Geschichten

Der Goldfisch -IV-

Nach seinem durchaus divenhaften Auftritt bei uns, war Herr Bauer, der Chef des Autohauses, zu mir ins Büro gekommen und wollte nun „alles mal fix selbst in die Hand nehmen“.
Hugo Bauer stelle man sich vor als Mann von beinahe 70 Jahren, der aussieht wie ein 50er, kräftiges, gut geschnittenes graumeliertes Haar hat und in einem maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug steckt. Er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Robert Redford und wenn er einen aus seinen strahlend blauen Augen anschaut und seine makellosen weißen Zähne blitzen läßt, dann hat der großgewachsene, schlanke Mann durchaus einen gewinnenden Charme.
Höflich ist er, Benehmen hat er, aber seine Sprache ist geprägt vom derben Dialekt der hiesigen Gegend.

Geld scheint für ihn keine Rolle zu spielen und als es um eine Frage ging, der behördliche Bestimmungen im Wege standen, zückte er sein winzige Handy, klappte es auf und telefonierte mal eben mit dem Oberbürgermeister persönlich, duzte ihn jovial und keine 30 Sekunden später war das möglich, was vorher noch verboten war.

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Also Katja sei seine Lebensgefährtin gewesen, das sei ja wohl sonnenklar, schließlich habe die Jahr und Tag für ihn gearbeitet und seit über fünf Jahren sei man ein Paar gewesen, habe sehr viel Zeit miteinander verbracht und es habe keinen Urlaub gegeben, in den Katja ihn nicht begleitet hätte.
Er sei eindeutig der Mann von Katja, wenngleich man natürlich nicht verheiratet gewesen sei, das habe er schon zweimal hinter sich gebracht und für den missratenen Sprößling aus der zweiten Ehe müsse er heute noch bezahlen.

Als er gegangen war, schwankten wir und konnten uns nicht entscheiden, ob das nun ein arroganter Großkotz oder ein an und für sich ganz netter Mann ist.

Ganz anders kam Dagmar daher. Schniefend, mit total verheulten Augen und schluchzend präsentierte sich sie als das personifizierte Häufchen Elend.
Nun hat man ja, vor allem wenn man als Schreiberling auch versucht die Erwartungshaltung seiner Zuhörer und Leser zu befriedigen, immer eine riesengroße Kiste mit Klischees, aus der man sich hemmungslos bedienen kann.
Aber in diesem Fall kann ich der äußert weiblichen Katja keine burschenhafte Lesbe als Partnerin zugesellen.
Oft wird das ja bei der Schilderung von lesbischen Paaren so dargestellt -und entstammt ja auch der Wirklichkeit-, daß eine der beiden eher das zierliche Mädchen ist, während die andere in klobigen Bergarbeiterschuhen, Männerjeans und Baumfällerhemd daherkommt.
Und tatsächlich: Vor zwei Jahren saßen meine Frau und ich in einer benachbarten Ortschaft in einer gemütlichen Gaststätte, als gegen 20 Uhr ein ganzes Rudel lesbischer Frauen sich um den großen Stammtisch versammelte. Offenbar gibt es in diesem Ort so einen Verein oder so eine Gruppe, in der sich lesbische Paare treffen und gemeinsame Freizeitaktivitäten planen.
Und bei diesen Paaren war es durch die Bank so, daß immer eine weiblich, zierlich und langhaarig war und die jeweils dazugehörige andere sich absolut männlich kleidete und frisierte.
So ganz aus der Luft gegriffen ist die Vorstellung der Allgemeinheit also offensichtlich nicht; ein Klischee wird allerdings erst dann daraus, wenn man behauptet, es sei immer und grundsätzlich so.

Daß es nicht so ist, dafür lieferte Dagmar den denkbar besten Beweis, sie war sowas von zart, mädchenhaft und wenn ich ganz ehrlich bin: sie hätte in jungen Jahren durchaus in mein Beuteschema gepasst.

Über eine Stunde hat sie Katja beweint und es dauerte weitere dreißig Minuten, bis sie bei Kaffee, einem Himbeergeist und einer ganzen Packung Schnieftücher wieder soweit wiederhergestellt war, daß sie ohne zu schluchzen sprechen konnte.

Noch einmal gluckste ein Schluchzen ihre Kehle hoch, dann schluckte sie, atmete tief durch und wischte noch einmal mit dem Papiertuch über ihre Augen, dann sagte sie: „Der hat die totgemacht!“

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(©si)