Allgemein

Ein Stück vom Tuch

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Das hat mir sehr gut gefallen. Die Familie hat sich für einen sehr schlichten Sarg entschieden und ich habe ihnen auch abgenommen, daß sich sich bewußt für dieses Modell entschieden haben weil die verstorbene Mutter das so gewollt hat. Ansonsten sind solche Aussagen ja immer mit Vorsicht zu genießen. Man glaubt ja gar nicht, wieviele schlichte Menschen es angesichts des Todes auf einmal gibt.

Auf der einen Seite sehe ich die älteren und alten Menschen die zum Bestatter kommen und sich selbst einen Sarg aussuchen und weiß, daß kaum einer von ihnen die „Apfelsinenkiste“ will. Die meisten sagen, daß sie einen nicht zu teuren Sarg wollen, aber bitte auch nicht das Allereinfachste. Kommen hingegen die Angehörigen, dann hört man als Bestatter oft den Satz: „Mein Vater war ein schlichter Mann und hat den allereinfachsten Sarg gewollt.“
Dem Bestatter ist das im Grunde genommen egal, lieber wäre es ihm aber, die Leute würden die Wahrheit sagen, nämlich: „Wir wollen für das ganze Trallala nicht soviel ausgeben und hätten gerne was Günstiges.“

Es ist nämlich so, daß jeder Bestatter auch günstige Särge im Angebot hat und bei entsprechender Vorgabe hier gut beraten kann, denn bekanntlich ist nicht jeder Sarg für jeden Zweck geeignet.
Beharren aber Leute auf dem allergünstigsten Modell so läuft das oft auf die einfache Verbrennerkiste hinaus. Dieser Schlichtsarg hat keine Griffe, oft keine Füße, keine Deckelschrauben und ist wirklich nur dafür gedacht, einen Verstorbenen direkt vom Sterbeort zum Krematorium zu bringen. Der Sarg genügt den gesetzlichen Anforderungen, mehr aber auch nicht.

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Wir bemühen uns schon immer, daß wir Einfachverbrenner in einer entsprechenden Qualität bekommen. Experimente mit osteuropäischen Anbietern haben hier nichts gefruchtet, wir setzen da auf deutsche Fertigung. Soviel teurer sind die deutschen Särge dann nämlich auch wieder nicht. Dafür haben wir dann aber sauber gebohrte und gespachtelte Särge mit einer gehobelten Oberfläche, die man nötigenfalls tatsächlich auch den Trauergästen präsentieren kann. Das gilt umsomehr, wenn wir noch Lasur auftragen, die die Maserung hervorhebt und Schrauben und Griffe anbringen.

Für eine Erdbestattung sind solche Särge dann aber dennoch nur bedingt bis gar nicht geeignet. Je nach Bodenbeschaffenheit würden sie zu schnell zusammenfallen und die Idee hinter der Sache ist ja, daß man dem Verstorbenen in seinem Behältnis die Zeit geben will, damit er vergehen kann, bis dann schließlich auch das Holz nachgibt und die Erde nachrutscht. Einfachste Särge halten dem oft nicht stand und schon nach wenigen Wochen oder Monaten klafft ein Riesenloch im Grab, weil die Erde nachgesackt ist, ein untrügerisches Zeichen dafür, daß der Billigsarg dem Erddruck und der Feuchtigkeit nicht standgehalten hat.

Wie gesagt: Diese Familie hier hatte sich aber ganz bewußt für einen einfacheren Sarg entschieden, dann aber doch nicht das günstigste Verbrennermodell gewählt sondern einen ganz geraden und glatten Sarg aus Buche.

„Wir wollen keine 08/15-Beerdigung“, hatte mir der Sohn der Verstorbenen gleich beim ersten Beratungsgespräch gesagt. „Meine Mutter war eine so lebenslustige Frau, sie hat die ganze Sippe zusammengehalten und furchtbar viele Bekannte gehabt. Bloß keine Trauerfeier bei der wir alle die Tote beweinen und alle todtraurig sein müssen!“

Gemeinsam mit der Tochter habe ich dann ein Konzept erarbeitet, das diesen Wünschen gerecht werden sollte.

Über den Sarg hatte die Tochter der Verstorbenen am Anfang der Trauerfeier ein großes weißes Tuch gelegt, das bis auf den Boden reichte und auf das wir gemeinsam mit den Kindern und Enkeln am Boden etwa 60 Teelichte stellten und anzündeten.

Bei schöner Musik standen dann die Angehörigen der Reihe nach auf und jeder holte sich eine der Kerzen und kehrte an seinen Platz zurück. Die übrigen Trauergäste taten es ihnen nach.
Dann sprach der Sohn der Verstorbenen über das Licht das seine Mutter in diese Welt getragen hatte und daß dieses Licht nun verloschen sei. Am Ende seiner Ansprache blies er die Kerze vor ihm auf dem Rednerpult aus und auch alle anderen löschten ihre Kerzen.

Die schon erwachsenen Enkel, ein Junge und ein Mädchen, gingen dann nach vorne, nahmen jeder einen Zipfel des weißen Tuchs das über den Sarg gebreitet war und luden die Trauergäste durch Handbewegungen ein, nach vorne zu kommen. Mit Scheren trennten sie kleine Streifen von dem Tuch ab und jeder Trauergast bekam ein kleines Stückchen.

Hinten in der Trauerhalle hatten wir große Kisten aufgebaut in die die Hinterbliebenen alles hineingelegt hatten, was die Mutter so an Andenken und „Nippes“ angesammelt hatte.
„Jeder mag sich nehmen was ihm gefällt, vielleicht ist ein Stück dabei, an das Sie sich besonders erinnern oder das Sie in irgendeiner Weise mit unserer Mutter verbindet.“

Der eine nahm sich ein kleines Reh aus Holz („Das hat mir immer schon so gut gefallen.“), der andere sechs Weingläser („Aus denen haben wir immer getrunken.“) und wieder eine andere nahm sich ein Fotoalbum („So viele schöne gemeinsame Stunden.“).

Am Ende standen vor der Trauerhalle lauter lächelnde und weinende Menschen, keiner war unglücklich, jeder hatte sich etwas genommen und man schwelgte in großer Runde in Erinnerungen.
In der Trauerhalle blieb ein ganz einfacher Holzsarg zurück, der nur die sterblichen Überreste beinhaltet. Die Verstorbene war aber an diesem Tag für die Menschen nicht in dem Sarg, sondern mitten unter ihnen, in ihren Erinnerungen, in den Erinnerungsstücken und in ihren Herzen.

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(©si)