Menschen

Der Ernst ist weg!

Den letzten Abschied würdig gestalten… Wir haben viel Arbeit vor uns.
Frau Kruse sitzt mir gegenüber, weint, schluchzt, meine Papiertaschentücher sind alle, ich schiebe ihr eine Box mit Kosmetiktüchern über den Tisch, sie zupft eins heraus und schnieft hinein, blickt mich dankbar an und kaum will ein Lächeln über ihr Gesicht huschen, da schüttelt ein neuer Weinkrampf die kleine, etwas rundliche Frau.

„Das kann man doch nicht machen“, schluchzt sie und schüttelt den Kopf, während sie das zusammengeknüllte Papiertuch so fest in der Fast zusammenpresst, daß die Knöchel ihrer Finger weiß hervortreten.
Wut und Zorn mischen sich mit der Trauer, Frau Kruse seufzt, wieder kullern ihr dicke Tränen die Wangen hinunter.

Am Abend vorher hatte ihr Mann Ernst beim Abendessen plötzlich über Übelkeit geklagt: „Ich fühl‘ mich gar nicht so, wie ich mich fühlen sollte, mir steht’s auf einmal bis in den Hals und mir ist so kodderig“, hatte er gesagt, dann war er ins Bad gegangen, um sich zu übergeben, doch es wollte nichts kommen.

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„Ich hab‘ dann ganz automatisch an dem hartgekochten Ei gerochen, daß er gerade essen wollte; nur um zu sehen, ob es vielleicht verdorben ist, aber da war nichts. Komm Ernst, wir fahren zum Arzt, hab ich noch zu ihm gesagt, doch er saß nur im Badezimmer auf dem Rand der Badewanne und hat mich aus glasigen Augen angeschaut.“

Da sie nicht Auto fahren kann, hatte Frau Kruse ein Taxi gerufen und ist mit ihrem Mann ins Barbara-Hospital gefahren.

„In der Notaufnahme mußten wir bald eine Stunde warten, bis sich überhaupt jemand um uns gekümmert hat. Da rennen alle Nase lang Schwestern, Pfleger und Ärzte an einem vorbei und ich habe x-mal gesagt, daß es meinem Mann sehr schlecht geht und jeder hat nur gesagt: ‚Dann müssen Sie vorne an die Info, melden Sie ihren Mann dort an, dann kümmert sich jemand um Sie‘. Aber das hatten wir schon lange vorher gemacht, bloß es kam keiner.

Wenigstens 50 Minuten haben wir dort gesessen, mein Mann hatte schon eiskalten Schweiß auf der Stirn und war ganz grau geworden, da kam dann endlich ein Arzt. Sie, ich hab‘ den kaum verstanden, der war aus Thailand oder von den Philippinen, Dr. Bambungopol oder so ähnlich… Der war zwar unheimlich nett, aber er hat so schnell gesprochen und alles so schlecht ausgesprochen, daß ich nicht begriffen haben, was der Mann von mir will.

Er hat dann meinen Ernst untersucht, ihm in die Augen geleuchtet, das Herz abgehört und den Blutdruck gemessen.
Schließlich hat er gesagt, soviel hab‘ ich verstanden, daß mein Mann viel zu hohen Blutdruck hat und über Nacht zur Beobachtung da bleiben muß. Er ist dann auf die Station gekommen und an einen Tropf gelegt worden.
Obwohl es schon spät war, hat der Stationspfleger sogar noch gefragt, ob er meinem Mann noch ein Butterbrot bringen soll, doch mein Mann hat nur gesagt, daß ihm so schlecht ist.

Heute Morgen bin ich dann gleich wieder ins Krankenhaus gefahren und komme in das Zimmer, da ist da nur noch ein leeres Bett. Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich für einen Schreck bekommen habe. Als Erste hab ich gedacht ‚Mein Gott, der Ernst ist weg!‘ Ich hab‘ dann eine Schwester gefragt und die hat mir nur gesagt, mein Mann sei in der Prosektur. Ich hab‘ gedacht, das sei sowas wie Labor oder Intensiv, wissen Sie? Ich frag‘ die also, wie ich da hin komme und die sagt: ‚Frau Kruse, da können Sie nicht hin, da kommen nur die Leichen runter.‘ So hab‘ ich vom Tod meines Mannes erfahren, können Sie sich das vorstellen?

Es ist dann noch eine Schwester gekommen, die hat mir dann ihr Beileid ausgesprochen und mich in das Stationszimmer gebeten. Aber da ging es dann auch nur um die Formalitäten für die Krankenkasse und die Verwaltung. Einen mal in den Arm zu nehmen oder einem mal zu sagen, wie es jetzt weitergeht, nee das können die nicht. Aber die haben ja auch keine Zeit, sind ja viel zu wenige von denen da.

Ich mußte dann runter in die Verwaltung und da sitze ich also dieser Frau gegenüber, die mich das gleiche Zeug fragt, wie die Schwester im Stationszimmer; ich glaub‘ sogar, daß die die gleichen Formulare nochmal ausgefüllt hat und da frag‘ ich dann, was man jetzt machen muß. Die Frau sagt nur: ‚Gehen Sie am besten gleich gegenüber zum städtischen Beerdigungsinstitut, da gehen alle immer hin.‘

‚Um Gottes Willen‘, hab ich gesagt, „da gehe ich ganz gewiss nicht hin, die haben unseren Freund, den Karl beerdigt, schrecklich sage ich Ihnen, so eine Fließbandabfertigung und sehr teuer soll das obendrein auch noch gewesen sein.‘ ‚Mir egal‘, hat die Frau gesagt, nur mit den Achseln gezuckt und dann im Computer nachgeschaut. ‚Ihr Mann ist aber schon von denen abgeholt worden‘.

