Geschichten

Der Lange -III-

Immerhin mußte der Lange eine ganze Woche im Rechtsmedizinischen Institut bleiben. Auch dort ist man chronisch unterbesetzt und so kam der Lange erst verspätet an die Reihe.
Nun darf man sich nicht vorstellen, daß man Verstorbene beliebig lange aufbewahren kann.
In besonders schwierigen Fällen ist da zwar einiges möglich, aber im Regelfall muß auch eine Obduktion recht zügig erledigt werden. Denn die Zersetzung kann man auch durch die normale Kühlung nicht vermeiden, sondern nur etwas hinausschieben; und einfach so einfrieren kann man einen Leichnam auch nicht, vor allem dann nicht, wenn anschließend noch an ihm gearbeitet oder er aufgebahrt werden soll. Das (mehrmalige) Auftauen wirkt dann eher wie ein Zersetzungsbeschleuniger.

Tatsächlich ist es so, wie manche schon in den Kommentaren schrieben, es gibt eine gewisse Parallele zu Frischfleisch. Die Kühlkette möglichst nicht unterbrechen und falls eingefroren, nach dem Auftauen nicht nochmals einfrieren…

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Es blieb dabei, die Söhne lehnten jede Beteiligung an den Vorbereitungen der Bestattung ab. Sie sind die Bestattungspflichtigen und müssen für die Kosten einstehen. Das interessiere sie nicht, die Behörde solle ruhig eine Rechnung schicken, damit würde man sich den XYZ abwischen…

Die Sachlage änderte sich aber, als Hanky Pete plötzlich mit einem Briefumschlag in unserem Bestattungshaus stand. In dem Umschlag befanden sich 3.000 Euro.
Ja, im Freundeskreis des Langen herrsche großes Unverständnis für das Verhalten der Söhne, schließlich sei es doch der Vater… Man betrachte es als Freunde und Quasi-Familie als Selbstverständlichkeit, dafür zu sorgen, daß der Lange anständig unter die Erde komme.

Leider konnten wir Hanky Pete nicht helfen, den Auftrag hatte längst das städtische Bestattungsunternehmen bekommen.

„Das weiß ich“, sagte Hanky und fügt hinzu: „Da war ich nämlich schon, die haben mich einfach rausgeschmissen. Die haben gesagt, daß die Familie die Bestattungsberechtigten sind und nur die bestimmen können, was gemacht wird. Wenn die nix machen, bestimmt alles das Amt. Dann bin ich zu dem einen Sohn hingefahren und habe mit dem geredet, der hat mir den Stinkefinger gezeigt und gesagt, ich solle mich da raushalten, das ginge uns alles gar nichts an.
Dann habe ich dem angeboten, ob wir die Bestattung nicht gemeinsam organisieren können. Sie bräuchten auch bestimmt nichts zu bezahlen. Der hat nur blöd geguckt und gesagt, ich solle verschwinden.“

„Und der andere Sohn?“

„Den hab‘ ich gestern an der Garage getroffen, der hat sich gar nicht angehört, was ich zu sagen habe. Ich habe ihm das Geld gezeigt und gesagt, er müsse doch nur hingehen und unterschreiben, den Rest erledigen wir. Aber der hat sich einfach nur rumgedreht und mich einfach stehenlassen.“

Pete erzählt mir, daß der Lange immer davon gesprochen habe, auf keinen Fall verbrannt zu werden und ein schönes Grab unter einem Baum auf dem örtlichen Friedhof zu bekommen. „Da könnten wir dann immer alle hingehen und sein Grab pflegen. Aber jetzt wird der verbrannt und anonym beerdigt, dann wissen wir nichtmal wo der liegt.“

Ich versuche mein Bestes, rufe mal beim Friedhofsamt an, doch der Sachbearbeiter gähnt nur, er kann den Namen des Langen schon nicht mehr hören. Soviel Scherereien habe er schon lange nicht mehr wegen eines Toten gehabt. Da lasse er sich jetzt auch auf gar nichts ein, die Familie stehe in der Pflicht und man könne da eben keine Fremden mit reinnehmen, am Ende gäbe es da nur noch mehr Ärger. „Nix da, die Sache ist erledigt, der wird von Amts wegen bestattet. Punkt.“

Es vergeht eine Woche und noch zweimal war Hanky Pete bei mir.
Inzwischen ist der Lange eingeäschert, ob seine Urne schon beigesetzt ist, weiß ich nicht, es ist aber eher unwahrscheinlich.
Doch leider wird es kein Happy-End geben.

