Geschichten

Der Blonde mit dem irren Blick -17-

orgel

Es ist kalt! Das ist der Titel einer besonders traurigen, aber bei meinen Lesern umso beliebteren Geschichte aus dem Bestatterweblog und aus dem Buch „Gestatten, Bestatter!“.
Diese Geschichte hatte es auch Lizzy Hiller und Heiner Falk angetan, die eines Tages, mal wieder völlig aufgedreht und hibbelig, bei mir ankamen und mir den Vorschlag unterbreiteten, daraus einen Film machen zu wollen.

„Das stell ich mir super vor, wenn ich da den Manfred spiele, der um seinen Sohn trauert. Lizzy könnte ja was anderes spielen“, begeisterte sich Heiner.

„Tja“, sagte ich: „Da kommen aber keine anderen Leute vor. Das ist ein Zweipersonenstück. Da spielt ein Bestatter mit, dieser Mann namens Manfred und eine Leiche.“

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„Dann is‘ Lizzy eben die Leiche!“

„Die Leiche ist die eines 15- oder 16-jährigen Jungen.“

„Ooooh“, machten beide enttäuscht.

Lizzy schlug vor: „Können wir nicht noch jemanden reinschreiben?“

„Geht schlecht“, meine ich und schüttelte den Kopf.

„Dann machen wir die Geschichte von der Familie Olugulade!“ sagte Heiner und rieb sich die Hände.

„Ihr seid beide nicht schwarz und das ist eine Geschichte, wenn man die verfilmen wollte, dauerte der Film vier Stunden.

„Das geht nicht, ich habe nur eine Super-8-Kamera!“, wehrte Heiner ab.

„Paßt mal auf“, sagte ich, „am Anfang geht meine Frau doch nochmal zum Briefkasten runter, also in ‚Es ist kalt“. Lizzy könnte das doch spielen. Ist doch eh nur ein kurzes Stück, da wäre sie dann auch mit im Film.“

Die beiden Künstler schauten sich an, Lizzy lächelte milde und meinte zustimmend: „Ich mach‘ das ja sowieso alles nur dem Heiner zuliebe, dann spielst Du den Bestatter und der Heiner den Manfred und ich die Ehefrau am Anfang.“

„Ich?“ wehrte ich mich: „Ich mag da nicht mitspielen. Ich habe zwar inzwischen ein Internetblog angefangen, aber da kennen mich die Leute nur als Undertaker Tom und ich möchte das auch so beibehalten.“

Wieder machten beide „Oooooooh!“

Ziemlich enttäuscht zogen sie ab. Die Enttäuschung hielt aber nicht lange an, denn schon am nächsten Morgen waren sie wieder da und präsentierten mir das Foto eines Mannes. „Das ist der Franz, der ist gelernter Schauspieler, Maskenbildner und Friseur und arbeitet jetzt beim Kaufhof als Dekorateur.“

„Also schwul?“ sagt ich, nur um die beiden zu ärgern.

„Kennst Du den? Woher weißt Du das?“ staunte Heiner.

Nein ich kannte den nicht, aber wenn die beiden meinen, der könne die Rolle des Bestatters in einem viertelstündigen Kurzfilmchen spielen, warum nicht?

„Ich fang‘ morgen an, das Drehbuch zu schreiben, alles so mit Szenen und allem Drum und Dran!“ verkündete Heiner und dann ging er an seine Arbeit und Lizzy was-weiß-ich-wohin.

Doch am Nachmittag rief sie mich an: „Wie teuer heute so Super-8-Filme sind! Unglaublich!“

Da erst fiel mir ein, daß Heiner ja wirklich von Super-8 gesprochen hatte, jenem Schmalfilmformat, das längst aus der Mode gekommen ist, von einigen betrauert, von den meisten kein bißchen vermisst.

„Macht doch Video!“ sagte ich.

„Heiner hat ’ne Videokamera, aber die ist kaputt. Die Reparatur wäre so an die 500 Euro und die hat er nicht. Vielleicht kann ich eine bei der Stadt leihen, beim Gerätefundus, schließlich arbeite ich ja bei der Stadt, wir müßten dann die alleinmachenden Mütter nur irgendwie im Film unterbringen.“

„Das wird schlecht gehen in einem Film, in dem nur eine Frau für wenige Sekunden mitspielt.“

„Scheiße! Außerdem ist Leihen ja sowieso nicht gut, weil Heiner und ich noch so viele Projekte vorhaben und wenn wir uns in eine Kamera erst mal eingearbeitet haben, dann sollte es auch immer die sein.“

Ich überlegte hin und her und lief währenddessen mit dem schnurlosen Telefon im Raum hin und her. Vor meinem Sideboard blieb ich stehen, schob die Schiebetür auf und betrachtete meine digitale Videokamera. Eine Sony, schon zwei, drei Jahre alt. Sie zeichnete zwar noch auf Band auf, aber digital, hochauflösend und in einer super Qualität. Ach, was soll’s?! So hätte ich wenigstens der Allerliebsten gegenüber einen Grund, mir endlich mal eine neuere zuzulegen.

„Hört mal, ich habe hier noch eine Kamera, die schenke ich Euch.“

„Wirklich?“

„Ja, sicher, ich habe noch ganz viele Bänder dazu, die bekommt ihr auch!“

„Ach, wie süüüüß! Das ist ja soooooo lieb! Du bist ja soooo ein guter Mensch!“

Am darauffolgenden Wochenende legte mir Heiner das Drehbuch vor.
20 Seiten, dicht von Hand beschrieben, exakt in Szenen aufgelöst, auf die Sekunde berechnet, mit Dialogen, Kameraanweisungen und allem Drum und Dran. Bestens!
Ich war und bin zwar kein Profi im Filmgeschäft, aber das sah wirklich professionell und gekonnt aus.

Nun mag man denken: Wie konnte der nur? Wie konnte er sich nur so ausnehmen lassen? Wann endet die Gutmütigkeit?

Tja, die Gutmütigkeit, das ist ein Segen und ein Fluch zugleich.
In gewisser Weise birgt die Gutmütigkeit auch einen gewissen Drang zur Harmonie in sich und sie birgt die Gefahr in sich, dass sie ausgenutzt wird, aber das merkt man oft nicht oder eben oft erst viel zu spät.

Ich habe in solchen Situationen immer zwei kleine (B)engelchen auf den Schultern sitzen. Links das kleine Schwarze, das immer sagt: „Die leimen Dich! Die verarschen Dich! Hüte Dich!
Und rechts, das kleine Weiße sagt dann immer: „Denk dran, Du bist ein netter Mensch! Wie würdest Du Dich freuen wenn Dir jemand hilft! Sei lieb zu allen!“

Ich höre viel zu oft auf das weiße Engelchen.

Meine Mutter hat immer gesagt, daß es egal sei, und daß man auch dann weiterhin gutmütig und nett sein soll, wenn man mal enttäuscht wird, denn wenn man immer nur vorsichtig ist und nicht immer gutmütig und langmütig, dann vertue man viele Chancen Gutes zu tun.

Doch irgendwann tut einem die eine Wange und auch die andere, die man immer hingehalten hat so weh, daß man anfängt, etwas zu merken.

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(©si)