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Das Hexenhaus -V-

Fassen wir doch noch einmal kurz zusammen: Elfriede Würmling war Miteigentümerin des von ihr gemeinsam mit ihrer Schwester Henriette bewohnten Hauses und hatte Bruno Haberland kennen und lieben gelernt. Als dieser jedoch seine Gefühle für Henriette entdeckt hatte, kam es in dem so genannten Hexenhaus zu einem dramatischen Treppensturz, an dem Elfriede verstarb. Weil diese aber eine ganze Weile vorher mir gegenüber seltsame Andeutungen gemacht hatte, sprach ich mit dem Staatsanwalt Dr. Rüpel darüber, jedoch nichts geschah. Mehr als ein komisches Gefühl und eine Ahnung hatte ich allerdings auch nicht zu bieten und da Elfriedes Leichnam bereits eingeäschert war, als ich überhaupt von ihrem Tod erfahren hatte, war da sicher auch nichts mehr nachzuweisen.

Nur im Fernsehen wittern der Polizeiarzt oder irgendein Kommissar immer gleich eine Straftat, in Wirklichkeit sieht die Welt doch ein bißchen anders aus. Bös gesagt: Wenn da kein Messer in der Brust steckt, wird bei alten Leuten sowieso fast immer ’natürliche Todesursache‘ angekreuzt. Noch böser: Weil oft keine anständige Leichenschau gemacht wird, entdeckt der Arzt noch nicht einmal das Messer im Rücken…

Warum aber soll man alte Menschen umbringen? Die sterben doch sowieso bald und da könnte man doch einfach abwarten.
Aber was, wenn der Alte angekündigt hat, sein Testament zu ändern, überhaupt eins zu machen oder eine bestimmte Person zu enterben?

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Man kann sich, wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, viele Gründe einfallen lassen, warum alte Leute doch noch um die Ecke gebracht werden.

Bei Elfriede ist das für mich sonnenklar. Zwischen den Schwestern hatte sich ein abgrundtiefer Hass entwickelt, der sich in vielen kleinen Sticheleien entlud. (Heute sagt man Mobbing und ich bin ja davon überzeugt, daß ich nur deshalb noch nie gemobbt worden bin, weil es das Wort einfach nicht gab, heute wagt das keiner mehr.)

Im Laufe der Zeit habe ich immer mehr erfahren und es ist schon unglaublich was die beiden Schwestern sich gegenseitig angetan haben sollen. Und das alles vor dem Hintergrund, daß der geliebte Bruno, der ursprünglich bei Elfriede eingezogen war, dann sein Herz an Henriette verlor und eine Etage höher zog.

In Elfriedes Abwesenheit sollen sich, so erzählte es mir der Kirchenmessner, Henriette und Bruno Zugang zu Elfriedes Wohnung im Erdgeschoss verschafft haben und dort einen Hering mit einer Heftzwecke hinten an den Schlafzimmerschrank geheftet haben. Elfriede habe daraufhin beinahe zwei Monate lang unter dem sich vom Hering her entwickelnden üblen Gestank gelitten und es sei ihr lange nicht möglich gewesen, die Quelle des Geruchs zu finden. Als sie dann endlich auf der Leiter stehend mit einer Taschenlampe hinter den Schrank leuchtete, fanden sich nur noch Gräten und übelriechender Schleim.
Das Meiste vom Hering hatte sich schwerkraftbedingt nach unten begeben und es blieb Elfriede nichts anderes übrig, als den Schrank komplett auszuräumen und von der Wand zu rücken.

Aber auch Elfriede war nicht ohne und wußte sich zu wehren, so wußte sie beispielsweise, daß Bruno gegen Katzenhaare allergisch ist und schaffte sich ebenso unverzüglich wie natürlich auch rein zufällig eine Katze aus dem Tierheim an. Forthin soll Bruno mehrfach am Tag auf den Einsatz eines Tascheninhalators angewiesen gewesen sein. Die Gemüsefrau erzählte mir in diesem Zusammenhang unverblümt und als sei es eine erwiesene Tatsache: „…und dann hat die Henriette ja die Katze vergiftet, also nur so betäubt, und der Bruno hat sie in die Sickergrube geworfen. Ist ja alles nur ein Unfall gewesen angeblich, nur fragt sich, wie die Katze, nachdem die in die Jauchegrube gefallen war, den Eisendeckel zumachen konnte, ein komischer Unfall eben, so wie bei der Elfriede…“

Also munkeln da noch mehr Leute davon, daß bei Elfriedes Tod nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war.
Aber so ein Gemunkel muß gar nichts bedeuten. Ich erinnere mich an eine Geschichte, die sich unweit von hier in einer 2.000-Seelen-Gemeinde zugetragen hat. Als zum Ende des letzten Krieges die Amerikaner näherrückten, hing eines Morgens die aufgeknüpfte Leiche des zwangsweise eingesetzten braunen Bürgermeisters und Nazieinpeitschers an der Linde neben dem Dorfbrunnen. Bis heute wird offiziell von einem Selbstmord gesprochen und so steht es auch in der unlängst erschienenen Kreischronik. Über den Umstand, daß die Hände des dicken Braunen auf dem Rücken mit einer Schnur zusammengebunden haben, über diesen Umstand wird nur gemunkelt. Eine Untersuchung jedenfalls hat es nie gegeben.

