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Dem bleibt auch nichts erspart

Wenn ich abends noch einmal durchs Haus gehe, schaue ich auch in unsere Trauerhalle und in die Aufbahrungsräume. Chefs sind immer von der Panik getrieben, es könne irgendwo sinnlos Licht brennen. Aber in Wirklichkeit ist das eigentlich mehr nur ein Ritual, ich bin dann beruhigter und sicher, daß alles in Ordnung ist.

Ich nehme mir manchmal die Zeit, lege irgendeine Musik in den CD-Player in der Trauerhalle ein und sitze einfach da und verarbeite die Geschehnisse des Tages.

Heute sitze ich da, höre meinen Beethoven, den muß ich laut hören, damit es richtig klingt und schaue mir die Urne an, die schon für morgen früh da vorne steht.

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Herr Breitscheid war vor sechs Wochen zu mir gekommen, um seine Bestattung zu regeln. Eine Krankheit, von der ich noch nie etwas gehört hatte, die aber mit der Multiplen Sklerose verwandt ist, läßt ihn trotz seiner erst 36 Jahre an seinen Tod denken.
Ein schmaler Mann, dem man ansieht, daß es ihm nicht gut geht. Er möchte alles ganz schlicht haben, nimmt den hellgrauen Sarg und möchte eine Feuerbestattung und daß seine Asche in einen Rufewald kommt.

Während wir so über seinen Unterlagen sitzen, erzählt er mir: „Ich möchte einfach, daß alles geregelt ist, damit meine Frau Silke nicht so viel Mühe und Laufereien hat. Der Arzt sagt, daß es nicht mehr lange dauert, vielleicht 6 Monate, vielleicht noch ein Jahr. Das soll jetzt alles bestellt und bezahlt werden und dann will ich die mir verbleibende Zeit nutzen, um in aller Ruhe von meiner Silke Abschied zu nehmen.“

Mann, was dauert mich der Kerl. Ich will ja nicht immer schreiben, wie sehr mich sowas manchmal berührt, aber der ist doch noch so jung und seine Frau ist noch zwei Jahre jünger… Da muß auch ich immer heftig schlucken. Als Bestatter hast Du ja jeden Tag mit Tod und Trauer zu tun und manche Kollegen sagen, daß sie abends ihr Bestattungshaus zuschließen und dann alles hinter sich lassen. Bloß nichts an sich heranlassen, sonst wirst Du verrückt.
Ich kann das nicht. Die Menschen interessieren mich, ich will wissen, was das für Leute sind, will ihre Schicksale wissen, sonst kann ich gar nicht so individuell auf sie eingehen, wie ich es gerne möchte. Das führt dazu, daß man ganz oft einen dicken Kloß im Hals hat und an manchen Tagen ganz schön am Erzählten zu tragen hat. Sicher, man ist Profi und hat schon vieles gehört. Ein 79jähriger wird respektvoll und gut bestattet, aber sein Tod haut mich nicht um. Wenn aber so ein 36jähriger da vor mir sitzt und darüber spricht, wie er jeden Tag zählt, den er noch leben darf… Mann, Mann, Mann…
Sechs Wochen ist das her.

Jetzt sitze ich in meiner Trauerhalle und vorne steht die weiße Urne auf einem Podest mit rotem Samt. Ich gehe hin und richte die schmale rote Schleife, auf der steht: „Silke Breitscheid 1973-2007“


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Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 25. Februar 2008 | Revision: 28. Mai 2012

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