Hanky Pete wird das Geld wohl wieder auszahlen müssen und der gute Wille der Freunde des Verstorbenen wird nicht belohnt werden.
Die Söhne bleiben stur, die Behörde auch.
Am Ende gibt es irgendwie nur Verlierer.
Schade.


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 5. August 2010 | Revision: 22. Juni 2012

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Der Maskierte
14 Jahre zuvor

Nur Verlierer?

Ich weiß nicht. Hat der Lange doch in der Gruppe um Hanky Pete doch noch einen Ort gefunden, an dem man sich über sein Ableben hinaus ihm zugehörig fühlte.

Man mag von den Trinkfreunden halten, was man will, aber sie stehen zueinander. Das ist heute viel zu selten und dafür umso wertvoller.

Siggi
14 Jahre zuvor

Das privat gesammelte Geld wieder „auszuzahlen“ wird vielleicht nicht möglich sein, denn ich könnte mir vorstellen, daß es anonym gesammelt wurde, gewissermaßen ein Hut herumging.
Aber ich würde in so einem Fall eine kleine, private Abschiedsfeier unter Freunden veranstalten, an einem der Orte, die der Verstorbene oft und gern aufgesucht hat. Man könnte jetzt böswillig behaupten, das würde doch bestimmt in eine Sauforgie ausarten, aber soweit muß es ja nicht kommen. Es liegt an den Teilnehmern solch einer Veranstaltung, einem Abschied einen würdigen Rahmen zu geben.
Mit dem restlichen Geld könnte man eine kleine „Erinnerungsecke“ schaffen, vielleicht ein schön gerahmtes Foto an der Wand mit ein paar passenden, erklärenden Worten dazu. So bliebe der Verstorbene seinen Freunden noch lange in Erinnerung.

Der kleine grüne Kaktus
14 Jahre zuvor

Und vor allem so unnötig. Meine Eltern leben noch beide – aber bei DER Lebensweise nicht mehr lange. Mit 67 den 3. Umzug in 1 Jahr zu stemmen – wir Kinder machen das nicht mehr mit, das ist dann insgesamt der 45. Umzug, den wir mitmachen. KEIN WITZ. Wir haben die Schnauze voll. Mein Vater ist schwer herzkrank, hat ein Aortenaneurysma, dass OP-pflichtig ist und wird in 2 Wochen operiert. Die Chancen, dass er überlebt, sind nicht schlecht, nur: Was, wenn er dennoch stirbt? Es ist ja noch so viel anderes vorgefallen: Schläge, emotionaler Missbrauch vom Feinsten, damit wir spuren, ich selbst war schon mit 14 voll eingebunden in der Kneipe, als vollwertige Arbeitskraft inkl. Küchenhilfe und Arbeitszeiten bis 23 Uhr auch unter der Woche, die damals geführt wurde. Die Kleinen völlig vernachlässigt, was dazu führte, dass die Jüngste mit 34 in Frührente geschickt wurde. Und das passiert heute nicht mehr „einfach so“, und die Mittlere putzsüchtig ist. Ich halte noch Kontakt zu meinen Eltern, aber es ist schwierig. Die Erwartungen sind hoch, meine Leistungsbereitschaft… Weiterlesen »

Salat
14 Jahre zuvor

Silke, versuch das Ganze mal, wenn das Elter noch lebt aber DU keinen Kontakt mehr willst. Das ist auch ne hübsche Übung in wertfreier Argumentation.

Salat

Ma Rode
14 Jahre zuvor

Merkwürdiges Gebahren vom Amt, da winken sogar Fremde mit den Geldscheinen und wollen die freiwillig hergeben für einen toten Freund, aber die Herrschaften verschanzen sich hinter ihren Vorschriften …

MiniMoppel
14 Jahre zuvor

Kategorie: Borniertes aus Bürokratien.