Und eine solche Untersuchung scheint es auch bei Elfriedes Treppensturz nicht zu geben, jedenfalls habe ich weder etwas davon gehört oder gelesen, noch etwas davon mitbekommen, aber viel mehr als ein solches Gemunkel hatte ich ja auch nicht zu bieten.

Ich bin kein Herlock Sholmes und kein Dr. Wattestäbchen, habe auch keine blaue Wunderlampe wie der der nie lacht aus der Fernsehsendung CSI und vor allem scheue ich mich, mich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, wie das eben so bei den meisten von uns ist. Im Grunde hatte ich ja schon wesentlich mehr unternommen als die meisten anderen Leute, indem ich mit dem Staatsanwalt über meinen Verdacht gesprochen hatte. Daß eben nichts passierte, ja das muß dann wohl daran liegen, daß an diesem Verdacht entweder nichts dran war oder daß man niemandem etwas nachweisen kann.

Aber ich deutete ja schon an, daß sich das auf einmal schlagartig änderte, als eines Tages Olaf Kröpplinger bei uns in der Halle stand und sagte: „Die Mutti ist tot!“

Eine ganze Weile zuvor hatten wir den alten Herrn Kröpplinger bestattet und in diesem Zusammenhang auch Olaf und seine Mutter kennengelernt. Sandy kam damals mit der abenteuerlichen Geschichte, daß Olafs Zimmer immer noch wie das Zimmer eines kleinen Buben eingerichtet sei und sie den Verdacht hegte, Olaf schlafe im Bett seiner Eltern; und daß, obwohl Olaf bereits Anfang bis Mitte Dreißig ist und eine durchaus anerkannte Stellung beim Wetteramt hat.
Es war wieder die Gemüsefrau, das allwissende Gurkenorakel, die da Licht in die Sache bringen konnte: „Der Olaf ist schon in Ordnung, aber der hat ’nen Hau weg.“
Olaf sei als kleines Kind von seiner Mutter in einer Kunststoffbadewanne gebadet worden und eines Tages beim Abtrocknen und Hochheben von der Mutter ungeschickterweise mit dem Gesäß an ein heißes Ofenrohr gehoben worden. Das Kind habe ganz schrecklich geschrien und fürchterlich ausgesehen. „Der ganze Hintern war verbrannt und verkohlt, der Kleine hat damals mindestens zwei Monate im Krankenhaus gelegen, immer auf dem Bauch. Die Mutter hatte seitdem immer Schuldgefühle und hat den bemuttert wie eine Glucke. Davon kommt sowas!“ Und dann beugt sich die Gemüsefrau über ihre Auslage, die aus unglaublich riesigen, in Bauchnabelhöhe befindlichen Brüsten und einem Berg Sellerie besteht, etwas nach vorne, winke einen heran, schaut sich vorsichtig um, um sicherzustellen, daß niemand zuhört und flüstert in von Ohr zu Ohr breitest vorgetragenem Dialekt, in Wirklichkeit habe die Mutter dem Kleinen ja nicht nur den ‚Arsch‘ angesengt, sondern auch die Lunte…“

Dann nickt sie vielsagend, rollt die Augen und wuchtet ihre sekundären Geschlechtsmerkmale vulgo Euter wieder hinter die Sellerieknollen und tippt mit dem Zeigefinger auf die gespitzten Lippen, was soviel bedeuten soll, daß ich nicht darüber reden soll – mache ich ja auch nicht…

„Och“, sage ich zu Olaf, nehme ihm die Sterbepapiere ab und erkundige mich, was denn mit seiner Mutter gewesen sei.

