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Dresden 3

Heute Morgen habe ich alle Anwesenden antanzen lassen und mir ihre Führerscheine zeigen lassen. Entgegen der bisherigen Verfahrensweise, die Führerscheine alle 3 Monate zu kontrollieren, zu kopieren und die Kopien bei den Personalunterlagen abzuheften, werden wir das jetzt durch häufigere Stichproben flankieren.

Gestern bin ich noch sehr lang wach geblieben, obwohl ich schon recht früh todmüde war (ein Bestatter der todmüde ist, hehe). Ich wollte auf jeden Fall mitbekommen, wie Sven Sommerfeld aus Dresden zurückkommt. Mit dem Kollegen dort hatte ich noch etliche Male telefoniert. Er sagt mir klipp und klar, er hätte keinen Schaden am Fahrzeug feststellen können, aber das sei ja auch kein Wunder, einer der Fahrer sei ja Mechaniker und hätte den angeblich „abgerutschten Schlauch“ vorne am Motor repariert. Aber hallo! Ich bin doch nicht doof. Das ist ein Einspritzer und der hat im Motorraum keine Benzinleitung aus Gummi, die einfach irgendwo abrutschen kann.

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Mir ist, wie vielen von Euch, klar, daß mich Sommerfeld leimen wollte, was mich aber sensationell stutzig machte, war die Aussage des Dresdners, daß „einer der Fahrer“ die Reparatur gemacht hätte. Sommerfeld ist alleine gefahren.
Ich habe extra nochmal nachgefragt, vielleicht hatte unser Fahrdienstleiter ja was anderes angeordnet, aber nein, Sommerfeld war alleine für Dresden eingeteilt und mir fehlt auch sonst kein Mann im Team.

Um 23.45 Uhr höre ich, wie der elektrische Motor das Schiebetor zum Hof auffährt und leise ein Wagen auf den Hof rollt. Ich gucke aus dem Fenster und sehe unseren Bestattungswagen, wie er rückwärts die Abfahrt zum Keller runterfährt. (Nebenbei bemerkt: Da unten ist so gerade eben Platz, daß die Wagen auch wenden können, nur der der als Letztes kommt, hat die Arschkarte gezogen, der muß rückwärts einparken.)
Ich sehe aber auch, daß eine weitere Person vom Hof huscht, merkwürdig.

Während das Rolltor zum Keller zufährt, fahre ich schon mit dem Aufzug runter und als ich unten ankomme, ist Sommerfeld gerade damit beschäftigt, den Verstorbenen auf ein Fahrgestell zu ziehen. Ob es an dem Gesicht das ich mache liegt oder ob Sommerfeld während der doch recht langen Rückfahrt in sich gegangen ist, ich weiß es nicht. Er unterbricht sofort seine Arbeit, begrüßt mich freundlich, aber man sieht, daß ihn das schlechte Gewissen schwer drückt. Raskolnikow!
Er geht sofort nach vorne, holt die Mappe mit den Unterlagen und bringt sie mir.
„Was war denn los?“ will ich wissen.
„Alles Scheiße, Chef“, sagt er nur, klappt die Mappe auf und vorne direkt oben auf liegt schön aufgefächert eine Reihe von Hundertern.

„Was los war, will ich wissen!“

Sommerfeld kneift die Augen zusammen und für einen kurzen Moment sehe ich ein rebellisches Flackern in seinen Augen, trotzig zieht er die Nase hoch, doch das dauert nur den Bruchteil eines Augenblicks, dann weicht dieser Ausdruck dem großer Hilflosigkeit.

„Kann ich Sie dann mal sprechen?“ fragt Sommerfeld.

Ich nicke nur, nehme die Mappe und gehe wieder hoch, während er unten die notwendigen Verrichtungen vornimmt.

