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Endlich ist er weg

Frau Sokolowksi schluchzt: „Sagen Sie es mir! Ist es wirklich schlimm, wenn man nicht trauern kann, wenn man kaum Schmerz fühlt, ja wenn man vielleicht sogar ein bißchen froh ist. daß jemand gestorben ist? Ist das schlimm? Bin ich ein herzloser Mensch?“

Sie hebt die Hände, läßt sie in den Schoß fallen und schaut mich aus großen Augen fragend an.
Ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll, ich kannte ihren verstorbenen Mann nicht, soviel ich weiß war Sokolowski früher mal städtischer Beamter gewesen, so steht es wenigstens auf dem Formular das vor mir liegt. Es kommen oft Leute zu mir, die nicht trauern, die einen Sterbefall in der Familie nur abwickeln, nur verwalten, die nur das Notwendige erledigen und schnell damit fertig sein wollen. Die Gründe dafür können mannigfaltig sein und gehen mich im Grunde auch nichts an. Ich habe es mir abgewöhnt, mir darüber Gedanken zu machen. Dazu habe ich schon zuviel gehört und erlebt, die Leute werden eben ihre Gründe haben.

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In den seltensten Fällen erzählen sie mir warum sie sich so verhalten, wenn sie es aber tun, dann sind es oft interessante Geschichten. Geschichten von tyrannischen Menschen, die ihre Familie unterdrückt und gequält haben, von Menschen die ihre Kinder mißbraucht oder vernachlässigt haben und von solchen Leuten, bei denen jeder sagt, daß es gut sei, daß sie endlich „ihren Frieden gefunden haben“.

Wer wird einmal an meinem Grab weinen? Wer wird was über mich sagen? Was bleibt eines Tages von mir übrig? Das sind dann manchmal so die Fragen, die mir durch den Kopf gehen. Habe ich alles richtig gemacht oder wenigstens das Meiste?

Frau Sokolowski schaut mich immer noch fragend an und ich kann nur mit einem Standardsatz antworten:

„Manchmal ist das eben so.“

„Ja, da haben Sie Recht, manchmal ist das so“, sagt sie, nimmt einen Schluck aus der vor ihr stehenden Kaffeetasse und atmet tief durch.
„Er war ein Ekel, einfach nur ein selbstsüchtiges, selbstverliebtes Ekelpaket. Als ich ihn vor beinahe 40 Jahren kennenlernte, da war es reine Bewunderung. So intelligent, so blitzgescheit und wie der reden konnte, einfach unglaublich. Aber wissen Sie, ich bin auch nicht dumm und auf den Mund gefallen bin ich auch nicht.“
Sie macht eine kurze Pause, schaut mich an und ihr Blick stellt die Frage: „Soll ich es Ihnen erzählen?“
Ich kenne diesen Blick und normalerweise nutze ich diese Pause des Abwartens, um die Geschichte abzukürzen, nicke verständnisvoll, sage irgendetwas Nichtssagendes und wende mich den Formularen zu oder gehe mit den Kunden einen Sarg aussuchen. Der erste Satz ihrer Geschichte entscheidet, ob ich sie weiter hören will oder nicht.
Er war ein Ekel, das waren die ersten Worte und das hat mich neugierig gemacht und deshalb nicke ich, lehne mich zurück und schaue Frau Sokolowski auffordern an.

„Schauen Sie, in all diesen Jahren hat er mir Stück für Stück meine Persönlichkeit geraubt, mir eine Schlinge um den Hals gelegt und diese immer mehr zugezogen. Nein! Denken Sie jetzt bitte nicht, daß er ein schlechter oder böser Mann gewesen sei, der mir jemals irgendetwas angetan hätte, um Himmels Willen, nein! Karl war der liebenswürdigste Mensch, den man sich vorstellen kann, es verging kein Tag an dem er mir nicht wenigstens ein Dutzend Mal gesagt hat, wie sehr er mich liebt, was ich ihm bedeute und wie schön er mich findet.

Das war es nicht. Aber es fing an mit so Kleinigkeiten. Irgendwann brauchte er ein größeres Auto, weil er eine neue Dienststelle hatte, die etwas weiter weg war. Weil mein Auto damals gerade kaputt war, einigten wir uns darauf, meins abzustoßen und erst mal ihm ein neues zu kaufen. Das war ja auch wichtiger, keine Frage. Aber es ist dann eben dabei geblieben, ich habe nie wieder ein Auto bekommen, niemals mehr am Steuer gesessen. Wenn ich sage, daß wir uns geeinigt haben, dann trifft das den Punkt nicht ganz. Er schlug es vor und seinen Argumenten konnte ich nichts entgegen setzen, meine Liebe zu ihm war so groß, daß ich alles getan hätte. Für den Moment hatte er ja auch Recht, aber eben nur für den Moment! Irgendwann hätte ich auch mal wieder ein Auto gewollt, aber er gab mir keins, ich verdiente nichts und Sie wissen ja wie das ist, irgendwann war das Thema durch.

Meine ganzen Hobbies habe ich aufgegeben, meine Freunde und Freundinnen im Laufe der Jahre ebenfalls. Irgendwann war ich nur noch die Frau, die das macht was das Familienekel bestimmt.

Jahrelang habe ich das einfach verdrängt, mich in meine Rolle gefügt, aber vor allem in den letzten zwei bis drei Jahren ist mir das alles besonders bewußt geworden und jetzt, jetzt bin ich ehrlich gesagt froh, daß er weg ist. Jetzt kann ich endlich tun und lassen was ich will.“

Was soll man dazu sagen?

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(©si)