Geschichten

Die Fee der Nacht -1-

Es ist mitten in der Nacht und es war ein sehr anstrengender Tag. Stundenlang hatte ich mit dem Steuerberater über den Unterlagen gesessen und als es Mittag war, blieb keine Zeit zum Essen, denn eine Familie rief an und wollte umgehend bei sich zu Hause beraten werden.
Zweieinhalb Stunden später klingelte während der Fahrt das Handy, wieder ein Sterbefall, am ganz anderen Ende des Bezirks.
Gegen Abend war ich dann noch auf dem Südfriedhof und begleitete eine Familie bei der Abschiednahme.
Kaum wieder in der Firma rief mich Manni runter in die Technikräume, er kam nicht zu Potte und brauchte Unterstützung.
Todmüde bin ich um 23.30 Uhr ins Bett gefallen. Müde aber zufrieden.

Anderthalb Stunden später klingelt das Telefon.

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Normalerweise würde man ja grunzen oder knurren, aber man ist Bestatter und da hat man -auch wenn man aus dem tiefsten Schlaf gerissen wird- sofort wieder im Kopf, daß es wahrscheinlich eine Familie ist, die einen Sterbefall melden möchte.
Ich krieg die Augen gar nicht auf, als ich nach dem Hörer taste, versuche artikuliert zu klingen und scheuche die tanzenden Mohrrüben weg, die aus irgendeinem Zipfel meines Gehirns noch träumend in meine Realität schwappen. Oder waren es Elefantenrüssel?
„Wer ist da?“

Ich muss sonst nie nachfragen, aber die Frau am anderen Ende ist so leise.

Sie heißt Nathalie, sagt sie und wir sollen doch bitte mal kommen, ihr Mann sei gestorben.
Ich notiere die Adresse und den Namen und lege auf.
Scheiße!
Ich habe vergessen, zu fragen, ob der Arzt schon da gewesen ist. Ohne die Papiere vom Arzt können wir den Toten gar nicht holen.
Also nochmal da anrufen…
…geht nicht, im Telefondisplay steht nur „unterdrückte Rufnummer“.
Mist!

Na ja, der wird schon da gewesen sein, der Arzt.

Manni anrufen. Der ist genau so drauf wie ich, schmatzt nur irgendwas ins Telefon und legt auf.
Ich brauche mir keine weiteren Gedanken machen, der ist zuverlässig und außerdem sind wir Männer, da reicht ein Schmatzen oder ein Am-Po-Kratzen zur Kommunikation völlig aus.

Im Bad vor dem Spiegel erschrecke ich. Meine Güte, ich sehe aus, als hätte ich drei Nächte mit zwölf babylonischen Huren durchgesoffen.
Rasieren muss sein, ich bin zwar nicht der Barbarossa unter den Bartwüchsigen, aber es sieht trotzdem verboten aus. Drei bis zwölf Liter Wasser später und nach kräftigem Zähneputzen schütte ich mir aus Versehen das Parfüm meiner Frau über, stinke zwar jetzt wirklich nach den Babylon-Huren, sehe aber wieder aus wie jemand den ich kenne.

Von unten höre ich das elektrische Rolltor. Manni ist schon da und fährt runter in die Tiefgarage um den Bestattungswagen hochzufahren.
Mit zwei Tassen Schnellkaffee steige ich vor dem Haus zu, prömpele die Edelstahltassen in die Tassenhalter und ziehe den Zettel mit dem Namen und der Anschrift zwischen den Zähnen hervor und klemme ihn ans Armaturenbrett.
Ich will die Adresse ins Navi eintippen, doch Manni macht nur „Mmmpfbrr“. Ich nicke, ich habe ihn verstanden. Mmmpfbrr bedeutet um diese Zeit: „Lassen Sie das, Chef. Ich kenne die Strecke auch so, da brauche ich kein Navi.“
Ich sage es ja, Grunzen und Kratzen reicht.

Der Steinweg ist eine der Adressen, wo man schon aus Ehrfurcht vor den alten und großen Villen leiser spricht. Die Mauern und blickdichten Hecken, die erstklassig gepflegten Grundstücke und die großen Villen verströmen den Duft von altem Geld, Reichtum und gehobenem Lebensstandard.
Es stehen keine Autos auf der Straße, hier hat man für seine Jaguars Garagen.

Nummer 7 ist eine weiße, dreigeschossige Villa mit vielen Erkern und Türmchen. Über hundert Jahre alt und doch in jedem Detail erkennbar hochmodern ausgestattet.
Das sieht man schon am Tor und an den Lampen und der Videosprechanlage aus Edelstahl.

Wir klingeln, es klickt und knackt nur in der Sprechanlage aber es spricht niemand. Um das Kameraauge herum leuchtet es kaum sichtbar schwachrot auf, dann summt es und das Tor geht elektrisch auf. Ich wollte auch schon immer so ein Tor vor meinem Grundstück.

Der Weg zum Haus ist lang und gewunden, überall von niedrigen Edelstahllampen beleuchtet und er führt uns an drei großen Doppelgaragen vorbei zum Eingang.

Und da steht sie, eine echte Fee der Nacht.
Groß, schlank, blond und nur bekleidet mit einem Hauch von einem weißen Nachthemd.
Das Licht beleuchtet die Frau von unten und Manni und ich werden ganz verlegen, wir können deutlich ihren Körper sehen, nur für einen Moment, einen -man möge es mir verzeihen- viel zu kurzen Moment, dann ist die Frau verschwunden und als wir die Treppe emporgestiegen sind und in den großen Flur des Hauses eintreten, hat die Fee sich einen hellbraunen Popeline-Mantel umgehängt. „Mir ist so kalt“, sagt sie und nur mit einer angedeuteten Handbewegung bedeutet sie uns den Weg ins Wohnzimmer.

Das Wohnzimmer hat den Charme eines Tiefkühllagers.
Ein riesengroßer, weißer, fast leerer Raum, nur ganz wenige, aber erkennbar teure, Designermöbel, ein offener Kamin, in dem kein Feuer brennt und, was viel wichtiger ist…

…vor dem Kamin liegt ein toter Mann in einer Blutlache.

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(©si)