Geschichten

Die Fee der Nacht -18-

Würdevoll geleitete Minister a.D. Brockhagen seine Gattin durch die Trauerhalle zu den reservierten Plätzen in der ersten Reihe. Sandy hatte sich bei der Dekoration von Sarg und Trauerhalle selbst übertroffen und man kann sicher sagen, daß die etwa 90 Personen, die gekommen waren, eine wirklich schöne und ergreifende Trauerfeier erlebten.

Während ein Onkel des Verstorbenen mit feierlichem Schritt ans Rednerpult trat, ging es in der Villa Brockhagen zur Sache.

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Kriminalhauptkommissar Klaus Petermann hatte der grantigen Frau von der Tratow eine Kopie des Durchsuchungsbeschlusses ausgehändigt und eine junge Beamtin blieb bei der Alten. Zwölf Kollegen hatte Petermann im Einsatz und später würden noch sechs Beamte von der Spurensicherung dazu stoßen.

Frau von der Tratow schimpfte wie ein Rohrspatz: „Wenn der Herr Minister das erfährt, können Sie Ihre Dienstmarke gleich an den Hut hängen! Das sind ja Stasi-Methoden, Sie Gestapo-Schnüffler!“

Petermann war schon auf dem Weg zu Treppe gewesen, blieb dann aber kurz stehen, drehte sich langsam auf dem Absatz um und trat zu Frau von der Tratow heran, die von der jungen Beamtin regelrecht festgehalten werden mußte.
Mit seinem Gesicht ganz nah an ihrem sagte er ganz leise: „Halten Sie die Klappe!“

Der Frau blieb das nächste Wort im Halse stecken. So ein Verhalten war die alte Adelige nicht gewohnt, doch schon wenige Sekunden später hatte Frau von der Tratow ihre Stimme wieder gefunden und zeterte lautstark durch die Halle: „Hören Sie sofort auf damit, Sie bringen hier ja alles durcheinander, ich werden Sie alle verklagen lassen!“

Petermann, der schon oben war, beugte sich über das Treppengeländer und rief nach unten: „Bringt die Frau raus, sperrt sie in einen der Wagen, die stört unsere Arbeit erheblich.“

Sofort war die Frau still und starrte stur und mit beleidigtem Gesicht auf die gegenüberliegende Wand.

„Noch einmal die Klappe aufgerissen und ich lasse Sie draußen an die Stoßstange eines unserer Wagen anbinden – oder noch besser: in den Kofferraum sperren. Haben wir uns verstanden?“

Ohne ihn anzublicken nickte die Frau stumm und machte ein versteinertes Gesicht.

Zwei Beamte durchsuchten die untere Etage, zwei waren in den Keller gegangen und vier Männer standen oben im ersten Stock und warteten auf Petermann.
Der wollte unbedingt erst mit Nathalie sprechen, bevor seine Kollegen mit der Durchsuchung des Hauses begannen.
Von Muskelpaket Ignaz war, wie Petermann es auch erwartet hatte, nichts zu sehen, der war bestimmt als Fahrer des Ministers bei der Beerdigung dabei.
Petermann fand Nathalie in ihrem Badezimmer vor, wo sie unbekümmert und so, als ob sie vom Lärm im Haus gar nichts mitbekommen habe, ihre Haare durchbürstete.

„Hallo, Frau Brockhagen“, grüßte er sie und sie winkte ihm, so als ob er ein täglicher Besucher und guter Freund sei.
„Frau Brockhagen, wir führen gerade eine Hausdurchsuchung durch, hier ist der Beschluß.“

„Muß ich weg von hier?“ fragte Nathalie mit schreckgeweiteten Augen und als Petermann den Kopf schüttelte, entspannte sie sich sofort wieder und kämmte weiter ihr Haar.
Petermann hörte, wie sie bei jedem Bürstenstrich leise mitzählte: „Tausenddreiundneunzig, tausendvierundneunzig…“
Mit einer Fingerbewegung bedeutete er einem der Beamten, bei Nathalie zu bleiben und wies dann die anderen Beamten an, die restlichen Räume, bis unters Dach zu durchsuchen.

Petermann lief ziellos durch die Räume, auch er hatte keine Ahnung, wonach sie eigentlich suchten.
Am Abend der Tat war ja schon eine sofortige Durchsuchung durch die Spurensicherung erfolgt, aber man hatte sich auf die Suche nach Munition beschränkt und nachdem man eine Schachtel mit verschiedenen Patronen in einer Kommode in der Halle gefunden hatte, war die weitere Durchsuchung nach diesem Anfangserfolg abgebrochen worden.

Immer wieder hatte Petermann gepredigt, daß man sich vom Anfangserfolg nicht blenden lassen dürfte. Abgesehen davon, daß clevere Täter schon von sich aus dafür sorgen, daß die Beamten kurz vor dem eigentlichen Versteck mit einem weniger brisanten Fundstück in die Irre geleitet werden, wird aber oft genug einfach nicht weitergesucht, wenn irgendetwas offensichtlich Passendes gefunden wurde.

