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Der Rosenkohl

orgel

Mit kräftigem Käse ist das so wie mit Rosenkohl, bei mir zumindest.
Als Kind schmeckte mir beides nicht, ich fand es einfach zu stark und widerwärtig. Mit dem Erwachsenwerden änderte sich auch der Geschmack und heute esse ich beides sehr gerne.

„Was? Sie mögen Rosenkohl und Käse?“ freute sich Frau Büser, rieb ihre Hände erwartungsvoll aneinander und strahlte mich mit großen, fragenden Augen durch ihre neue Brille an.

„Ja, schon“, antwortete ich und sie klatschte einmal in die Hände: „Also ist das beschlossen, morgen bringe ich für uns alle meine weltberühmte Rosenkohlkäsesuppe nach einem Rezept meiner Oma mütterlicherseits mit. Ich mache da immer einen riesengroßen Topf voll. Ach was, ich mache heute Abend noch meinen Weck-Kessel voll damit, es soll ja auch für alle reichen und wenn Sie die erst mal probiert haben, dann lecken Sie sich alle Finger danach und wollen noch einen Teller und noch einen und noch einen…“

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Das war gestern.

Heute steht also dieses badewannengroße Ungetüm aus Nachkriegsblech vor uns auf dem Tisch und dampft aus den Ritzen unterm Deckel hervor.
Frau Büser verteilt große, tiefe Teller an alle und es haben sich neben meiner Frau und mir auch Antonia, Sandy, Manni und zwei Fahrer rund um den großen Tisch im Beratungszimmer versammelt.

„Greift zu!“ fordert uns die wohlmeinende Köchin auf und da es ihr nicht schnell genug geht, ergreift sie selbst das Oberkommando über die Suppenkelle und schöpft aus dem Vollen. Jeder bekommt einen Riesenklatsch dieses Breis, anders kann man es nicht nennen, denn der Suppe fehlt ein wichtiges Suppenmerkmal, nämlich das des Flüssigseins.
„Ich habe extra viel Käse rein“, stellt Frau Büser sofort klar, warum die Suppe auf dem Teller die kloßartige Form behält, die ihr die Suppenkelle verleiht und nun so gar nicht zerfließen will.
„Im Mund wird sie dann flüssig.“

Antonia ist die Erste, die es wagt, von dem puddingartigen Klops etwas mit dem Löffel abzustechen und in den Mund zu tun. Sie hält kurz inne, hechelt dann durch die Mundwinkel, die Suppenmasse muss sehr heiß sein, dann beginnt sie zu kauen und alle schauen wie gebannt auf die wabbernden Wangen der Molligen.
Endlich macht sie „Hmmmmmm“ und sagt: „Lecker!“

Frau Büser strahlt und wird von einem Enthusiasmus ergriffen, den nur Frauen jenseits der sexuell aktiven Zeit beim Kochen und Essenverteilen entwickeln können. „Hier nehmt noch!“ sagt sie und obwohl wir anderen noch gar nichts gegessen haben, lädt sie uns noch einen Kugelklumpen Rosenkohlkäsepampe auf den Teller.

Nun gut, Antonia ißt gerne und viel und wenn jemand was vom Essen versteht, dann doch so ein Moppelkind.
Also steche ich beherzt ein Stück vom kaugummizähen Bollen ab und probiere ihn.

Nun, was soll ich sagen? Als Mann der schönen Worte und der unterhaltsamen Erzählweise fallen mir natürlich viele schöne Vokabeln ein, um eine wohlschmeckende Speise entsprechend zu loben.
Zu diesem kohligen Käseklumpen fällt mir aber nur eins ein: „Ach, Du Scheiße!“

Die Pampe schmeckt tranig, ist gleichzeitig fettig und bröckelig und löst sich im Mund etwa so gut auf, wie der Marzipan meiner Schwiegermutter oder YTONG-Steine.
Der Geschmack ist pelzig-salzig und erinnert entfernt an irgendetwas Vergessenes im Spind einer Bundeswehrkaserne.

„Der Trick ist, daß man den Rosenkohl ganz zum Schluss roh hinein tut, dann bleibt er schön knackig“, erklärt Frau Büser freudestrahlend und mit Tränen der Glückseeligkeit in den Augen. Alle essen so schön, allen schmeckt ihre Suppe so gut, ach, das Leben hat sich doch für sie gelohnt…

Wir anderen beobachten uns gegenseitig und ich sehe, daß Manni sich seine Serviette so geschickt umgebunden hat, dass er direkt hinter dem oberen Rand hinter der Serviette ausspucken kann.
Sandy schiebt den Teller weg: „Ach Gott, da ist ja ein bißchen Speck drin, ich hab‘ doch meine vegetarische Woche.“
Und meine Frau nimmt ihren Teller und sagt: „Ich muss ja noch zum Arzt und nüchtern bleiben. Ich nehm’s mit hoch und esse es später.“ Und schon ist’se weg, die Hexe!

Antonia mampft, als habe sie noch nie in ihrem Leben irgendetwas zu essen bekommen und müsse die Nahrungsaufnahme von 20 Jahren jetzt auf einen Schlag nachholen.
Die beiden Fahrer sind frisch eingewanderte Sibirienrussen, beherrschen unsere Sprache nur rudimentär und haben in ihrem Leben schon Schlimmeres gegessen. Sie essen sowieso alles, hat Manni schon mal zu mir gesagt und sogar die Säcke mit dem Sägemehl weggeschlossen.
An ihren Handbewegungen erkenne ich aber, daß sich die beiden Männer darüber unterhalten, wie man aus den Rosenkohlkäseklößen einen hervorragenden Fischköder machen könnte.
„Tapetski kleberowski“ sagt der andere, zumindest hörte es sich für mich so an und beide lachen, essen aber tüchtig weiter.

Bleiben also Frau Büser, Antonia und ich.
Frau Büser ißt ein kleines Tellerchen voll, sie habe beim Kochen schon so viel probiert, Antonia stopft mit beiden Händen gleichzeitig, nur bei mir will sich das Zeug nicht schluckfähig verarbeiten lassen.

Wie komme ich nur aus der Nummer wieder raus?

„Schahatz!“ flötet es von der Tür her. Es ist die Hexe, mit der ich verheiratet bin, jenes bösartige Eheweib, das mich vor Minuten noch kläglich im Stich gelassen hat.
„Schatz, Du musst sofort mal hoch in die Wohnung kommen, es ist dringend! Nimm Deinen Teller mit, dann kannst Du oben essen!“ sagt sie, zwinkert mir zu und ich folge dieser schönen, eleganten und liebreizenden Fee, die mich immer so mit Glück und Freude erfüllt. Meine Retterin! Mein Engel! Mein Herz!

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#rosenkohl

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(©si)