Geschichten

Die Fee der Nacht -19-

Hinter dem Regal befand sich kein kleiner Raum, wie Petermann und seine Kollegen es ursprünglich erwartet hatten, sondern nur ein betonierter Gang. Man konnte etwa 90 cm tief in den etwa 1,80 Meter hohen Gang hinein blicken, dann bog er scharf nach rechts ab.

„Ach, du Scheiße“, sagte Petermann zum wiederholten Male und seine Kollegen glaubten, er sagte dies, weil er eine so unglaubliche Entdeckung gemacht hatte. In Wirklichkeit litt Klaus Petermann unter Platzangst. Solche Gänge verursachten in ihm Beklemmungsgefühle, seine Atmung wurde stoßartig und ihm trat Schweiß auf die Stirn.
Petermann schluckte, griff die Lampe etwas fester und gab sich selbst einen Ruck: „Los, Jungs, wir gehen da jetzt rein, aber haltet mal ordentlich Abstand. oder noch besser, ihr wartet und ich rufe Euch dann!“

Die Kollegen nickten und das beruhigte den Kommissar. Wenn keiner hinter ihm war, dann versperrte ihm auch keiner den Rückweg zum Ausgang, falls er doch zu starke Beklemmungen bekommen würde.

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Der Kommissar drehte den Leuchtkegel der Taschenlampe auf breit und leuchtete in den Gang hinein. Weit konnte er nicht sehen, nach etwa zweieinhalb bis drei Metern bog der Gang abermals nach rechts ab.
Petermann kapierte, der Gang führte also quasi an der Rückseite des Nebenraumes entlang, vermutlich war dieser Raum dann auch wieder etwas zu kurz, und mündete dann in einen Raum, der vom Grundriss des Kellers her außerhalb des Gebäudes liegen musste.
Er versuchte sich vorzustellen, an welcher Stelle des Hauses er sich gerade befand, wie das von außen ausgesehen hatte, aber ihm war nur der Hang, an dem das Haus lag, gegenwärtig.
Wenn es da einen unterirdischen Raum gab, dann mußte dieser im hügeligen Gelände verborgen sein.

Der Kommissar schob sich langsam durch den Gang, war rasch am Ende des ersten Stücks angekommen und bog dann nach rechts ab. Dieses Stück des Ganges war nur etwa einen halben Meter lang, dann versperrte eine silbern glänzende Edelstahltür den Weg.
Es gab keine Klinke, keinen Riegel, keine Scharniere und kein Fenster, nur eine blanke Edelstahlplatte.

Mit der starken Taschenlampe leuchtete der Kommissar jeden Millimeter des Ganges ab und entdeckte oben an der Nahtstelle zwischen Wand und Decke auf der rechten Seite eine mit einer Silikonnaht verklebte Fuge. Vorsichtig fuhr er mit dem Zeigefinger an dem Silikonstreifen entlang und fand eine Stelle, an der die Naht uneben war, so als sei das Silikon an dieser Stelle in ein kleines Loch dahinter etwas eingezogen.
Direkt daneben ging eine Naht, an der zwei Betonplatten aneinander stießen, senkrecht nach unten.
Von diesem Punkt an suchte er dann die Wand Stück für Stück im Schein der Lampe ab und schließlich entdeckte er in der Stoßnaht etwa auf Augenhöhe eine kleine Öffnung, die man auch für eine der vielen kleinen Oberflächenungenauigkeiten des Betons hätte halten können.
Petermann leuchte in das Loch und versuchte zu erkennen, ob sich da ein geheimer Mechanismus verbarg.

