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Die Gedanken sind frei

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Wenn man dieses Weblog hier liest, dann könnte man den Eindruck gewinnen, daß wir es nur mit einer schrägen und abgedrehten Kundschaft zu tun haben. Das ist aber natürlich nicht der Fall. tatsächlich haben wir eine ganz normale und „durchwachsene“ Kundschaft mit ganz vielen, sehr lieben und netten Kunden und eben einigen von der „besonderen Sorte“. Über die vielen Normalen zu berichten, würde sich nicht unbedingt lohnen, ihre Geschichten sind unspektakulär und brächten dem Weblog keine Würze. Was man hier also im Normalfall zu lesen bekommt, ist eine Essenz der Besonderheiten.

Ein normaler Sterbefall, was ist das aus der Sicht des Bestatters?
Nun, es kommt eine Person (in unseren Beispielen ja meistens eine Witwe) zu uns, hat das Stammbuch dabei und beauftragt uns mit der Bestattung eines Verwandten. Ich würde mal sagen, daß das 90% aller Bestattungen sind, die so ablaufen. Diese Menschen wünschen eine Bestattung, die sich nicht vom Gros der übrigen Bestattungen abhebt. Sie wollen nicht protzen, sie wollen nichts „Ärmliches“, sie wollen einfach nur in ihrer Trauer und der Art und Weise, wie die Trauerzeremonie gestaltet wird, nicht auffallen.
Ich merke das ganz oft, wenn es um die Entscheidung geht, ob irgendetwas nun notwendig ist oder nicht. Selbst wenn ich darauf hinweise, daß man das nicht unbedingt braucht, beharren die Leute darauf, weil „man“ das eben so hat und nimmt.

Diese Arbeit ist unser tägliches Brot unser tägliches Einerlei, die Routine eben. Ich weiß bei den meisten Kunden schon im Voraus, was die alles wollen und könnte direkt nach dem Aufschreiben des Namens, den ganzen Bestellbogen ausfüllen. Die Kunst dabei ist es, daß man auch diesen Leuten das Gefühl vermittelt, daß sie etwas ganz Besonderes sind, daß ihr Sterbefall für uns ebenso bedeutsam und einzigartig ist wie für sie. Gerade das ergibt eine sehr hohe Kundenzufriedenheit. Denn wenn auf der einen Seite die Sache für uns sehr eingeübt und einfach ist, aber auf der anderen Seite der Eindruck entsteht, wir hätten eine ganz individuelle Leistung erbracht, ist die Zufriedenheit sehr hoch und die Reklamationsrate sehr niedrig.

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Denn auch das ist ein Eindruck, der hier im Weblog entstehen könnte, daß nämlich unsere Kunden besonders oft Anlass zur Beschwerde haben. Aber das ist durchaus nicht der Fall. Im Gegenteil, wir sind sehr stolz darauf, daß wir nur in den wenigsten Fällen Beschwerden bearbeiten müssen. Aber es liegt in der Natur eines solchen Weblogs, daß man natürlich genau diese Geschichten herauspickt und hier kolportiert, bei denen es Ärger gegeben hat.

Wie ich bereits gestern in einem Kommentar zu meinem eigenen Artikel ausführte, ist der Anteil an Lehrern, die wir bedienen, besonders hoch. Nicht weit entfernt haben wir alle möglichen Schulen und der benachbarte Stadtteil ist der, in dem die Beamten, Lehrer, Richter und Staatsanwälte usw. besonders gerne wohnen.

Ob Lehrer nun besonders viel oder besonders wenig arbeiten, kann ich pauschal nicht beantworten, ich persönlich bin mit einigen befreundet und meine feststellen zu können, daß es welche gibt, die es tatsächlich wesentlich besser haben, als andere Arbeitnehmer und daß es aber auch solche gibt, die so extrem in die schulische Arbeit eingebunden sind, daß ich mit denen bestimmt nicht tauschen wollte. Ich denke mal, daß bei der Einschätzung von Lehrern auch immer eine große Portion Sozialneid eine Rolle spielt. Oft genug habe ich vor Schulklassen gestanden und mir gedacht, daß ich in der heutigen Zeit ganz gewiss nicht gerne Lehrer wäre. Soviel könnten die mir gar nicht bezahlen, daß ich mir den kaugummikauenden, handyspielenden und MP3-Player hörenden aufsässigen und desinteressierten Multikultimix da geben wollte.