Von unten rief einer der Beamten hoch: „Herr KHK Petermann? Da unten im Keller kommen wir nicht weiter, das müssten Sie sich mal angucken!“

Der Keller wirkte wie ein neu gebauter Luftschutzkeller und keinesfalls wie das Gewölbe eines so alten Hauses. Alles sauber grau gestrichen, die an der Decke verlaufenden Rohre alle dick isoliert und sorgfältig beschriftet und überall gab es Regale mit Schachteln und Kartons.
Es wirkte da unten eher wie in den unteren Lagerräumen einer Klinik, so aufgeräumt war alles.

„Schauen Sie mal hier in diesen Raum!“ sagte einer der Beamten und Petermann folgte ihm. Sie betraten einen Wirtschaftsraum, in dem mehrere Waschmaschinen und Trockner standen.

„Und?“ fragte Petermann, der nichts Ungewöhnliches entdecken konnte.

Der Kollege hob den Finger, ging dann bis zur gegenüberliegenden Wand und schritt mit großen Schritten auf Petermann zu. Dabei zählte er: „Eins, zwei, drei, vier, knapp fünf Meter.“

„Dolle Sache“, spottete Petermann. „Und?“

„Ja, jetzt kommen’se mal mit nach nebenan!“

Im benachbarten Kellerraum gab es ringsherum Regale mit Schachteln, die zum Beispiel mit ‚Weihnachten‘, ‚Tischdekoration weiß‘ und ‚Gartenfackeln‘ beschriftet waren.
Der Beamte lief wieder bis zur entlegenen Wand und schritt den Raum ab: „Ein, zwei, zweieinhalb… Gut, mit dem Regal sind es drei Meter, vielleicht etwas mehr. Merken Sie was? Da fehlen zwei Meter.
Da das da hinten aber die Außenwand sein soll, müßte das Haus da einen Knick haben – hat es aber nicht!“

„Und das bedeutet…“

„…daß da noch ein Raum verborgen sein muß.“

Petermann rieb sich die Hände: „Das wird ja immer spannender. Ist ja wie bei Edgar Wallace, jetzt haben wir auch noch Geheimräume und Geheimtüren.“

Dann stutzte der Kommissar, kratzte sich am Kinn und sagte: „Das wäre doch aber nur ein Verschlag von zwei mal drei Metern…“

„Viel größer sind Kinderzimmer heutzutage auch nicht“, erwiderte einer der Beamten.

„Los, macht das auf!“ kommandierte Petermann und trat zur Seite, damit seine Kollegen besser an das Regal konnten.

„Also, da sind keine Rollen unter dem Regal“, sagte der eine, der auf dem Bauch liegend mit einer Taschenlampe die Stelle unterhalb des Regals absuchte. Dann stieß er einen leisen Pfiff aus und rief: „Jungs, da sind Rollkugeln in den Ständern des Regals. Man muß das irgendwie verschieben können.“

Kommissar Petermann war ebenfalls näher herangetreten und rüttelte oben am Regal, aber es rührte sich nicht. „Wenn Ihr mich fragt, kann es nur wie an einem Scharnier nach vorne weggezogen werden. Seitlich ist ja überhaupt kein Platz, um es irgendwo hin zu schieben. Nebenan war doch so eine Trittleiter, holt die mal, dann könnt Ihr von oben gucken.“

Noch bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte, war einer der Kollegen schon mit dem kleinen dreistufigen Tritt herbei geeilt und ein anderer Kriminalbeamter, ein großer, langer Kerl, stieg hinauf und leuchtete oben alles mit einer starken Handlampe ab.
„Also hier ist eine Edelstahlstange, die in der Decke in einer Hülse steckt. Irgendwo weiter unten muß es einen Mechanismus geben, um die Stange zu entriegeln. Dann kann man das Regal wegziehen.
Und noch was, Leute, von hier oben kann ich deutlich erkennen, daß die ganze Betonrückwand eine bemalte Platte ist, die hinten am Regal fest ist.“

Mit vereinten Kräften räumten die Polizisten das gesamte Regal leer, nur ein Farbeimer, der über und über mit angetrockneten Farbresten überzogen war, ließ sich nicht wegnehmen.

„Festgetrocknet“, bemerkte der lange Dünne lakonisch und Petermann grinste.

„Nee, Jungs, nee, der isses!“ sagte er und ergriff den vermeintlich im Eimer festgetrockneten Pinsel und bewegte ihn. Der Stiel des Pinsels ließ sich umlegen wie ein Hebel und es machte leise ‚klack‘.
Mit beiden Händen ergriff der Kommissar die senkrechte Seitenstrebe des Regals und zog daran.
Tatsächlich, wie auf Kugellagern ließ sich das Regal nahezu lautlos und butterweich nach vorne und zur Seite klappen.

„Licht!“ rief Petermann und als er eine Taschenlampe in den Händen hielt, leuchtete er in den Raum, der sich hinter dem Regal aufgetan hatte.

„Ach, du Scheiße!“ entfuhr es Petermann.

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(©si)