Zu erkennen war nichts, doch Petermann konnte sich nicht vorstellen, daß da ein hochkomplizierter Mechanismus verborgen war. Dafür war die zwar raffiniert getarnte, aber an sich doch recht einfache Hebelkonstruktion mit dem Pinseleimer zu simpel gewesen.
„Okay“, sagte er zu sich selbst: „Da läuft also hinter dem Silikon ein Draht und hinter diesem Loch steckt der Schalter.“

Er holte sein kleines Taschenmesser aus der Jackentasche und mit den Zähnen zog er den kleinen, herausnehmbaren Zahnstocher heraus. Das Messer ließ er wieder in der Tasche seiner schwarzen Lederjacke verschwinden und nahm den Zahnstocher und steckte ihn in die Öffnung.
Schon nach einem Zentimeter stieß er auf Widerstand und drückte etwas fester.
Es klickte leise und der Kommissar schaute gebannt auf die Edelstahltür. Eigentlich hatte er erwartet, daß diese nun aufschwingen würde, doch es tat sich nichts.
Vorsichtig legte Petermann seine flache Hand auf die Tür, wobei der die Taschenlampe mit dem schräggelegten Kopf auf der Schulter festklemmte. Dann schob er den Kunststoffzahnstocher nochmals in das Loch und gleichzeitig versuchte er die Tür aufzudrücken.
Das ging immer noch nicht, aber dann merkte Petermann, daß er die Tür zwar nicht aufdrücken, aber seitlich verschieben konnte.

Lautlos glitt die Tür zur Seite und Petermann leuchtete in das Dunkel hinter der Tür.
„Wow!“ sagte er, leuchtete an die Decke, tastete nach rechts in den Raum hinein, fand was er suchte und wenig später flackerten Leuchtstoffröhren auf und tauchten das was Petermann sah in ein heller werdendes Licht.

„Jungs!“ rief er über die Schulter: „Kommt her, das müßt Ihr Euch ansehen!“

Petermann betrat den Raum hinter der Schiebetür und schaltete seine Taschenlampe aus und steckte sie weg.

Vor ihm lag ein etwa 20 Quadratmeter großer Raum, der eigentlich ein Flur war, dessen Seitenwände rechts und links von stabilen Gittern gebildet wurden, hinter denen sich auf jeder Seite drei leere Zellen befanden, wie in einem amerikanischen Gefängnis.
Die Zellen hatten nur vorne ein Gitter, zwischen ihnen waren stabile Wände, Fenster gab es keine.
In jeder Zelle gab es eine gekachelte Pritsche mit einem Kopfkissen und zwei zusammengelegten Wolldecken, einen an der gegenüberliegenden Wand befestigten, herunterklappbaren Tisch und eine Toiletteneinheit mit integriertem Waschbecken aus Edelstahl. An den Wänden gab es eiserne Ringe und Ketten mit Handschellen am anderen Ende.

Die anderen Beamten trafen einer nach dem anderen ein und staunten nicht schlecht über Petermanns Entdeckung.

Der eine entdeckte Kameras und Mikrofone an der Decke des Raumes, für jede Zelle eine Kamera.
Der andere fotografierte schon alles und ein weiterer Kollege versuchte eine der Zellen zu öffnen, was ihm aber nicht gelang. Die Gitter hatten Sicherheitsschlösser für die man einen Schlüssel brauchte.

„Und was ist hinter der Tür am anderen Ende?“ fragte der lange Dünne und Petermann sagte: „Seht halt nach! Mein Bedarf an Entdeckungen ist für heute fast gedeckt, würde ich sagen.“

An der gegenüberliegenden Wand gab es wieder eine glänzende Edelstahltür, aber im Gegensatz zur ersten Schiebetür hatte diese drei schwere Hebel, wie man sie von Kühlhaustüren kennt.

Der Lange legte die drei Hebel um und stieß die Tür auf. Hier lag der Lichtschalter außen und der Lange betätigte ihn.
Petermann trat näher und sah an seinem Kollegen vorbei in das Dahinterliegende…

„Das gibt’s doch nicht!“ staunte Petermann: „Und das alles unterirdisch!“

Er trat ein und die Kollegen folgten ihm.