Es scheint ewig zu dauern, bis er endlich nach oben kommt. In der Halle brennt nur spärliches Licht, die Tür zu meinem Büro steht offen und nur das herausfallende Licht beleuchtet den Gang. So soll es sein, hatte ich mir gedacht, aus dem Dunkel ins Helle und dann will ich die Wahrheit hören. Genau das sage ich ihm auch: „Ich will jetzt die Wahrheit hören!“

„Kann ich mir erst einen Kaffee holen?“

„Nein.“

So ein Käffchen schafft dann doch eine gemütliche Atmosphäre und gibt ihm etwas an dem er sich festhalten kann.

Ich sehe, wie Sommerfeld mit den Augen die Sessel abtastet und kurz scheint er zu überlegen, ob und wo er sich hinsetzen soll. Ich jedenfalls biete ihm keine Sitzgelegenheit an. „Was ist los gewesen?“

Er schluckt, dann fährt er mit beiden Händen durch die Haare, starrt auf seine Fußspitzen und sagt: „Ich hab voll die Scheiße gebaut.“

Ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben soll. Er weint nicht, aber die Augen sind glasig, so als wenn das Wasser innen in den Augäpfeln ansteigt, anders kann ich es nicht beschreiben.

Fast atemlos höre ich mir seine Geschichte an. Vor mehreren Wochen hat er sein Auto an einen Kärtchenhändler verkauft. Man kennt das ja, da hängt auf einmal eine bunte Visitenkarte am Auto: Deutscher Händler möchte gerne ihr Auto kaufen. Mein Name ist Simon und ich spreche Deutsch.
Dieser Simon war mitnichten Deutscher, sondern Weißrusse, sprach aber offensichtlich Deutsch, denn mir ist nicht bekannt, daß Sommerfeld außer dem hiesigen Dialekt irgendeine Fremdsprache beherrscht und ganz offensichtlich hat er sich mit diesem Simon nicht nur unterhalten, sondern anfangs recht gut verstanden. Simon bot ihm nur einen lächerlichen Preis für sein Auto und deshalb wollte Sommerfeld das Geschäft nicht machen, denn er brauchte das Geld, um sich „ne neue Karre“ zu kaufen. Dieser Simon bot ihm daraufhin einen Deal an. Er zahle Sommerfeld noch einen Tausender weniger für sein Auto, dafür könne Sommerfeld aber einen „absolut geilen“ 3er BMW bekommen.

„Moment“, unterbreche ich Sommerfelds Erzählungen, „Sie hatten doch einen 3er BMW. Warum sollten Sie den verkaufen und sich dann wieder einen holen?“

Die Erklärung habe ich nicht genau verstanden, das liegt aber hauptsächlich daran, daß ich Leute die einen 3er BMW fahren ohnehin nicht verstehe…

Jedenfalls, so berichtet Sommerfeld weiter, habe ihn dann der Teufel geritten und er habe sich aus dem Sortiment des Gebrauchtwagenhändlers sogar einen 5er ausgesucht. „Voll geiles Teil, Chef!“
Hierzu habe ihm aber das notwendige Kleingeld gefehlt, was ihn aber nicht davon abgehalten hätte, die angebotene Probefahrt zu machen. Ja und dann habe ihn die Stärke des Motors, die gute Beschleunigung und der Sound der Musikanlage berauscht und er sei dann, ich nenne es jetzt mal so, unter völliger Außerachtlassung aller geltender Verkehrsregeln durch das Gewerbegebiet auf die Umgehungsstraße gefahren und dort sei ihm dann ein Kreisverkehr quasi urplötzlich und völlig unverhofft vor den Kühler gesprungen.

Der Rest ist eigentlich schnell erzählt. Die hinzugekommene Polizei war einerseits nicht damit einverstanden, daß sich an dem Auto keine Nummernschilder befanden und fanden es auch nicht so richtig klasse, daß Sommerfeld vor dem Gang zu Simon mit einem Kumpel „ein paar Bier gezischt“ hatte, um sich in richtige Verkaufslaune zu bringen. Logische Folge des Ganzen: „Lappen weg“, Simon im Nacken und jede Menge Ärger.
Im Langtext: Simon will natürlich den 3er BMW von Sommerfeld nicht mehr rausrücken und will obendrein noch 7.000 Euro für den 5er. Den will er nicht zurückhaben, weil der ja kaputt ist. Sommerfeld will den auch nicht, weil er sowieso „ohne Lappen“ nicht fahren kann. Aus dem dubiosen Kauf- und Tauschgeschäft hält die Polizei sich raus, von der Sommerfeld hoffte, die würden wenigstens das in Ordnung bringen.

