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Der Blonde mit dem irren Blick -14-

Der Vorhang ging auf, doch die Bühne blieb leer. Zuerst dachte ich an eine, die Dramatik steigernde, Kunstpause. Man lässt das Publikum etwas zappeln und dann, wenn die Unruhe und Erwartungshaltung am größten ist, dann tritt man auf und bekommt besonders viel Applaus.

Doch hier war das anders. Man schaute auf die leere Bühne mit dem Lesepult und den paar wenigen Requisiten und nichts tat sich. Zu allem Überfluss ließ der Techniker auch noch den Spotscheinwerfer suchend über die Bühne huschen.
Ich warf ihm einen bösen Blick zu, das offensichtliche Scheitern des Auftritts musste ja nicht auch noch dramatisiert werden.

So unauffällig wie möglich begaben Frau Oberhammer, die schon Tränen in den Augen hatte, und ich uns hinter die Bühne. Hinten raus, um das Gebäude herum und dann durch den seitlichen Eingang in die Garderobe wollten wir gehen, doch schon auf dem Seitenweg trafen wir auf Hinnerk-Heiner, der nervös eine Zigarette zur Rotglut saugte. Mit seinem irren Blick starrte er uns an und war vor lauter Zorn und Aufgebrachtsein gar nicht in der Lage, irgendetwas zu sagen.
In der Garderobe lief Lizzy Miller, inwzischen vollständig bürgerlich gekleidet auf und ab. „Gut, daß Sie kommen! Wir machen hier keinen Handschlag mehr.“

Ich verdrehte die Augen. „Um Himmels Willen, was ist denn jetzt schon wieder, ihr wolltet doch jetzt weitermachen.“

„Was jetzt schon wieder ist?“ tönte es hinter uns; Hinnerk war eingetreten und stieß den letzten Zigarettenrauch aus den Nasenlöchern aus, was ihm einen sehr gefährlichen Ausdruck verlieh. „Wir haben unsere Kohle noch nicht bekommen. Ohne Moss nix los! Das kennt man ja. Kohle her und wir spielen weiter!“

Lizzy stimmte ihm zu: „Ja, das kennt man ja, da lässt man Künstler von werweißwo kommen und dann heisst es hinterher, es sei nicht genug Geld zusammengekommen und man bekommt dann seine Gage nicht. Wir haben vor der Show schon die ganze Zeit gewartet und da ist schon keiner gekommen und hat uns was gegeben.“

Frau Oberhammer warf mir einen hilflosen Blick zu. Hinnerk hielt die Hand auf. „Los! Kohle her! Sonst wird das hier nix!“

„Was ist denn in der Abendkasse?“ fragte ich Frau Oberhammer und die hob nur hilflos die Schultern. „Gut“, sagte ich, „ich kümmere mich darum und ihr macht euch gefälligst fertig für euren Auftritt!“

Mit diesen Worten verließ ich die Garderobe, lief schnell wieder um das Gebäude herum und erwischte am Eingang glücklicherweise Herrn Zeisig, den pensionierten Sparkassenangestellten, der für die Finanzen des kleinen Kulturrings zuständig war und an diesem Abend die Kasse führte. „Ich brauche jetzt die Gage für die Künstler“, sagte ich ihm und er machte einen spitzen Mund, schob mit dem Zeigefinger seine Brille etwas höher auf die Nase und meinte: „Nur wenn ich eine Quittung bekomme!“

In Windeseile hatte ich ihm eine formlose Quittung über tausend Euro auf eine Visitenkarte geschrieben und nahm ein ganzes Bündel, eilig hingezählter Zehner, Zwanziger und Fünfer, insgesamt genau 1.000 Euro, mit hinter die Bühne.

„Geht doch!“ war alles, was Hinnerk dazu sagte und dann nickte er Lizzy zu, die sich schnell wie der Wind entblätterte, ihre bürgerliche Kleidung achtlos auf den Boden fallen ließ und mir ihren ebenso dürren, wie weißen Körper in voller Schönheit Größe präsentierte. Ruckzuck hatte sie ein rotes Kleid übergeworfen, wohl das Outfit für den zweiten Teil des Programms.
Noch während Frau Oberhammer und ich hinter der Bühne waren, gingen Hinnerk und Lizzy nach vorne und begannen absolut unvermittelt mit dem Fortgang der Show.

„T’schuldigung“, sagte Frau Oberhammer zitternd, „aber ich muss das jetzt mal sagen. Mein Gott, was sind das für kleine Arschlöcher!“

Ich blieb für einige Sekunden nickend stehen, dann nahm ich die Gemütsfrau am Arm und geleitete sie den langen Weg zurück bis in den Saal.

Hinnerk und Lizzy sangen und hatten das Publikum auch gleich wieder für sich erobert. Die beiden waren wirklich gut, das kann man nicht anders sagen.

Nach zwei oder drei Gesangsstücken setzte Hinnerk sich vorne an die Kante der Bühne, ließ die Beine herabbaumeln und die Bühne tauchte ins Dunkle, während nur er spärlich beleuchtet wurde. Lizzy gesellte sich mit einer brennenden Kerze zu ihm und dann las Hinnerk eine von den sehr traurigen Geschichten, die ich geschrieben habe.
Im Publikum herrschte atemlose Stille, nur der ruheständische Altbürgermeister hustete in 5-minütigen Abständen, Staublunge, von den Akten…

Nochmals Musik, Gesang und etwas Tanz. Das war gut so, nach der traurigen Geschichte musste das Publikum, vor lauter Ergriffenheit kaum zu Klatschen gewagt hatte, wieder aufgemuntert und aus der düsteren Stimmung geholt werden.