„Das ist ganz schnell gegangen, die sollte einen Bypass kriegen, die hatte sogar schon den Termin bei Professor Ludewig, der Chef wollte sie nämlich persönlich operieren und gestern ist sie einfach tot umgefallen, in der Küche beim Sellerieschneiden.“

Ich muß mich schnell umdrehen und in meine vorgehaltene Hand husten, zumindest tue ich so, das mit dem Sellerie ist einfach etwas zuviel…

Nein, Olaf ist kein ‚komischer Mann‘, er hat nichts Weibisches oder Merkwürdiges an sich, er ist bloß ein trauriger, einsamer Mann in einem zugeknöpften blauen Popelinemantel und zeigt mir deutlich, wie dankbar er mir ist, daß ich ihn -natürlich nur im übertragenen Sinne- an die Hand nehme und durch die nächsten notwendigen Schritte führe. Er war ja dabei, als für seinen Vater alles ausgesucht worden ist und deshalb geht das dieses Mal auch ziemlich schnell und ohne viele Erklärungen. Am Ende sitzen wir noch bei einer Tasse Kaffee und einem Glas linksdrehendem, stillen Wasser zusammen und ich notiere mir seine Wünsche bezüglich der Traueranzeige. Und erst da, als er mir die Adresse des Trauerhauses noch einmal sagt, wird mir bewußt, daß die Kröpplingers direkt gegenüber vom Hexenhaus der Würmling-Schwestern wohnen. Tja, und genau darauf spreche ich ihn an: „Ach, dann wohnen Sie ja gegenüber vom Hexenhäus’l, nicht wahr?“
Er nickt heftig: „Ja, genau! Bei denen habe ich als kleines Kind immer im Garten gespielt.“

„Die eine Hex‘ ist ja auch vor kurzem gestorben“, sage ich und schreibe weiter an der Vorlage für die Traueranzeige, da fährt es mir wie ein brennender Blitz ins Rückenmark, als Olaf plötzlich sagt: „Ja, die Elfriede ist tot, die hat der neue Mann von der Henny die Treppe runtergestoßen, das habe ich gesehen.“

Ich bin nicht leicht zu beeindrucken und neige auch nicht zu großem Erstaunen, aber in diesem Moment ist mir tatsächlich die Spucke weggeblieben und der Stift aus der Hand gefallen.
„Was? Das haben Sie gesehen?“ frage ich erstaunt und merke, daß mein Herz anfängt, bis zum Hals zu klopfen. Es macht mich mürbe, wie gleichmütig und fast schon gelangweilt Olaf antwortet: „Ja, aber sicher doch. Ich schaue abends immer noch einmal nach dem Regenmesser auf dem Balkon und der geht ja zur Straße raus.“

„Und Sie haben wirklich gesehen, wie die Elfriede die Treppe runtergestoßen wurde?“ frage ich wieder und dieses Mal muß Ungläubigkeit in meiner Stimme gelegen haben.
„Ja, aber sicher doch!“ Es klingt etwas genervt, so wie Olaf das jetzt sagt.

Ich berichte ihm von meinem Verdacht, von Elfriedes Andeutungen und von meinem Besuch beim Staatsanwalt und Olaf nickt gleichmütig.
„Haben Sie das jemandem erzählt? Haben Sie das der Polizei gemeldet?“ frage ich ihn und er zuckt nur mit den Schulter: „Wieso? Die Polizei war doch im Hexenhäus’l, die werden das schon machen.“

Es stellt sich heraus, daß Olaf davon ausgeht, die Polizei wisse schon um die näheren Umstände und daß er nichts weiter unternehmen müsse. „Ich will mich da doch nicht einmischen, die waren immer sehr nett zu mir.“

„Aber wenn Sie doch beobachtet haben, was da passiert ist, dann müssen Sie das doch erzählen.“

„Ich habe gedacht, das weiß doch sowieso jeder und das sei schon längst herausgekommen, die Polizei war doch da.“

„Die haben zwar ermittelt, aber es ist nichts dabei herausgekommen, gar nichts.“

Olaf hebt wieder nur desinteressiert die Schultern und lässt sie wieder sinken. Ich kann es nicht fassen, wie gleichmütig er das alles hinnimmt. Mir schlägt das Herz mittlerweile bis zum Hals und ich bekomme es nicht auf die Reihe, daß ich glaube, einem derben Tötungsdelikt auf der Spur zu sein und alle anderen das praktisch ohne jegliche Erregung, beinahe desinteressiert einfach hinnehmen.

„Herr Kröpplinger“, sage ich zu Olaf, „Sie müssen damit zur Polizei gehen!“

Er schüttelt nur langsam den Kopf und meint: „Ich? Mich geht das alles nichts an.“

Bin ich da wirklich einem Verbrechen auf der Spur? Ich gestehe, ziemlich aufgeregt zu sein und das Bedürfnis zu haben, sofort irgendetwas zu unternehmen. Aber was?
Am Liebsten würde ich Olaf bei seinem blauen Popeline-Gürtel packen und zur nächsten Polizeiwache schleppen.

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(©si)