Geschichten

Der Patentmann -11-

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Ich kann es nicht verhehlen, ich mochte Herrn Schade. Er verkörperte weltmännisches Auftreten und war ein Gentleman durch und durch. Deshalb störte es mich anfangs auch nicht allzu sehr, daß er immer mal wieder zu uns ins Bestattungshaus kam.
Das ist mir mit etlichen Menschen schon immer so gegangen. Vielleicht liegt es an meiner ruhigen Art und der Tatsache, daß ich auch zuhören und einfach mal den Mund halten kann. Jedenfalls ist die Liste derer, die völlig ohne zwingenden Grund ausgerechnet in unser Bestattungshaus kamen, um mit mir zu sprechen, nahezu endlos lang.
Ich meine, wer geht denn schon zu einem Bestatter, um sein Herz auszuschütten oder Rat zu suchen oder verzwickte Familienverhältnisse zu besprechen? Bestattungsinstitute meidet man, so gut man eben kann, und geht nicht extra noch ohne Notwendigkeit da hin, oder?

Aber rund um eine Bestattung spielen sich oft familiäre, finanzielle und sonstige Tragödien ab, die oft im Verlust des Verstorbenen begründet sind, oft aber erst durch das Kennenlernen des Verhaltens der Verwandten in außergewöhnlichen Situationen beginnen.
Normalerweise versucht sich ein Bestatter da heraus zu halten und die beispielsweise am Bestattertisch begonnene Streitigkeit über Omas kleines Häuschen am Stadtrand findet anderswo seine Fortsetzung.
Merkwürdigerweise war das bei mir immer anders. Die Leute zogen mich oft sogar wie eine Art Schiedsmann mit in ihre Diskussionen hinein und ganz häufig schien es so, als ob eine der beiden streitenden Parteien mich dann sogar als eine Art persönlichen Berater betrachtete und immer wieder zu mir kam, um mich über den Fortgang der Geschichte auf dem Laufenden zu halten.

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Vielleicht liegt das an meiner Art und meinem Auftreten, mag sein, aber ich bin fest davon überzeugt, daß es zu einem großen Teil auch daran liegt, daß die Menschen sich in dieser Situation nach einer seelsorgerischen und psychologischen Betreuung sehnen, oder wenn man es nicht so hoch hängen will, einfach einen guten Gesprächspartner brauchen.

Nun ist es aber so, daß ich an guten Geschichten, an interessanten Schicksalen und spannenden Wendungen immer sehr interessiert bin, mich aber gleichzeitig nichts mehr langweilt, wie das Erzählen nichtiger Alltäglichkeiten. Auf ein „Wie geht es Dir?“ erwarte ich ernsthafte Auskünfte über das persönliche Wohlbefinden und die persönlichen Umstände und keinen Bericht darüber, daß man morgens beim Arzt anderthalb Stunden warten mußte, daß man sich über die Schuldenpolitik der Europäer ärgert und wie der Lieblingsverein am Wochenende gespielt hat.
So lange mir also jemand Futter fürs Gehirn liefert, bin ich geduldig und höre gerne zu, fängt er aber an mich zu langweilen, beginnt mein Desinteresse und es schwindet die Bereitschaft, zuzuhöhren.

Bei dem reichen Mann aus Südafrika war das so, daß er wirklich hier in Deutschland gar keinen mehr kannte. Er war viel zu lange weg gewesen, alte Freundschaften waren längst zerbrochen, ein Kontaktversuch zu einem Freund aus Jugendjahren war absolut gescheitert, weil der sich so weit von Herrn Schade weg entwickelt hatte, daß der gemeinsame Nenner völlig fehlte. Verwandte hatte Schade sowieso keine mehr und darüber sprach er lange und ausgiebig.
Er berichtete mir, wie er als einfacher Schlosser mit nichts als einem billigen Koffer und einem Seesack ausgewandert war, Jahre der Entbehrung hinter sich gebracht hatte und dann Stück für Stück mit einer zuerst kleinen Firma immer größeren Erfolg hatte.
Dabei hatte ihm die Apartheidspolitik Südafrikas in die Hände gespielt, als viele Länder den Burenstaat teilweise boykottierten und er mit seinen Produkten in die Bresche springen konnte. Bald schon war er Marktführer in Südafrika, später dann auch in Neuseeland und Australien und als er über 50 war, hatte er es geschafft.
Wie sagt man so schön, ein Selfmademan, jemand der ohne vom reichen Papa etwas geerbt zu haben, aus dem Nichts etwas geschaffen und ein Vermögen verdient hatte.

Glaubte man Herrn Schade, gibt es keinen schöneren Platz auf der Erde als Südafrika. Seine Schilderungen faszinierten mich und interessiert betrachtete ich Fotos die er mir zeigte. Keine kahle Savanne, keine Tumulte von Schwarzen, keine Ghettos, sondern atemberaubende Landschaften, von so unendlicher Weite, daß man nur staunen konnte.
Und trotzdem hörte ich aus jedem Satz den er sagte, nur eine einzige Botschaft heraus: Meine Wurzel sind eigentlich hier in Deutschland, in dieser Stadt hier in der ich groß geworden bin, wo einst meine Eltern begraben wurden und wo ich mich, auch nach all den vielen Jahren im Ausland immer noch heimisch fühle.