Das gelang Hinnerk und Lizzy auch sehr gut und am Ende, als der Vorhang endlich fiel, der wirklich letzte Schlussvorhang nach drei Zugaben, musste man einfach sagen, dass die beiden eine grandiose Vorstellung abgeliefert hatten.

Das Publikum klatschte lange, jemand rief ‚Bravo!‘, einige johlten und pfiffen vor Begeisterung.
Frau Oberhammer lächelte selig und strahlte vor Glück.

Hinnerk und Lizzy kamen, während das Publikum teils schon ging, teils noch auf einen Abschiedsschluck blieb, in den Saal, abgeschminkt und normal gekleidet und auch sie strahlten und pulsierten vor lauter Auftrittsadrenalin in ihren Adern.
So als ob nichts gewesen wäre, als ob sie niemals mit Nichtauftreten gedroht hätten, waren sie voller Begeisterung und Nervosität.
Die Techniker packten, wie das bei Profis so ist, recht schnell ihre Sachen zusammen und luden sie in ihren Lieferwagen. „Wie is’n das?“ fragte der Obertechniker: „Gibt’s für die Crew noch ’nen Absacker?“
Sofort waren wir uns alle einig, noch in eine nahegelegene Kneipe zu gehen und den gelungenen Auftritt zu feiern.
Lizzy, Hinnerk, Frau Oberhammer, meine Allerliebste und ich wollten gerade aufbrechen, da stolpert überhastet und mit hochrotem Kopf Addi Wölkers zur Saaltüre herein. Der immer eilige Lokalreporter hechelte: „Wie? Schon aus? Die Jahreshauptversammlung von den Gartenzwergzüchtern hat mich meine letzten Nerven gekostet. Dreimal mussten die neu wählen, weil es Gleichstand gab. Können wir noch schnell ein Foto machen?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, hob er seine Kamera und begann zu fotografieren. Sofort verdüsterte sich Hinnerks Gesicht und er hielt die Linse des Fotoapparates zu: „Wir haben unsere Bühnenkleidung nicht an! Jetzt sind wir bürgerlich unterwegs und so wollen wir nicht fotografiert werden.

Addi Wölkers war irritiert und schaute mich hilfesuchend an. „Addi, lass mal, am Besten gehste mit uns was trinken, wir feiern noch ein bisschen und dann ergibt sich vielleicht noch eine Möglichkeit“, beschwichtigte ich ihn und da Addi immer, wenn es umsonst was abzustauben gibt, der Erste an der vordersten Front der schmarotzenden Lopiefer war, erweiterte er unsere muntere Runde.

Im „Kleinen Stübchen“, einer urgemütlichen Kneipe am Marktplatz wurde noch bis in die frühen Morgenstunden gefeiert. Keiner von uns dachte mehr an die Querelen und Schwierigkeiten, zu sehr waren wir alle aufgeputscht davon, daß der Abend so gut verlaufen war.

Ist doch merkwürdig, wie schnell Zorn und Probleme verfliegen, wenn am Ende ein Erfolg und ein applaudierendes Publikum stehen.
Das kann einem auch den Blick trüben.


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 25. Februar 2014

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comicfreak
10 Jahre zuvor

*zusammenbrech*

Glückauf
10 Jahre zuvor

Du kennst doch jetzt einen Guten Abmahnanwalt (völlig wertfreier oberbegriff). Lass ihn los. Fass. Mach sie fertig. Dreh den Schlüssel. Lass sie bluten.

Christian
10 Jahre zuvor

also dass man während des Aufrtittes bezahlt wird ist mir aber neu^^

Vee
Reply to  Christian
10 Jahre zuvor

Mir auch, ich arbeite in dem Bereich und die Gage gibts danach, nicht davor oder in der Pause.

Robin
10 Jahre zuvor

Ich arbeite auch in dem Bereich – und es ist in meinen Augen absolut üblich vor der Veranstaltung abzurechnen. Ich (freier Techniker) habe auch schon oft genug für die mich buchenden Firmen vor oder während der Veranstaltung abgerechnet. Und auch schon Veranstaltungen beendet, weil das Geld eben nicht auf den Tisch kam.

Bei Kunden die dafür bekannt sind eben nur auf maximalen Druck zu zahlen habe ich auch schon jedes Kabel einzeln abgerechnet…
„Hier hast du schon mal den ersten Teil deines Geldes!“ – „Prima, dann hast du jetzt Boxen für heute abend gemietet. Aber dir fehlt noch das Mischpult.“ – Es kamen die nächsten 50 € auf den Tisch. – „Super, jetzt fehlen dir noch die Funkmikros.“ – Wieder 50 €….. Das ging ne ganze Zeit so. Die Künstler saßen daneben – und haben danach auch direkt kassiert.

Alleswisser
Reply to  Robin
10 Jahre zuvor

…ich erinnere mich auch dunkel, dass TOM/Peter schon ganz ähnliche Probleme mit Veranstaltern hatte und davon auch hier berichtet hatte…

Im Kontext der ganzen Geschichte ist der Zeitpunkt und die Art und Weise, wie die beiden das Geld einforderten, aber schon etwas seltsam…

misanthropia
Reply to  Robin
10 Jahre zuvor

hahaha, das ist eine geile methode – muss ich mir merken ;P

Held in Ausbildung
10 Jahre zuvor

nie wieder würde ich für die 2 irgendeinen Finger krumm machen. Sorry, aber da bekommt man doch nur graue Haare und verliert 10 Lebensjahre… das wäre es mir nicht wert




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