Sie befanden sich in einem etwa 45 Quadratmeter großen Raum. Im Gegensatz zu den Räumen und Gängen zuvor, war hier kein Quadratzentimeter Beton zu sehen. Der Boden war mit teuren schwarzen Steinplatten ausgelegt, auf denen mehrere Teppiche lagen, die Wände tapeziert und die Decke weiß gestrichen.
Der Raum war eingerichtet, wie das Gemach einer Prinzessin.
An der langen Wand dominierte ein großes, prunkvolles Ehebett mit Himmel und ansonsten gab es Kommoden, zwei große Schränke, eine durch eine Holztafel abgeteilte Waschecke mit Dusche und Toilette und natürlich gab es einen Tisch und mehrere Stühle.

„Fehlt nur noch der Fernseher, dann könnte man es hier aushalten“, sagte der Lange und Petermann deutete auf die eisernen Ringe an den Bettpfosten und auf die Ketten und Handschellen daran: „Ja, wenn das da nicht wäre und wenn die Tür von innen zu öffnen wäre.“

So ganz verstand der Kriminalhauptkommissar noch nicht, was es mit den Zellen im vorherigen Raum auf sich hatte, aber er war sich sicher, daß er den Raum gefunden hatte, in dem Nathalie Brockhagen eingesperrt gewesen sein mußte.
Hatte sie sich befreien können und war es ihr gelungen, ihren Peiniger zu töten?
Sollte das schon die Lösung des Rätsels sein?

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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Soe
11 Jahre zuvor

Wow, klingt wie eine Mischung aus Natascha Kampusch und Hollywood-Folterkeller.

11 Jahre zuvor

Ich dachte auch gerade, Prokopil meets Fritzl… 😀

Malki
11 Jahre zuvor

Himmel noch eins…Ich glaub ich sterbe gleich vor Spannung…

11 Jahre zuvor

Stieg Larsson winkt freundlich von drüben. 🙂

robertd
11 Jahre zuvor

Na das wird ja noch spannend 😀
Interessant ist vor allem die Art und Weise, wie das unterirdische Reich ausgestattet ist – der junge Brockhagen hat das sicher nicht wie Priklopil und Fritzl selbst ausgebaut, vielmehr muss es da mehrere Mitwisser geben… ob die irgendwo im Boden einbetoniert wurden?

11 Jahre zuvor

Stieg Larsson meinetwegen aber bitte keinen Dan Brown mit rein tun.

PinkBlume
11 Jahre zuvor

Gut, dass ich mittlerweile weiß, dass Tom nicht nur Bestatter, sondern auch Autor ist. Ansonsten hätte ich jetzt Angst… Aber so kann ich die Geschichte voller Spannung lesen und mich auf den nächsten Teil freuen. Das ist wie ein schöner Krimi…
Wenn es noch ein paar Teile gibt, ist das so viel Lesestoff wie ein gutes Buch. Da muss ich unbedingt noch einmal gucken, wie das hier mit dem Spenden läuft!
Weiter so Tom! Bitte bitte! 🙂

Big Al
11 Jahre zuvor

@ kall.
Eine Prise früher Steven King vielleicht?
B. A.

Nane
11 Jahre zuvor

Muah… Ich sterbe! Genial!
Ob das ein geheimer SM-Keller ist? 😉

Flocke
11 Jahre zuvor

Ich und m eine Neugier…nun dachte ich mir heute morgen, das ich nicht mehr weiterlese bis der letzte Teil veröffentlicht wurde. Dann las ich doch und freute mich nach Teil 18 das ich ja gewartet habe und gleich Teil 19 hinterherlesen kann und nun bin ich verzweifelt 🙂

Oliver
11 Jahre zuvor

Nach sechs Staffeln Criminal Minds sollte einem keine Grausamkeit mehr fremd sein, doch das hat mich doch ziemlich geschockt. Ich hab vermutet, dass hinter der Wand ein kleiner Raum für Natalie ist, und kein Gefängnis, in dem der Tote bis zu drei Frauen gleichzeitig unter Kontrolle halten konnte. Irgendwas sagt mir, dass er die Frauen so lange gepeinigt hat, bis das Stockholm-Syndrom einsetzte und er sich eine der Frauen (Natalie) gefügig machen konnte. Die anderen Frauen… wer weiß, vielleicht graben die Ermittler auch mal den Garten um, möglicherweise…

simop
11 Jahre zuvor

[img]http://dj-chaoten.de/forum/images/smilies/cliff.gif[/img]

Alwin
11 Jahre zuvor

Liegt da irgendwo auch Stroh rum?

