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Die zwei Schwestern

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Ziska und Friedchen heißen sie, also eigentlich Franziska und Elfriede. Ziska ist 72 Jahre alt und ihre Schwester Friedchen 77.
Die beiden Schwestern sind niemals von zu Hause ausgezogen und wohnen demnach schon 72 Jahre zusammen unter einem Dach. Ihr Haus, von den Eltern geerbt, ist ein schönes dreigeschossiges aber schmales Fachwerkhaus im Süden des Stadtteils, dort wo die wohnen, die zu Geld gekommen sind oder eben die, die schon immer da wohnten, wie unsere beiden alten Damen.

Der längst verstorbene Vater der beiden war Zoologe, Jäger und Afrikakenner und so strotzt das alte Haus von ausgestopften Tieren vor allem vom schwarzen Kontinent. Wenn man das Haus betritt glotzt einem schon im Treppenhaus ein glasäugiger Gnuschädel entgegen und die Wände sind vollgehängt mit toten Vögeln und allerlei pelzigem Getier. Auch ein dicknasiger Elch schaut einen mit etwas arrogantem Blick ziemlich von oben herab ab.

Überhaupt scheinen die Frauen an dem Haus seit Ewigkeiten nichts mehr verändert zu haben, da wirkt der Farbfernseher im Wohnzimmer schon fast wie ein Fremdkörper. Doch was sage ich? Der Fernseher? Nein, es sind die Fernseher, da stehen nämlich zwei, der eine hüben und der andere drüben an der Wand. In der Mitte des Raumes stehen zwei Sofas Rücken an Rücken und das ist bezeichnend für die Beziehung der zwei alten Frauen zueinander.

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Ziska hatte in jungen Jahren einmal einen Mann kennengelernt, der sie aber trotz Verlobung nicht geheiratet hat. Die Schuld daran gibt Ziska ihrer Schwester Friedchen, die mit diesem Emil herumposiert haben soll. Seitdem sprechen die beiden kein Wort miteinander, leben aber unter einem Dach, tun alles -aber wirklich alles- gemeinsam und dennoch jede für sich.

Sieht die eine fern, tut es auch die andere, auf einem anderen Kanal versteht sich und damit man sich nicht mehr als notwendig ins Gehege kommt, tragen sie dabei Kopfhörer. Hat die eine Hunger und macht sich was, will auch die andere essen, die eine kalt, die andere warm und dann sitzt man, sich die Rücken zukehrend an zwei verschiedenen Tischen in der Küche und ißt schweigend.

Das heißt, obwohl die beiden offiziell seit 55 Jahren nicht miteinander reden, müssen sie ja irgendwie miteinander kommunizieren. Und das mitzuerleben ist schon reichlich merkwürdig und lustig zugleich.
Die Schwestern reden mit sich selbst und über die andere jeweils in der dritten Person.

Ziska: „Ach was bin ich müde, ich geh ja jetzt nach oben, ob Friedchen wohl auch müde ist?“
Friedchen: „Wenn die Ziska nach oben geht, lege ich mich auch hin.“

Dabei schaut man sich konsequent nicht an, richtet niemals das Wort direkt an die andere und geht hocherhobenen Hauptes aneinander vorbei.
Man schenkt sich keine Aufmerksamkeit aber sehr wohl etwas zu Weihnachten und zum Geburtstag. Das liegt dann kommentarlos und quasi anonym einfach so da.

Ich bin in dieses morbide Schwesternkabinett geraten, weil Ziska sich entschlossen hat, eine Bestattungsvorsorge abzuschließen, es sei ja später niemand da, der mal ihr Grab pflegen könne. Selbstverständlich hat auch Friedchen unverzüglich bei uns angerufen und den gleichen Wunsch geäußert.
So kam ich dann zu den beiden ins Haus und sprach mit ihnen, mal abwechselnd, mal mit jeder in einem anderen Zimmer und immer beäugt von toten Warzenschweinen und Tieren, die es vermutlich nur noch in diesem Haus zu sehen gibt.

Später mehr.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#schwestern #zwei

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