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Die grauen Herren

In einem Kommentar erwähnte ich es schon, will es aber nochmals kurz erzählen. Es ist tatsächlich eine ganze Weile vorgekommen, daß die kommunalen Friedhofsdiener während der laufenden Trauerfeier in die Trauerhalle kamen und einfach den Sarg rausgefahren haben.

Wie war es dazu gekommen?

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Die Trauerhalle auf dem Hauptfriedhof wird von fast zwei Dutzend Gestalten in dunkelblauengrauen Anzügen bevölkert, keiner weiß was die alle dort machen. Bekannt ist lediglich, daß es sich um städtische Bedienstete handelt. Einige kümmern sich um die Aufbahrungszellen, andere nehmen neue Verstorbene an, wieder andere sind Sargträger und fest steht: Wenn ich diese Halle verwalten würde, käme ich mit einem Viertel an Personal aus.

Der Chef der Trauerhalle heißt Herr Fliegacker, ist klein, kugelrund und hat immer eine dicke Zigarre im Mund. Böse Zungen sagen, der sei vorher bei der Straßenreinigung gewesen, habe aber dann nicht mehr in diese Miniautos gepasst, mit denen die Straßenkehrer heute herumfahren. So hat jeder der Bediensteten dort seine Vita. Man darf aber keinen nach seiner eigenen Vita fragen, dann sagen alle nämlich, daß sie schon immer zur Trauerhalle gewollt haben, was aber nicht stimmt denn alle Müllwerker, Straßenreiniger und Grünflächepfleger träumen davon eines Tages zur Krone der Schöpfung aufzusteigen und den Traumjob schlechthin zu bekommen, nämlich städtischer Schulhausmeister zu werden.

Leider sind diese heißbegehrten Stellen aber auf viele Jahre besetzt, denn wer einmal den zeptergleichen dicken Schlüsselbund eines Schulhausmeisters geschwungen, den hermelingleichen Hausmeisterkittel getragen und in einer städtischen Hausmeisterwohnung gewohnt hat, der will um nichts in der Welt zurück auf das schaukelnde Trittbrett am Ende eines Müllautos.

So gibt es also unter den Friedhofsbediensteten, ich sagte es schonmal, eine ganze Reihe von Männern, die so doof sind, daß sie regelmäßig eben von jenem schaukelnden Trittbrett heruntergefallen sind. Harte Worte, aber wahre Worte.
Nun kenne ich natürlich wesentlich mehr Friedhofsbedienstete als andere Leute es tun. Und selbstverständlich gibt es unter ihnen auch etliche die fleißig, klug und sehr bemüht sind. Ja manche sind so nett und führen ihren kleinen Vorstadtfriedhof so ordentlich, daß manche alte Leute sich tatsächlich dort begraben lassen wollen, weil der Herr Schmidt ihnen schon so oft geholfen hat.

Aber so im Gros und in dieser Ansammlung dort in der Halle auf dem Hauptfriedhof sind das in meinen Augen alles faule Bengels, die nur auf der Suche nach Gelegenheiten sind, sich vor irgendeiner sinnvollen Arbeit zu drücken.

Da fanden es die Herren im grauen Anzug ganz prima, als der Hallenchef Fliegacker ausgetüftelt hatte, die Trauerfeiern ließen sich zeitlich doch noch mehr raffen, dann könne man den Beerdigungsbetrieb statt um 14 Uhr schon um 13 Uhr enden lassen.
Das wiederum hatte zur Folge, daß die Trauerfeiern netto 22 Minuten dauern durften. Die Friedhofsleute machen die große Tür der Halle auf und während die Trauergemeinde einzieht, sieht sie noch, wie die vorherige Trauergesellschaft durch die hintere Seitentür hinausgeht. Von der anderen Seite wird der Sarg hereingeschoben und kaum ist die vorherige Gemeinde draußen, fängt auch schon die Orgel an zu spielen, der Pfarrer zieht ein und wenn man Glück hat, sitzt die Trauergesellschaft gerade eben, wenn die Zeremonie schon losgeht. Exakt nach 22 Minuten kommen die grauen Männer herein. Im günstigsten Fall bleiben sie noch einige Sekunden neben dem Sarg stehen und geben dem Pfarrer die Chance, einen Schlußsatz zu sprechen, im ungünstigsten Fall schieben sie den Sarg einfach hinaus.

Dadurch, daß zwischen den einzelnen Feiern keine Pause mehr war, sparte man über den Vormittag verteilt tatsächlich eine ganze Stunde ein, das gefiel den einfachen Männern und mit nichts waren die dazu zu bewegen, von ihrem Tun abzulassen. Selbst Beschwerden höheren Orts ergaben nichts.

Den Spuk haben die Bestatter dann beendet, indem sie konsequent auf eigene Kosten immer die doppelte Bestattungszeit gebucht haben. Das kann man nämlich, weil bei manchen Trauerfeiern auch Reden gehalten werden oder ein Chor singen will. ja und das kann man nicht einfach so machen, sondern muß bei allen zeitlichen Abweichungen eine entsprechend längere Nutzung der Halle buchen und bezahlen.

Das haben wir Bestatter dann aber rigoros bei jeder Beerdigung gemacht und das brachte den ganzen schönen Plan der grauen Doofies ins Wanken. Finden nämlich vormittags „große Feiern“ statt, müssen sie auch nachmittags ran, denn die anfallenden Toten müssen ja alle „abgefeiert“ werden können.
Genau eine Woche lang hielt das Bollwerk der Faulheit, dann war es denen zu bunt, auch noch um 17 Uhr anwesend sein zu müssen und schnell führte man das alte System mit 30 Minuten Feierzeit und 15 Minuten Pause wieder ein.

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