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Durch meine Brille

orgel

Wenn einer zu mir kommt und eine Vorsorge abschließt und er sagt, daß er nackt und ohne Brimborium eingeäschert werden will, dann bekommt er seinen Willen.
Kommt eine Familie und legt mir einen knappen Geldbetrag auf den Tisch, weil sie nicht mehr aufbringen kann, dann werden wir ihren Angehörigen für diesen Betrag unter die Erde bekommen.
Das ist bei mir so, das ist bei Stefan (der hier mitkommentiert) so und das wird bei sehr vielen unserer Kollegen so ein.

Wenn es aber darum geht, darüber zu sprechen, wie man nun einen Menschen behandelt, der verstorben ist, kann man sicherlich geteilter Meinung sein.
Die einen mögen sagen, der Mensch sei zum Zeitpunkt des Todes „vorbei“ und was nun mit der Hülle passiert sei sekundär.
Andere werden argumentieren, hier müsse eine gewisse Form gewahrt bleiben.

Ich kann nur für mich sprechen, möchte niemandem etwas vorschreiben und will es auch niemandem verbieten, sich nach dem Tod entsorgen zu lassen.
Ich ganz persönlich möchte gerne anständig behandelt werden und zwar wenn ich lebe, wenn ich bewußtlos bin, nicht mehr Herr meiner Sinne bin und auch wenn ich mal tot bin.
Ob ich in Narkose liege oder dement bin, ich möchte anständig behandelt werden.

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Bislang bin ich in meinem Leben immer sehr gut damit gefahren, andere so zu behandeln, wie ich selbst gerne behandelt werden möchte. Diese Lebensphilosophie ist nicht auf meinem Mist gewachsen, aber sie funktioniert für meinen Bereich sehr gut.

Es mag nun viele Argumente geben, die man austauschen kann, wenn es um den vorhin beschrieben Fall der 98jährigen Dame geht.
Mir ist aber in meinem doch schon recht langen Leben eines klar geworden: Die allermeisten Menschen und ganz besonders die Frauen, legen bis ins hohe Alter großen Wert darauf, schön auszusehen. Von welchem Erfolg diese Bemühungen gekrönt sind, das ist oft zweifelhaft, liegt aber auch im Auge des Betrachters.

Ganz viele alte Damen sagen bei den Vorsorgebesprechungen: „Aber tun Sie mir bitte ein ganz kleines bißchen Lippenstift drauf, das habe ich immer getragen.“
Oder sie legen großen Wert auf ihre Perücke usw.
Man möchte einfach auch noch im Tode anständig aussehen und dabei spielt es im Übrigen überhaupt keine Rolle, ob der Sarg offenbleibt oder nicht.

Ich kenne viele alte Leute, die eine Feuerbestattung allein deshalb kategorisch ablehnen, weil dann im Krematorium noch einmal eine zweite Leichenschau stattfindet, bei der sie komplett entkleidet (und oft nicht wieder angekleidet) werden.

So kann ich es mir nicht vorstellen, daß alle die Leute, die eine solche Billigbestattung bekommen, den Wunsch gehabt haben, ohne Hemd und mit vollem Höschen eingeäschert zu werden.
Natürlich könnte man argumentieren, die bekämen ja davon nichts mehr mit und ein Toter könne sich auch nicht mehr schämen.

Allerdings empfinde ich für meine Angehörigen und sogar für alle Verstorbenen, die durch meine Hände gehen, soviel Liebe, daß ich nicht möchte, daß sie so gehen müssen.
Meine Mutter hätte das nicht gewollt, mein Vater hätte das nicht gewollt und ich will das für mich auch nicht.
Wenn aber nun ein Mensch erwartet, daß er nach dem Tod anständig bekleidet und eingebettet wird, dann gebietet es mir der Anstand, ihm diese Bitte oder Erwartungshaltung auch zu erfüllen.

Wie gesagt: Wer das nicht will, der muß es auch nicht haben, wir zwingen natürlich keinen zu irgendwas, auch nicht nach seinem Tode.

Selbst wenn die Hinterbliebenen der Auffassung sind, ein toter Mensch sei eine andere Form von Sondermüll und verdiene keine weitere besondere Beachtung, so können diese Menschen ja eine entsprechende Verfügung für ihr eigenes Ableben hinterlassen und sich dann meinetwegen in Müllsäcke gewickelt zum Krematorium karren lassen. Solange aber ein Mensch zu Lebzeiten sich ein gewisses Bild davon gemacht hat, wie er nach seinem Tode behandelt wird, solange gebietet es mir der Anstand, ihm diesen letzten Dienst auch zu erweisen.

Wir sind Bestatter, keine Abfallentsorger. Wie leisten einen Dienst am Menschen, am toten wie am lebenden und so betrachten wir den Verstorbenen auch als Menschen.

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(©si)