11 Jahre zuvor

@B.A. Nee, bloß nicht. Ich hab mal in das Kuschtierdingens reingelesen und beschlossen, dass meine Welt diesen Autor nicht braucht. Und die Filme sowieso nicht.

Eine Prise E.A. Poe vielleicht noch zum Abschmecken.

Big Al
11 Jahre zuvor

@ kall. Habe auch noch Bram Stoker hier rumliegen, also zwei Bücher von ihm.
B. A.

Micha I
11 Jahre zuvor

kann mir schwer vorstellen, das es so was im real live gibt….Krass.
Jaja, die feine Gesellschaft… Nach aussen hin spießig und in Wirklichkeit….

Uli-mit-Hut
11 Jahre zuvor

… ICH WILL TEIL 20 !!!!!!!! …. BIIIIITTTTTTEEEEE !!!!

bellenoir
11 Jahre zuvor

@16 – das schlimme ist das es nichts gibt was es nicht gibt.

🙂 ich bin weiterhin gespannt wie es weiter geht!!!

Sascha
11 Jahre zuvor

@14 – kall: es gibt auch sehr gute Geschichten von Stephen King. Ich würde Dir bspw. ‚mal die sehr untypische Novellensammlung „Frühling, Sommer, Herbst und Tod“ (engl. Different Seasons) ans Herz legen und auch besonders die beiden Verfilmungen „Die Verurteilten“ und „Stand by me“, die beide auf je einer dieser Novellen basieren.

Mat
11 Jahre zuvor

Tja, Ende …

Die Verdächtigen berufen sich auf Ihr Recht zu Schweigen, Spuren werden keine gefunden. Und wegen eines Geheimganges, 3 Zellen und einem gemütlichen Kellerzimmer kommt niemand in den Knast. 😉

Gute Nacht!

Sara
11 Jahre zuvor

Geeee ist das spannend, damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Der Keller erinnert mich an gewisse Räumlichkeiten aus der Geschichter der O. vermischt mit Räumlichkeiten aus ettlichen Horrorstreifen. Ich hätte ja erst an eine Art Operationssaal anstatt einem Schlafzimmer gedacht…Es ist und bleibt spannend.
Ein wirklich fesselnder Schreibstil…Aufregend 🙂 Weiter machen. Ich such dann mal die Kaffeekasse 🙂

fisch
11 Jahre zuvor

Aaaah. Wie soll ich denn jetzt schlafen können, wenn ich nicht weiß, wie es weitergeht? D:
Sehr schöne, spannende Geschichte, weiter so. (Schnell!)
LG

Nicole
11 Jahre zuvor

ich muss zur Arbeit und poste das deshalb hier, bitte mal überprüfen?
http://bestatterblog.de/

lya
11 Jahre zuvor

wunderbar Tom, wie Edgar Wallace.
Was ist wenn der Sohn/Ehemann nicht ermordet wurde, sondern ein gewaltätiger Kumpel/entfernter Verwandter (wegen dem Blaumann)?
Tom mit diesem Krimi übertriffst du dich selbst.

11 Jahre zuvor

Ich kann die Spannung kaum mehr aushalten!

Tinchen
11 Jahre zuvor

Oh menno, das ist soooo anstrengend!

schon mal darüber nachgedacht?
http://www.wandtattoos.de/products/Wandbanner/Motive/Wandbanner-Freeclimber.html
oder darüber?
http://www.kunsthandwerker-markt.de/shop/bronze-miniaturen-hoepke/metall/metall-skulpturen-figuren/bronze-miniaturen/freeclimber-im-ueberhang.html

Wenn ich bei Dir arbeiten würde, ich würde Dir das im Namen aller Blogleser zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken, damit Du immer vor Augen hast wie gemein Du zu uns bist! 😛

11 Jahre zuvor

Ich geh noch tot!! Echt mal..Es ist einfach zu spannend.




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