Menschen

Die Schildkröte

Den Wetterbericht gucke ich immer nur zufällig, wenn überhaupt. Ich habe keinen großen Bezug zu Wettervorhersagen. Die stimmen entweder oder sie stimmen nicht. Meistens sollen sie ja stimmen und je kürzer der Vorhersagezeitraum, umso genauer sollen die ja sein.
Okay.

Aber so genau wie der Vogel Wetterben das voraussagen kann, so genau sagt das der Nagel in meinem linken Hüftknochen auch voraus. Merk‘ ich nix, bleibt’s Wetter so; zieht’s, dann ändert es sich.
Zu 65% habe ich mit meinen körperbedingten Prognosen recht, eine gute Quote, wie ich finde.

Daß es heute regnen würde, das war eigentlich klar. Es hat gestern schon geregnet und heute Morgen hing der Himmel voller Geigen, wie meine Oma zu sagen pflegte.

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Also machten wir bei der heute anstehenden Beerdigung auf dem Westfriedhof alles regensicher.
Manni fuhr schon in aller Frühe zwei auffaltbare Pavillons dorthin und stellte einen übers Grab und einen auf den breiten Weg davor. Eine Plane für den Boden und acht Klappstühle für die nächsten Angehörigen.
Vorne rechts am Pavillon ein Blecheimer mit einem halben Dutzend schwarzer Automatik-Regenschirme und nochmals einen Eimer mit Regenschirmen am Ausgang der Trauerhalle.

Wenn es schon regnet, dann soll wenigstens die richtige Ausrüstung bereit stehen und alles so sein, daß man wenigstens am Grab nicht im Lehm versinkt.
Der Ministrant kam dann leicht in Gewissensnöte, weil er sich kurzfristig nicht entscheiden konnte, ob er beim Verlassen der Trauerhalle lieber den Stab mit dem Kruzifix oder einen Regenschirm nehmen sollte. Der Pfarrer nahm ihm die Entscheidung und den Stab ab und so nahm der Ministrant dann den Schirm.
Nötig war es, denn just mit dem Bimmeln der Totenglocke hatte der Regen eingesetzt.

Vorneweg zwei Friedhofsarbeiter mit dem Sargwagen und dem Sarg, dahinter der Pfarrer mit seinem Ministranten und dahinter die Hinterbliebenen. Ein kleines Grüppchen nur, vielleicht zehn oder zwölf Leute. Dahinter Manni mit dem Kranz- und Blumenkarren.
Fast alle hatten sich einen Schirm genommen und so glich die Gruppe der Trauernden einer riesigen schwarzen Schildkröte.
Doch ab und zu, so alle fünf bis sechs Meter, stieß ein kleines Männlein mit flinken Schritten unter dem Regenschirmpanzer hervor, hüpfte neben dem Sarg her, zückte ein Päckchen Papiertaschentücher, dann ein einzelnes Tüchlein daraus und wischte die Regentropfen vom Sarg ab.

„Mein Gott, der wird ja ganz nass, der war doch so teuer, mein Gott, mein Gott!“

Dann wieselte der Wischer wieder unter den Schirmpanzer.

Sollen wir über den Kauf eines Baldachins nachdenken, den vier Männer zum Schutze des Sarges tragen könnten?

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(©si)