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Der Wichser im BMW

Das ist überhaupt kein richtiger Geländewagen, was der von drüben da hat. Das sieht nur ein bißchen so aus. Ein richtiger Geländewagen ist in meinen Augen ein Jeep, ein Landrover oder es steht Nissan oder was anderes Fernöstliches drauf. Auch einen Mercedes G lasse ich noch durchgehen. Aber diese ganzen Limousinen im Geländewagenoutfit finde ich persönlich Kacke. Sorry, aber so ist das.

Und der Geschäftsführer der Pietät Eichenlaub ist nun gewiss keiner, der viel durch schweres Gelände muss. Der darf den Geländewagen ja noch nicht einmal privat benutzen. Er fährt also von einer Filiale zur anderen, mal zu Kunden, mal zum Friedhof und abends steht das Auto immer schön auf dem Hof der Hauptniederlassung und der Typ fährt einen privaten 3er BMW.

Ich habe ja auch kein Geld, um meinen Mitarbeitern Firmenwagen zur privaten Nutzung hinzustellen. Dafür ist unser Unternehmen zu klein. Allerdings habe ich vor Jahren mal einen Kadett gekauft, über dessen Verwendungszweck sich die Mitarbeiter intern einigen. Irgendwie ist der immer unterwegs und erstaunlicherweise ist er das Auto mit den wenigsten Reparaturen. Mal nimmt den einer mit, weil er abends noch einen Kundenbesuch machen will, dann hat ihn ein Fahrer eine Woche lang, weil er Bereitschaft hat und seinen eigenen Wagen nicht nehmen kann (weil der was hat oder die Frau ihn braucht) usw. Das war eine echt gute Investition, so gab es seit Ewigkeiten die Diskussion „Wie soll ich denn dahinkommen?“ oder „Und wie komme ich mitten in der Nacht in die Firma?“ nicht mehr.

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Sandy hat ein Auto geschenkt bekommen. Und bevor da irgendwer was mutmaßt, will ich die Geschichte kurz einfließen lassen.
Als Sandy zu uns kam lebte sie etwa 45 Kilometer entfernt bei ihrem Bruder zur Untermiete. Eines Morgens hatte sie verpennt und das war wohl ganz eindeutig die Folge einer zu langen Fete (oder wie sagt man heute zu einer Party?) am Vorabend. Auf jeden Fall übersah sie auf dem Weg zu uns ein Schild mit dem Hinweis „geänderte Verkehrsführung“ und prasselte an der vermeintlichen Vorfahrtstraße über ein Stop-Schild und donnerte in einen Heimgetränkelieferdienst-LKW. An dem LKW war erwartungsgemäß nicht viel kaputt, aber das Renault-Cabrio ihres Bruders war nicht mehr als solches zu identifizieren. Glücklicherweise gab es keinen Personenschaden.
Es ist sogar die Polizei, doch die Dorfpolizei da draußen tat sich mit Sandys amerikanischem Führerschein etwas schwer. Die beiden Beamten, so berichtete Sandy später, hatten viel damit zu tun, zu klären, welche Klassen Sandy überhaupt fahren darf und wem das Auto nun wirklich gehört usw. Vor lauter Nebensächlichkeiten bemerkten die nicht, daß der Führerschein schon 14 Tage abgelaufen war und Sandy deutlich nahe an der Zeit war, daß der Schein hier in Deutschland gar nicht mehr gilt.

Gut, sie ist also mit einem blauen Auge davongekommen. Nun hatte sie aber ihren Bruder im Nacken, der von ihr die Kohle für den Renault haben wollte, und mich, der sie drängte sofort in Sachen Führerschein etwas zu unternehmen, denn mit dem abgelaufenen Ding durfte sie bei mir nicht mehr fahren.

Also nahm Sandy sich 10 Tage frei und flog zu ihrer Familie an die Westküste der USA. In dem Staat in dem sie lebte, konnte sie den Führerschein, weil abgelaufen, nicht mehr verlängern, sondern musste ihn neu machen. Das ist aber dort kein Problem. Man macht die Prüfung am Computer mit einem multiple-choice-Test, der viel einfacher ist als bei uns. Dann noch einen Sehtest und man bekommt sein Führerscheinkärtchen für rund 50 Dollar.
Allerdings, und das ist eine Besonderheit, haben nicht die USA als Ganzes ein Führerscheinabkommen mit der BRD, sondern für jeden US-Bundesstaat gelten da eigene Bedingungen. Der Staat in dem Sandy ihren Schein machen musste, hat ein Abkommen das besagt, daß man noch ein halbes Jahr in der BRD fahren darf und dann einen neuen deutschen Schein machen muss.
Im Nachbarstaat sieht es anders aus. Da genügt es, den Schein in der BRD einfach umschreiben zu lassen. Also rief mich Sandy aus den USA an und fragte, ob sie noch „ein paar Tage“ länger bleiben darf, um das dort zu regeln. Ich sagte zu und erbat sofortigen Bescheid, sobald sie weiß, wie lange das alles dauern werde.
Tja, und von da an habe ich von Sandy nichts mehr gehört. Es vergingen 14 Tage, drei Wochen und kein Lebenszeichen von dieser Frau.
Ihr Bruder hier in Deutschland hatte auch nichts von ihr gehört und so war ich der Meinung, daß Sandy es wohl doch vorgezogen hatte, in den USA zu bleiben.

