Geschichten

Die rotesten Hintern haben nur die grossen Tiere…

Es ist eine Vortragsrunde, bei der ich den Beruf des Bestatters vorstellen soll. Mir sitzen knapp 30 nette Damen und Herren gegenüber.
Ich spreche eine gute Dreiviertelstunde, berichte packend aus dem Berufsalltag, lasse humorvolle Episoden einfließen, merke, daß die Leute lächelnd an meinen Lippen hängen.
Alles läuft gut.

Am Ende lade ich die Menschen ein, mir die Fragen zu stellen, die ihnen noch auf der Seele liegen.
Eine Dame macht den Anfang, sie hat vor einem halben Jahr ihren Mann verloren, hat eine konkrete Frage, die ich leicht beantworten kann, die Frau lächelt glücklich und dankbar.
Zwei Herren haben Fragen zur Ausbildung zum Bestatter, auch diese kann ich beantworten.
Noch ein Dutzend weiterer Fragen wird gestellt, dann merke ich, daß die veranschlagte Zeit vorüber ist und ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und die nette Einladung nach XYZ.
Beifall brandet auf, die Leute lächeln freundlich…

…da meldet sich der Mann im dunklen Anzug. Er hat die ganze Zeit schon mit übereinandergeschlagenen Beinen und verschränkten Armen in Abwehrhaltung da gesessen. Jetzt schiebt der die Zunge hinter seiner Unterlippe hin und her, dann sagt er:

Werbung

„Netter Vortrag“. Dabei betont er das Wort ’nett‘ schon sehr überdeutlich. Wir alle wissen ja, die Schwester von ’nett‘ heißt ‚Scheiße‘. Die Köpfe der anderen Anwesenden fliegen herum, alle hängen nun an seinen Lippen. Es muß ein Vorgesetzter sein, das merkt man vor allem daran, daß einige bei jedem seiner Worte pflichtschuldig nicken und andere sogar seine Worte mit ihren Lippen stumm nachformen.

Der Mann beugt sich vor und sagt:

„Aber es gibt doch nicht nur anständige Bestatter, sondern auch diese Abzocker und Betrüger. Sagen Sie zu denen doch auch mal was!“

„In jeder Branche gibt es schwarze Schafe, sogar unter den Päpsten gab es welche. Es werden im Jahr fast 900.000 Bestattungen in Deutschland abgewickelt und ich würde behaupten, daß 99-Komma-irgendwas-Prozent von diesen Bestattungen zur vollsten Zufriedenheit der Kunden abgewickelt werden. Von dem verbleibenden Promillesatz an Bestattungen, die unzufriedene Kunden hinterlassen, müssen wir noch die Fälle abziehen, bei denen das Verschulden an dieser Unzufriedenheit nicht beim Bestatter liegt und die Fälle, in denen die Kunden einfach auf Krawall gebürstet sind.
Unter den dann noch verbliebenen Fällen sind ganz bestimmt auch welche, bei denen der Bestatter versucht hat, die Kunden über den Tisch zu ziehen.“

„Im Fernsehen sagen sie doch aber immer das von den Abzockern.“

„Im Fernsehen wird viel gesagt. Natürlich eignet sich ein Beruf, der sich in der Tabuzone von Tod, Trauer und Sterben bewegt, besonders gut dazu, um hier Emotionen zu wecken, an das allgemeine Pietätsempfinden zu appellieren und die Menschen selbst bei Kleinigkeiten in eine Art Skandalbereitschaft zu versetzen.“

„Jetzt widersprechen Sie sich aber selbst.“

„Tue ich das?“

„Ja, einerseits geben Sie das mit den Skandalen zu, andererseits behaupten Sie, die Kunden seien auf Krawall gebürstet.“

„Sie müssen verstehen, daß ich grundsätzlich nicht als Vertreter oder Fürsprecher der Bestatterbranche auftrete. Ich verstehe mich eher als Bindeglied zwischen den Kunden, der Branche, dem allgemeinen Interesse und den Bestattern. Ich bin weder jemand, der das Tun der Bestatter generell rechtfertigt, noch bin ich ein Verbraucherschützer.“

„Aber dann sind doch alle Bestatter Abzocker, wenn Sie die Verbraucher schützen wollen?“

„*seufz* Nein. Sie haben mich ein wenig falsch interpretiert. Es gibt in jeder Branche schwarze Schafe, auch unter den Bestattern. Deren Zahl dürfte aber geringer sein, als es uns durch die Medien weisgemacht wird.“

„Wie zocken die Bestatter denn ihre Kunden ab?“

„Die Bestatter als Masse zocken ihre Kunden nicht ab, sondern leisten einen ganz hervorragenden Notdienst rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr und die Kunden sind hinterher zufrieden und dankbar. Wenn Menschen einem der schwarzen Schafe in die Hände fallen, wird ihnen vermutlich passieren, daß Dienstleistungen und Waren überteuert abgerechnet werden und nur billig oder gar nicht erbracht werden. Schlechte Vertreter der Branche werden auch versuchen, die besondere Trauersituation der Hinterbliebenen auszunutzen, um einen besonders hohen Profit zu machen, etwa indem er ihnen nur die teuren Alternativen aufzeigt, unnötige Produkte und Dienstleistungen aufschwatzt oder normalerweise kostenlose Selbstverständlichkeiten zusätzlich teuer in Rechnung stellt.“

„Ich finde es skandalös, wie Sie hier den Betrügern das Wort reden.“

„Das tue ich keineswegs. Wer unredlich arbeitet, soll dafür die Konsequenzen tragen…“

„Also geben Sie zu, daß Bestatter unredliche Leute sind, ha, hab‘ ich doch gleich gesagt!“

Den weiteren Verlauf schildere ich nicht mehr, man kann sich denken, daß das noch eine Weile so hin und her gegangen ist. Jedes noch so wohlformuliert vorgebrachte Argument, jede noch so sachliche Aussage wurde mit einer völlig substanzlosen und provokativen Frage wieder kaputt gemacht.
Nach wenigen Minuten saßen nahezu alle Teilnehmer mir geschürzter Unterlippe und verschränkten Armen da, die Paviane folgen dem mit dem rotesten Hintern…

Es ging noch ein paar Mal hin und her, dann verabschiede ich mich endgültig, bedanke mich nochmals bei den Teilnehmern, doch dieses Mal nicken diese mir noch allenfalls höflich zu, ich blicke nur noch in ängstliche und ablehnende Gesichter.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)