Was aber tatsächlich wahr ist -und das wird mir von allen Kollegen auch immer wieder bestätigt- ist die Tatsache, daß Lehrer ein besonders schwieriges Klientel sind. Ich habe so den Eindruck, daß es sich dabei um Menschen handelt, die es gewöhnt sind, 6-8 Stunden am Tag alles besser wissen zu müssen und diese Haltung auch auf die Kundengespräche bei uns transferieren. Keine andere Kundschaft würde es wagen, ausgerechnet mir erklären zu wollen, wie ich meine Arbeit zu machen habe, Lehrer machen das aber.

Ich erinnere mich an eine Lehrerin, die für ihre Frau Mutter für die Todesanzeige einen bestimmten Psalm ausgewählt hatte. Welcher das war, weiß ich nicht mehr; jedenfalls haben wir den Psalm aus unserer Bibel exakt abgeschrieben. Den Entwurf bekamen wir dann mit roten (!) Korrekturzeichen zurück, weil Frau Lehrerin Satzbau und Zeichensetzung der Heiligen Schrift verbessert haben wollte.

Ein anderer Lehrer hatte sich auch einen Psalm ausgesucht. Nun enden manche Psalmen mit dem Wort „SELA“. Kein Mensch auf dieser Welt weiß heute genau, was damit gemeint war. Manche sagen, es sei eine Art Betonungshinweis, andere meinen, hierdurch sei der Refrain gekennzeichnet und wieder andere meinen, das könne auch ein Hinweis für die musikalische Begleitung beim Vortrag der Psalmen sein. Und selbst wenn irgendwer weiß, was dieses SELA zu bedeuten hat, es ist auf keinen Fall ein vortragenswerter Bestandteil der Psalmen und wird nicht mit vorgelesen oder zitiert. Genau aus diesem Grund haben wir auf den Totenbriefen beim Abdruck des Psalms dieses SELA weggelassen. Das aber fand der Herr Lehrer ganz und gar nicht richtig, denn ausgerechnet dieses SELA ist in diesem Psalm seine Lieblingsstelle gewesen. Mein Gott! Wenn der das will, drucke ich dem fünfzig SELAs auf seine Briefe, ist mir doch egal. Aber die herablassende, besserwisserische und uns als absolut Ungebildete Kretins einstufende Art, in der er uns behandelte, die ist mir heute noch sehr gut in Erinnerung.

Es sind Sätze wie: „Wenn Sie nicht wissen, wie Sie ihren Job zu machen haben, dann….“ und „Bestatter sind nicht die Klügsten, das weiß man ja, aber…“ und ganz besonders gerne: „Wir Philologen sind da aber der Meinung, daß…..“

Ich summe dann immer ganz leise die ersten Zeilen meines Lieblingsliedes „Die Gedanken sind frei“, das ich dann immer so interpretiere:

„Die Gedanken sind frei,
du kannst mich mal lecken.“

(Für alle die es interessiert, habe ich den Text des Liedes weiter unten mal angefügt.)

Ich möchte hier keine Lehrerschelte absondern, auch wenn das jetzt so aussieht. Wie ich eingangs schon erwähnte, sind es die besonderen Geschichten, die man berichtet und die einem in Erinnerung bleiben. Ich erinnere mich an eine Lehrerfamilie, die innerhalb von zwei Jahren von immerhin vier Sterbefällen betroffen war. Dieser Lehrer war einer der angenehmsten und nettesten Kunden überhaupt. Aber es bleibt so ein bißchen der Eindruck, daß Lehrer an sich nicht zu den einfachsten Kunden gehören.

1. Die Gedanken sind frei
wer kann sie erraten?
Sie fliegen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen
mit Pulver und Blei:
Die Gedanken sind frei!

2. Ich denke, was ich will
und was mich beglücket,
doch alles in der Still’
und wie es sich schicket.
Mein Wunsch, mein Begehren
kann niemand verwehren,
es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei!

3. Und sperrt man mich ein
im finsteren Kerker,
das alles sind rein
vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken
zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei:
Die Gedanken sind frei!

4. Drum will ich auf immer
den Sorgen entsagen
und will mich auch nimmer
mit Grillen mehr plagen.
Man kann ja im Herzen
stets lachen und scherzen
und denken dabei:
Die Gedanken sind frei!

5. Ich liebe den Wein,
mein Mädchen vor allen,
sie tut mir allein
am besten gefallen.
Ich bin nicht alleine
bei meinem Glas Weine,
mein Mädchen dabei:
Die Gedanken sind frei!

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#frei #gedanken #sind

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