So ist Sommerfeld also auf die Idee gekommen, er könne mich und viele andere um jeweils ein paar hundert Euro anpumpen und als ihm einer nach dem anderen das Darlehen verweigerte, kam ihm die Idee, das Handgeld der Firma dafür zu verwenden. Die Fahrt nach Dresden habe er aber ganz bestimmt nicht selbst gemacht, sondern er sei nur vom Hof und später wieder auf den Hof gefahren, an der nächsten Ecke habe er jeweils mit seinem „Kumpel“ getauscht. Der habe auch ganz gewiss den „Lappen“.
Der habe aber auch die Idee mit dem Benzinverlust gehabt…

Erst als wir ihn zu dem Kollegen in der Nähe von Dresden geschickt haben, sei er auf die Idee gekommen, daß sein ganzer Schwindel wohl doch ziemlich durchschaubar war. Auf der Rückfahrt habe er dann beschlossen, mir die volle und ganz ehrliche Wahrheit zu sagen und jetzt hoffe er auf ein mildes Urteil. Ja, Strafe habe er verdient, das wisse er ja, aber ich sei doch ganz gewiss bereit, ihm jetzt, da er doch mit der Wahrheit rausgerückt sei, aus der Klemme zu helfen und ihm das ganze benötigte Geld als Vorschuss auszulegen, oder?

Also, die ganze Geschichte knackt und knarzt an allen Ecken und Enden. Ich weiß nicht, was ich da glauben soll und was nicht. Immerhin ist fast das volle Geld noch da und das was fehlt, kann Sommerfeld durch Verwaltungsbelege und Tankquittungen belegen. Vor allem die Überbrückung des Dresdner Kollegen hat Sommerfeld nicht angetastet. „Sehen Sie, Chef, ich bin doch im Grunde eine ehrliche Haut und jetzt wo ich doch gestanden habe….“

Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen! Wenn die Vermutung der Kollegin aus dem Büro stimmt, hat uns Sommerfeld schon über einen längeren Zeitraum beim Tanken beschissen. Jetzt ist er privat in Schwierigkeiten geraten und hat versucht, mich um einen Haufen Geld zu bescheißen. Dafür hat er in Kauf genommen, daß wir möglicherweise einen Auftrag nicht korrekt ausführen können und ist obendrein, wenn auch nur zeitweise, ohne Fahrerlaubnis gefahren. Den Rest des Weges hat er unseren teuren Wagen einer mir nicht näher bekannten Person als Lenker überlassen. Ich glaube, ich spinne!

Da steht er vor mir, die Augen weit aufgerissen, macht das Gesicht eines Unschuldsengels und spielt mit seinen Fingern.
„Was ist denn nun, Chef, helfen Sie mir?“

Keiner weiß es besser als Sommerfeld, daß ich immer den Geldbeutel aufmache und helfe, wenn jemand in Schwierigkeiten ist. Und wenn an der ganzen Simon-Geschichte irgendwas dran sein sollte und Sommerfeld rechtzeitig zu mir gekommen wäre, ja und wenn er uns nicht beschissen hätte, wenn, wenn, wenn… Ja dann hätte ich ihm vielleicht auf irgendeine Weise zu helfen versucht.

Aber so? Nee, ich denke, daß Sommerfeld ab sofort recht viel Zeit und Gelegenheit haben wird, sich eine andere Stelle zu suchen.
Besser ist das.

Er hat nichts mehr gesagt, ist mir auch egal, ehrlich. Dennoch, ich habe schlecht geschlafen.

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(©si)