorben hat. Am letzten Muttertag hatte sie sich je eine Plakattafel auf Brust und Rücken gehängt und vor den verschiedenen Blumenläden mit dem Spruch: „Blumen sind Vergewaltigung!“ gegen die Kommerzialisierung des Muttertages und die Herabwürdigung der Frau durch billige Blumengeschenke im Dienste der Blumen-Aasgeier protestiert.

Wir sind ja auch Blumenmörder und lassen irgendeinem Gemüse seine Geschlechtsteile abschneiden, um die dann zu bunten Gestecken zusammenstellen zu lassen und auf die Särge zu legen. Brutal!

Aber nun hat die Birnbaumer-Nüsselschweif natürlich äußerst schlechte Karten, als sie anlässlich der Bestattung jener alten Dame ein kleines Gesteck kaufen wollte. In jedem Blumenladen im Umkreis wurde sie abgewiesen.

Als einzige Lösung blieb ihr die Gemüsefrau, die donnerstags immer zwei bis drei Eimer frische Blumen aus Holland bekommt und vor ihrem Laden stehen hat. Davon kaufte die Birnbaumer-Nüsselschweif dann einige und bastelte sich in mühsamer Klein- und Hausarbeit ein Gesteck zusammen.

Doch als sie mit diesem in der Hand dann am Tag der Trauerfeier unser Haus betrat, mußte ich unwillkürlich glucksend lachen und nur ein schnelles Beiseitetreten in den Hintergrund bewahrte mich vor einem Lachanfall.
Offenbar hatte die Birnbaumer daheim nicht mehr die Proportionen eines Sarges vor Augen gehabt und ein Gesteckchen von fast miniaturisierten Ausmaßen zusammengedübelt.
So als Biedermeiersträußchen wäre das noch durchgegangen, aber als sie es dann nach einem beifallheischenden langsamen Gang durch die ganze gefüllte Trauerhalle vorne auf den Sarg gestellt hatte, wirkte es vor dem großen Gesteck der Familie eher lächerlich, sofern man es überhaupt wahrnahm.

Einmal mehr wollte sich die Birnbaumer anschließend in die erste Reihe zu den Angehörigen setzen, doch Manni machte von der Seitentür aus, wo er stets Wache schiebt, nur einen kurzen angedeuteten Schritt in ihre Richtung und grunzte kurz, da drehte sich die Birnbaumer mit zusammengepressten Lippen um und nahm in der zweiten Reihe Platz. „Sowas mir! Wo ich doch wer bin!“ soll sie später am Kiosk ihre Beschwerde vorgetragen haben.
Außerdem werde sie bei der Innung alle Blumenhändler und Gärtner melden. Wer in Deutschland ein Geschäft habe, der sei verpflichtet es jeden Tag aufzumachen und jeden zu bedienen, der die öffentlichen Geschäftsräume betrete. Das sei schließlich Gesetz.

Nachdem ihr nun eine fleissige Verteilerin des Gemeindeblattes ausgefallen war, mußte die Birnbaumer-Nüsselschweif zwangsläufig für ein paar Wochen selbst die Verteilung in dem vakanten Bezirk übernehmen.
Wieder einmal nutzte sie die Gelegenheit, die Hefte jedesmal beim Übergeben umzudrehen und auf die Rückseite zu tippen: „Da nicht hingehen, wenn mal was ist!“
Denn seit Jahren machen wir hinten auf dem Gemeindeblatt Werbung. Ganzseitig.
Genauergesagt existiert das Gemeindeblatt überhaupt nur, weil wir es bezahlen. Die Gemeinde liefert ihre Listen, Gottesdienstpläne und Texte bei unserer Druckerei ab und die druckt das dann, heftet es und liefert die benötigten rund 1.000 Exemplare direkt an das Pfarrbüro. Die Rechnung bekommen wir. Das ist eben so etwas wie eine Spende und der Pfarrer ist uns sehr dankbar dafür, denn ohne uns gäbe es das Heft schon seit sieben Jahren nicht mehr.
Das weiß aber außer dem Pfarrer, der Pfarrsekretärin, der Druckerei und uns niemand und das ist auch gut so.

Erstaunlicherweise und völlig überraschend wurde dann am nächsten Sonntag eine mir völlig unbekannte Frau Irmtraud Trautwein als neue Leiterin der Gemeindeblatt-Verteilstelle vorgestellt.

Hmmm, was ist denn da bloß passiert? Hatte die Birnbaumer-Nüsselschweif keine Lust mehr? Oder liegt es daran, daß ich den Pfarrer, natürlich gaaaanz zufällig, mal am Telefon hatte?

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(©si)