Allgemein

Der Vereinsmeier

Optiker Leiermann hat mir mal erzählt, daß er Mitglied in über 120 Vereinen ist. Nein, er gehe nicht regelmäßig dahin und habe bei den meisten Vereinen auch gar kein Interesse am eigentlichen Vereinszweck. „Aber zu den Jahreshauptversammlungen und zu den schönsten Weihnachtsfeiern gehe ich immer hin, stelle Anträge oder halte eine kleine Rede.“
Das sei für ihn, verglichen mit den Preisen für Anzeigen in den Zeitungen, eine sehr günstige Werbung und beschere ihm eine beständige Flut von Aufträgen. „Wenn der Gesangsverein auf der Weihnachtsfeier singt, dann sitze ich im Publikum und zähle insgeheim ab. Von den 40 Sängern auf der Bühne, tragen 36 meine Brillen.“
So ist das eben unter Vereinskameraden, man fühlt sich gegenseitig verpflichtet.

Ich persönlich bin kein großer Vereinsmeier, bin in Deutschlands größtem Verein Mitglied und ansonsten nur in einem Kultur- und Fotoverein. Dort bin ich aber schon jahrelang nur noch passiv Mitglied, zahle brav meinen Beitrag und spende einmal im Jahr was für die Tombola. Einen besonderen Anstieg der Aufträge habe ich allerdings durch den Verein noch nicht verspürt, was aber in erster Linie daran liegt, daß die Mitglieder noch alle leben. Es sind zwar durchweg ältere Menschen, aber der Verein hat ein eigenes Labor, in dem auch heute noch Filme selbst entwickelt, vergrößert und abgezogen werden, so richtig mit Chemikalien, Wasser und Handarbeit. Und genau auf das ständige Einatmen konzentrierter Chemikalien führe ich das lange Leben der älteren Mitglieder zurück, das scheint innerlich zu konser4en.

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Gestern war dann aber doch ein Todesfall zu beklagen. Herr Schroth, Schriftführer und Laborwart des Vereins, hat seine Frau zu betrauern, die schon so alt war, daß sie selbst zu über Siebzigjährigen stets ‚junger Mann‘ zu sagen pflegte. Natürlich habe ich mich darüber gefreut, daß Herr Schroth mit diesem Auftrag zu mir kam, dann wandelte sich dieses Gefühl aber sehr schnell.

„Um es gleich zu sagen, ich mache das im Verein ja alles ehrenamtlich und deshalb möchte ich, daß Sie die Beerdigung für meine Frau auch ehrenamtlich machen.“

Hey, hallo, Bestatter haben immer eine gewisse Spanne, innerhalb derer sie ab- und zugeben können. Für Nachbarn, Freunde und Bekannte ist immer ein Rabatt drin, auch für solche Vereinskameraden.

Aber auf einen Rabatt war Herr Schroth gar nicht aus, er wollte das Ding komplett kostenlos haben und das kann ich so mal eben nicht machen.

„Ja, aber ich habe doch jahrzehntelang meinen Einsatz für den Verein gebracht“, protestiert er.

„Das ist ja gut und schön und Sie sind ja auch mehrfach für Ihren Einsatz im Verein geehrt worden, aber Sie können doch nicht erwarten, daß Sie nun von allen Vereinsmitgliedern irgendwelche Leistungen ohne Bezahlung bekommen, schon gar nicht, wenn es so eine teure Sache ist.“

„Wenn ich mal die vielen Stunden aufrechne, die ich schon ohne Bezahlung investiert habe, dann würdet Ihr aber alle die Augen aufreißen. Da kommen Hunderttausende zusammen, alles kostenlos und ohne Bezahlung.“

„Das ist sehr löblich und ich komme Ihnen ja auch sehr gerne entgegen, was den Preis anbetrifft, aber ganz ohne Bezahlung wird es nicht gehen.“

Er ist zerknirscht, das hatte er sich anders vorgestellt und nimmt einen neuen Anlauf: „Schauen Sie, neulich habe ich mir bei Herrn Gröber ein Pfund Rosenkohl gekauft und er hat mir einen Apfel dazugeschenkt. Auch nur weil er mich vom Verein her kennt.“

„Ich schenke Ihnen die Urne, was halten Sie denn davon?“

„Nee, ehrlich jetzt?“

„Ja, ganz sicher.“

„Das ist doch mal ein Wort!“

Er hält mir seine Hand hin, ich schlage ein und der alte Mann strahlt über das ganze Gesicht.

Ganz offensichtlich ging es ihm nur um das Wort „schenken“, auf das Wort Rabatt reagierte er gar nicht.
Also schenke ich ihm eine Urne, das macht für mich ein Mindergeschäft von 40 Euro. Bei 10% Rabatt hätte ich vielleicht 250 Euro opfern müssen.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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#Lektorin A #vereinsmeier

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(©si)