Christians Ex
14 Jahre zuvor

*seufz*
Man kann auch nur schwer hinter die Maske der Bürokraten schauen, da man in dem meisten Fällen schlicht und ergreifend keine Ahnung von deren Materie hat.
Aus meiner eigenen Berufserfahrung weiss ich allerdings nur zu gut, wie oft und gern man weniger bürokratisch wäre… wenn nicht ausgerechnet der eigene Job dran hinge, ziemlich genau ab der Stelle kenn ich selbst nämlich auch keine Freunde mehr.

Klaus Brinkmann
14 Jahre zuvor

Und wieder einmal: Mit einer Bestattungsvorsorge (in welcher Form auch immer) wäre das nicht passiert. In diesem speziellen Fall hätte Hanky Pete mit einer „Vollmach über das Totenfürsorgerecht“ im Sinne des Langen handeln dürfen.
Also: Lieber Vorsorgen als sich sorgen…

Silke
14 Jahre zuvor

Es ist gar nicht so weit hergeholt, was Kleiner grüner Kaktus sagt. Ihm wünsche ich viel Kraft und bewundere sein Durchhaltevermögen. Die Menschen hatten von meinem Vater auch ein völlig anderes Bild. Als das Pflegeheim mich anrief, ich solle mich mal um den Leichnam kümmern, schlug mir durchs Telefon eine kalte Wand entgegen. Ich war die böse Tochter, die sich nicht gekümmert hat. Dass mein Vater jeden Umgang kategorisch abgelehnt hat, obwohl wir Geschwister die Vergangenheit ruhen lassen wollten und nicht mehr mit Vorwürfen gekommen wären, sondern uns irgendwie gekümmert hätten, davon war dort ja nichts bekannt. Er wollte auch keine Enkelkinder sehen oder etwas von ihnen wissen. Traurig waren wir trotzdem, wegen der vielen verpassten Chancen – besonders für ihn. Wir haben keinen Vater gehabt und er hat uns nicht mal gefehlt. Aber wenn das eigene Kind dann mal fragt „Hast Du eigentlich auch einen Vater?“ und Du musst ihm erklären, dass der weder von Dir noch von dem Enkelkind was wissen wollte, wird es schwierig. Die großen Augen hättet Ihr sehen sollen. „Warum… Weiterlesen »

Anonym
14 Jahre zuvor

Hätte man für die 3000 nicht irgendwo unter einem Baum einen Gedenkstein errichten können, damit die Kumpels einen Ort zum Besuchen haben? Das muss doch die Söhne nicht kratzen. Jeder hat seine eigene Geschichte mit diesem Menschen gehabt, und genauso wie die Söhne sich das Recht nehmen, nichts damit zu tun haben zu wollen, genauso haben doch die Freunde ein Recht sich zu erinnern.

14 Jahre zuvor

Mh, sehr schade, dass die Behörde so reagierte! Denn es geht auch anders. Ich habe selbst mit Sterbefällen dieser Art zu tun, sprich, ich bin zusammen mit der einer Kollegin für die Bestattung Alleinstehender zuständig. Hier geht es immer anders! Wenn die Freunde die Beisetzung beauftragen und zahlen wollen, dann dürfen sie das auch. Selbst wenn wir als Behörde ein Bestattungshaus beauftragen, haben Freunde und Angehörige, die nicht bestattungspflichtig sind, jederzeit die Möglichkeit, z. B. eine Trauerfeier zu machen. Vorausgesetzt, der städtische Säckel wird nicht belastet, oder der Verstorbene hat genug hinterlassen um die Kosten zu decken. Das kommt auch häufig genug vor. Und selbstverständlich wird der letzte Wille eines Verstorbenen respektiert. Niemand wird eingeäschert, wenn er das zu Lebzeiten abgelehnt hat. Es geht also auch anders. Auch das hat was mit Respekt und Pietät zu tun.

Bianca
14 Jahre zuvor

Wie bitter.