Das geht bei denen vollautomatisch. Die haben bei mir zu Hause angerufen, ich war aber nicht da, konnte ich ja auch nicht, ich war ja auf dem Weg ins Krankenhaus, das dauert aber mit Bus und Bahn, ich mußte nämlich zweimal umsteigen. Bis ich im Krankenhaus war, waren fast anderthalb Stunden herum, dann war ich ja noch fast eine Dreiviertelstunde auf der Station und in der Zwischenzeit haben die meinen Mann einfach abholen lassen.“

Ich kenne das nur zur Genüge, die machen das oft so. Das Krankenhaus steht in städtischer Trägerschaft und da wäscht eine Hand die andere…
Dabei gibt es klare Absprachen zwischen den Bestattern und der Stadtverwaltung. Die Krankenhäuser sind angeblich angewiesen worden, keine Empfehlungen für einen bestimmten Bestatter auszusprechen und wenn es mal knapp wird mit dem Lagerraum für Verstorbene, dann wird einer der Bestatter gerufen, die Polizeidienst haben. Die sind wenigstens aufgrund ihres Vertrages gehalten, nur bestimmte Leistungen zu einem niedrigen Preis abzurechnen.
Doch sollte, so lautet die Abmachung, ein Kapazitätsengpass des Krankenhauses den Angehörigen nicht auch noch eine finanzielle Mehrbelastung einbringen.

Doch diese Abmachung ist nur auf einer Besprechung mit den Verantwortlichen getroffen worden, es ist nur vom Sollen und nicht vom Müssen die Rede und oft genug halten sich vor allem die städtischen Krankenhäuser einfach nicht daran.

„Ich hab‘ dann gleich da angerufen und gefragt, wann ich meinen Ernst denn sehen kann, ich muß mich doch noch von ihm verabschieden. Aber die haben gesagt, ich soll vorbei kommen und am besten gleich die EC-Karte mitbringen. Verabschieden könnte ich mich dann später auf dem Friedhof. Und die wollten mir den Sarg gleich am Telefon verkaufen. Die Frau war ziemlich schnippisch und hat nur gefragt ‚Erd‘ oder Feuer?‘. Ich hab‘ dann gesagt, daß mein Mann verbrannt werden will und dann hat sie gesagt: ‚Da gibt es dann sowieso nur drei Sargmodelle: billig, also eine einfache Holzkiste für Sozialbestattungen, mittelhell und Eiche dunkel, welchen wollen Sie?‘.
Einfach so, am Telefon, ohne daß ich die gesehen habe.“

„Und was haben Sie geantwortet“, erkundige ich mich und Frau Kruse sagt zu meiner Beruhigung: „Ich hab‘ gesagt: ‚Legen Sie meinen Mann bloß nicht in einen Sarg, ich lass‘ den bei Ihnen wieder abholen; und dann bin ich mit dem Taxi zu Ihnen gefahren.“

Ich erkläre Frau Kruse, daß sie nicht mit dem Taxi fahren muß, sondern daß wir sie gerne auch zu Hause beraten und wann immer es nötig ist, auch abholen und wieder heim bringen. Dann rufe ich vom Büro nebenan beim städtischen Beerdigungsinstitut an, man fackelt dort gar nicht lange, die kennen das schon und schließlich bekomme ich die Standardantwort, daß wir 98 Euro mitbringen sollen, dann können wir den Toten haben.
Auch das kennen wir, den Angehörigen hätte man 230 Euro abgenommen, unter Bestattern berechnen sie nur den sogenannten Kollegentarif.
Auch wegen der 98 Euro könnte man streiten, aber dazu hat keiner richtig Lust. Jeder Bestatter sagt, daß man da was machen müsste, aber keiner macht was und zusammenschließen will man sich irgendwann mal, aber nicht jetzt und schon gar nicht zum Prozessieren. So kommt es, daß die Bestatter meist die 98 Euro aus eigener Tasche bezahlen und den Kunden gar nicht in Rechnung stellen, damit es ja keinen Anreiz gibt, doch beim städtischen Institut zu bleiben.

Gehen Angehörige jedoch aus eigenem Antrieb zuerst zum städtischen Institut, etwa um dort Bescheid zu sagen, daß sie eigentlich einen anderen Bestatter beauftragen wollen, dann sieht die Sache etwas anders aus. Auf einmal ist dann von 230 bis 280 Euro die Rede und es wird klipp und klar gesagt, die privaten Bestatter hätten alle keine Ahnung, keine Erfahrung, es mangele ihnen an Seriosität, die hätten ja gar keine richtigen Kühlräume, das Personal sei nicht richtig ausgebildet und wenn man beim städtischen Institut bliebe, dann wisse man als Bürger doch, was man habe.

Nun, ich kann Frau Kruse beruhigen, wir werden ihren Ernst abholen und ihr einen Abschied ermöglichen, so wie sie es sich vorstellt.

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