Als vier Wochen vergangen waren, habe ich eine Kündigung geschrieben und wollte diese gerade ausdrucken, da ruft sie tatsächlich an. Quietschvergnügt, laut wie immer und völlig enthusiastisch. Sie hätte Gottweißwas für ein Theater gehabt und dieses und jenes erlebt und jetzt sei alles unter Dach und Fach, ob sie noch 3 Tage bleiben dürfe, dann käme sie auch gewiss wieder. Es war dann der letzte Satz, der mich versöhnte und die Kündigung in den Reißwolf werfen ließ: „Du kannst mir meinen ganzen Urlaub streichen, okay?“

Ich war damals heilfroh, daß ich so aus der Sache rausgekommen bin. Sandy hat schön häufiger, auch danach, solche Eskapaden gebracht, aber sie macht das in der übrigen Zeit durch ihre absolut einwandfreie Arbeit wieder gut. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, daß sie schillernd und außergewöhnlich ist und schon ein paar Mal haben mir die Fahrer, mehr oder weniger scherzhaft, unterstellt, wir hätten was miteinander, weil sie Sachen darf, die andere nicht dürfen.
Das ist manchmal eine schwierige Gratwanderung, das anderen klar zu machen.

Daß Sandy ein Auto bekommen hat, kam dann so. Sie hat alles versucht, um hier in der Stadt eine Wohnung zu finden, damit sie die 40 Kilometer Fahrt nicht zweimal am Tag hat. Dazu muss man wissen, daß das nicht nur 40 Kilometer waren, sondern dass sie in einem kleinen Ort jenseits der Wälder und Weinberge lebte, wo es quasi den ganzen Winter über Schnee und Eis gibt. Das alleine hätte Sandy ja bewältigt, aber ihr Bruder war nicht mehr bereit, ihr sein neues Auto zu leihen und ständig den Firmenkadett zu nehmen, ging auch auf Dauer nicht. Öffentliche Verkehrsmittel? Ja gibt es, zweimal am Tag, also nicht geeignet für jemanden, der Tag und Nacht Bereitschaft hat.

Irgendwann war Sandy soweit, daß sie überlegte, ob sie nicht bei uns aufhören und bei einem Bestatter in der Nähe ihres Wohnortes anfangen sollte. Das wollte ich auf keinen Fall und drängte deshalb darauf, sie solle sich doch eine Wohnung hier in der Stadt suchen.

Der Makler/Verwalter hier wollte nicht nur eine Miete von 600 Euro, sondern es sollte auch eine Kaution von drei Monatsmieten, also 1800 Euro und eine Courtage von zwei Monatsmieten gezahlt werden. Ich habe dann gesagt, daß es uns alle günstiger kommt, wenn wir jetzt einfach ein gutes gebrauchtes Auto kaufen. Aber nur ein Mal, nicht alle sechs Monate und ohne Knöllchen usw. also mit all den Auflagen, die man jungen Leuten so macht.

Sandy hat ihren Führerschein dann übrigens völlig problemlos umgeschrieben bekommen. Ich selbst habe ja noch so einen grauen Lappen, sie hat so ein EU-Kärtchen und wenn ich die Symbole und Buchstaben richtig deute, kann sie mit dem Ding wesentlich mehr Klassen fahren, als ein normaler Deutscher.

Warum erzähle ich das eigentlich alles? Eigentlich wollte ich nur ein bißchen über den Möchtegern-Geländewagen des Eichenlaub-Geschäftsführers abkotzen, der heute Morgen vor der Filiale gegenüber parkte. Der Mann hat dort tatsächlich eine Beratung gemacht. Blöder Wichser! Der hat uns einen Kunden geraubt, geklaut, weggeschnappt. Pirat!

Bevor sich jemand über den Ausdruck ‚Wichser‘ aufregt: Ich spende jährlich für die Vereinigung der anonymen Wichser!

Hashtags:

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#wichser

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