Kommentator
14 Jahre zuvor

Ich war voriges Jahr bei einem Familienrechtler (sprich: Anwalt) und habe mir erklären lassen, ob bzw. in welcher Höhe ich denn „Elternunterhalt“ zu zahlen hätte, wenn denn meine Erzeuger oder deren Rechtsvertreter (sprich: „Sozialamt“, oder wie auch immer die Behörde am aktuellen Wohnort heißen mag) das von mir verlangen würden.
Ergebnis: Ich bin (auch aufgrund anderer, mir emotional und materiell näherstehener Verpflichtungen) nicht verpflichtet, Elternunterhalt zu leisten.
Das hat mir und meinem Seelenfrieden sehr geholfen. Danke.

Stefan
14 Jahre zuvor

@ Kommentator – zu Bestattungskosten kannst du trotzdem rangezogen werden. Sorry – ist aber so.

14 Jahre zuvor

@Stefan: Seufz, wie oft hören wir Bestatter den Spruch: „Aber ich habe doch alles abgelehnt und sogar das Erbe ausgeschlagen. Ich muß nix bezahlen!“ ?

Mort
14 Jahre zuvor

Das Amt kann ich eigentlich sehr gut verstehen. Immerhin sind rechtlich nunmal die Söhne zuständig und diese einfach zu ignorieren könnte etliche (rechtliche, zumindest aber nervige zwischenmenschliche) Probleme bringen. Die sitzen moralisch zwischen den Stühlen und rechtlich ist die Sache klar…

Wenn „der Lange“ wirklich so ein A… war, wie die Reaktion seiner Söhne vermuten lässt, kann’s auch sehr gut sein, dass die anonyme Betattung nicht nur aus finanziellen Gründen erwünscht war. So nach dem Motto „jetzt ist das Kapitel endgültig abgeschlossen, nicht mal ein Grabstein erinnert an die schlimmen Zeiten“. In dem Fall wäre ich als Sohn vermutlich auch auf die Barrikaten gegangen, wenn sich das Amt einfach doch von „Fremden“ „bestechen“ ließe.

Astrid
14 Jahre zuvor

Was ich eifnach ärgerlich finde: Vielleicht mögen die Söhne ihre Gründe haben, dass sie mit der Beerdigung und den Kosten nichts am Hut haben wollten.

Aber wenn Fremde anbieten, die Beerdigung für ihren Vater zu bezahlen und zu organisieren, kann man die nicht abblitzen lassen. Das ist grausam gegen die Freunde des Vaters. Der Vater bekommt von dieser Rache nichts mehr mit…

Silke
14 Jahre zuvor

@ Salat: Geglaubt. Das Leben hat viele Facetten. Leider sind viele nicht hübsch bunt 🙂 Wünsche Dir alles Gute!

clownsfrau
14 Jahre zuvor

@ kleiner grüner Kaktus
Mir hat mal ein Psycho-Heini nen guten Tip gegeben. Er war der Auffassung, Kinder schulden ihren Eltern nichts. Eltern ihren Kindern alles. Die Eltern müssen für die Kinder sorgen und ihnen den Weg ins Leben ebnen, so wie deren Eltern es für sie getan haben. Wir können es nicht heilen, wenn bei denen was schief gelaufen ist. Was wir mitbekommen und aus uns gemacht haben, geben wir in irgend einer Form an die nächste Generation weiter. Die eigenen Kinder oder Enkel, Nichten, Neffen, in ehrenamtlicher Tätigkeit an fremde Kinder…
Lass dir bloß kein schlechtes Gewissen machen.

14 Jahre zuvor

Vielleicht war es auch für die Söhne – was immer da in der Familie zu Lebzeiten hinter den Kulissen gelaufen ist – unerträglich zu sehen, dass ihr Vater nun mit Glanz und Gloria von praktisch wildfremden Menschen geehrt und gefeiert würde, während unter den nächsten Angehörigen, den Söhnen, vielleicht noch so manche Wunde offenliegt und der Klärung bedurft hätte. Da nun vielleicht auch noch eine tolle Rede zu hören, wie geschätzt der liebe Verstorbene so war, kann auch wehtun…




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