Und diese Wurzeln waren längst verdorrt. Wie muß es da für diesen Mann gewesen sein, als er mit Deutschland und seiner Heimatstadt immer noch den Gedanken verbinden konnte, daß da sein eigentlicher Vater lebte?
Tja und jetzt war auch dieser Vater gestorben und damit die allerletzte emotionale Verbindung zu Deutschland gekappt.

Wie gesagt, mir machte es nichts aus, daß Herr Schade häufiger mal kam, er begann auch kostbare Whiskey-Sorten und Cognacs mitzubringen, bedachte die Damen im Büro mit Parfüm-Geschenken, angeblich alles im Duty-free-Shop gekauft.
Kurz gesagt, man freute sich, wenn der reiche ältere Herr kam.

Doch fragte ich mich ab einem gewissen Zeitpunkt, wann der Mann denn nun wieder nach Hause fliegen würde. Hatte es nicht anfangs geheißen, sein Flug ginge in den nächsten Tagen? War dieser Zeitpunkt nicht längst vorbei?

„Ja, wenn ich hier alles geregelt habe“, gab mir Herr Schade zur Antwort, ließ aber offen, was das sein könnte, denn eins hatte ich schon aus den Gesprächen heraus gehört: Nach außen hin gab er sich zwar weiterhin kämpferisch und zeigte sich gewillt, um sein Erbe zu kämpfen, im Innersten jedoch hatte er den Kampf schon längst aufgegeben. Die Rechtslage sprach zu eindeutig gegen ihn und immer mehr glaubte ich ihm, was er anfangs gesagt hatte, daß es ihm ums Geld in Wirklichkeit gar nicht gegangen ist.

Sandy sagte eines Abends zu mir: „Der hängt! Der hängt hier fest, in einer Endlosschleife der Emotionen und findet den Absprung nicht!“

Aber ja! Da kann man doch was tun!


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 19. Oktober 2012 | Revision: 29. März 2016

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Adriana
11 Jahre zuvor

Oh nein….das war doch vieeeeeeeeel zu wenig Text….. ;-( Du hast vergessen den Rest anzufügen….das kannst Du mir und den anderen nicht antun…. 🙁 Bis morgen halte ich das nicht aus…..

MACH WAS 😀

*Unfassbar gut geschrieben!!!

Micha
Reply to  Adriana
11 Jahre zuvor

Wieso bis morgen… *Den Salzstreuer auspack* Es ist gleich WOCHENENDE!
Was macht ihr eigentlich Montagmorgen? 😉

Weiter so Tom! Mal wieder eine tolle Geschichte!

Adriana
Reply to  Micha
11 Jahre zuvor

Oh nein, erst MONTAG das nächste?

TOM, haste noch n Sarg im auslaufenden Warenlager? 😀 *ischschterbwesch*

Micha
Reply to  Adriana
11 Jahre zuvor

Oh… Ich glaube ich habe da was vergessen…
*Das grobe Salz heraus hole*

Montag und Dienstag sind ganz hohe Feiertage bei den Bloggern an denen es ihnen verboten ist zu schreiben…

.oO(Ich sollte mir mal so langsam ein Versteck suchen gehen….)

DerInderInDerInderin
11 Jahre zuvor

Gnaah, so was gehört verboten. Quälen der Leserschaft nennt man das! Tu das doch nicht! AAaah

Georg
Reply to  DerInderInDerInderin
11 Jahre zuvor

Doch !! Je länger er die Geschichte zieht um so besser,die qual nimmt dann nicht ein so schnelles Ende*Stöhhhn*

😉

Oliver
11 Jahre zuvor

Sandy sagte eines Abends zu mir: “Der hängt! Der hier fest

Damit hat er einiges mit uns gemeinsam… 😉

Soe
11 Jahre zuvor

„Deshalb störte es mich anfangs auch nicht allzu sehr, daß er immer mal wieder zu uns ins Bestattungshaus kam“

Anfangs???

Uli-mit-Hut
11 Jahre zuvor

vielleicht sucht der nette Herr ja auch einen persönlichen Erben …. *sichhoffnungsvollmeldet* … ich mag auch Elefanten … (solange ich sie nicht abstauben muß..) und Löwen …. (solange die aus Plüsch sind) ….

… und nach Afrika wollte ich immer schon mal …. *träum* 😉

Engywuck
11 Jahre zuvor

„Da kann man doch was tun!“

Klar doch: Schaufel fürs Grabausheben über den Schädel ziehen und schon hat man seine Ruhe (und einen Kunden mehr) — und er bleibt da wo er sich zugehörig fühlt.
Win-Win-Situation

Los sag schon, wie war’s wirklich?

Astrid
11 Jahre zuvor

Der hängt!
Ja wo hängt er wohl?

An der Klippe :))




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