Antonia kommt völlig überraschend mit roten Strähnchen im Haar zur Arbeit, es sieht aus, als habe jemand unser Dickerchen oben angezündet. „Wie ne dicke Weihnachtskerze“, spottet Sandy, die schon am frühen Morgen mit gestärkter, weißer Bluse und Jackett herumläuft, das zieht sie sonst normalerweise nur an, wenn Kundenkontakt zu befürchten ist.
Frau Büser schüttelt ob all dieser Veränderungen nur den Kopf und ihre frischgemachte Ilse-Werner-Frisur ist durch Haarspray beinahe einbetoniert.
Manni kommt kurz hoch, holt sich seine Fahrzettel und mir fällt auf, daß seine Schuhe frisch geputzt sind, sein Anzug gebügelt ist und er sogar die seit Jahren schmählich mißachtete Schirmmütze trägt.
Lehrmädchen Nadine hat sogar hochhackige Schuhe an und offensichtlich war auch sie gestern gegen Abend noch beim Friseur.
„Hamm’wer heute Zirkus Sarrasani oder was?“ frage ich mal so in den Raum.
„Och nö, das ist alles ganz normal. Wieso? Das ist doch so wie immer. Wir? Nö, wir sind normal.“
So lauten die Antworten und ich höre noch, wie Antonia Frau Büser fragt: „Hat er’s schon gesehen?“
Was soll ich schon gesehen haben? Was geht da vor?
Auf meinem Schreibtisch liegt mitten auf meiner Computertastatur eine Unterschriftenmappe. Normalerweise liegen die so halblinks auf einem Stapel, wenn da mal eine so mitten auf dem Tisch liegt, dann ist da noch was Dringendes hereingekommen, von dem Frau Büser will, daß ich es mir sofort anschaue.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, daß Sandy auf dem Gang vor meinem Büro herumlungert und so tut, als lese sie im Herumlungern eine Akte. Also werde ich einen Teufel tun und die Unterschriftenmappe gleich anschauen, während ich mich in meinen Schreibtischsessel plumpsen lasse, was der mit einem erschrockenen Pfeifen der Gasdruckfeder quittiert, nehme ich wie beiläufig die Mappe und lege sie ganz nach links auf dem Schreibtisch weg.
„Pfffft!“ macht es vom Gang und Sandy ist verschwunden.
Die Tür zum großen Büro der Damen ist schräg gegenüber, sodaß man sich nicht gegenseitig in die Zimmer gucken kann. Meine Tür ist dick gepolstert und schalldicht, aber sie steht meistens offen. Hören kann man sehr gut, was jeweils gegenüber geschieht.
Ich höre aufgeregtes Tuscheln und Antonia macht: „Och nöööö!“ und Sandy höre ich sagen: „Das macht der extra.“
„Der weiß es doch noch gar nicht“, beruhigt Frau Büser die Gemüter: „Der Anruf und das Fax sind doch erst gekommen, wo der gestern schon weg war.“
Wenige Sekunden später kommt Frau Büser mit dem kleinen Gießkännchen aus Messing mit der langen Ausgießetülle und muß jetzt und sofort die paar Blumen auf meiner Fensterbank gießen. Sie lächelt mir nur kurz zu, sagt kein Wort, ist auch schnell mit dem Gießen fertig, das auch nur aus jeweils ein paar schnellen Tropfen pro Pflanze besteht und beim Hinausgehen schiebt sie ganz beiläufig wieder die Unterschriftenmappe von links hinten direkt vor mich.
Der Rolli kommt an meiner Tür vorbei und mir verschlägt es fast den Atem. Seine fettigen Haare sind gewaschen und gekämmt, das dünne, durchscheinende T-Shirt ist einem Oberhemd gewichen und der Lauser trägt sogar eine Krawatte. Man riecht bis in mein Büro, daß er sich von oben bis unten mit Rasierwasser eingeduftet hat.
Ich wüßte ja nur zu gerne, warum sich meine Mannschaft so aufgebretzelt hat, die Lösung steckt in der Unterschriftenmappe, aber von einer strategisch günstigen Position im Flur aus beobachtet mich jetzt Antonia, die so tut, als wische sie dort einen Bilderrahmen ab.
Nee, ich gönne denen jetzt nicht den Triumph, worin der auch immer bestehen mag.
Hm, ich bin ja geschickter, als man angesichts meiner doch recht großen Gestalt meinen möchte und so schaffe ich es, die Unterschriftenmappe mit der Linken wieder weitab nach links außen zu legen und dabei unbemerkt vorne die beiden Blätter herauszunehmen.
Dann drehe ich mich mit dem Sessel so, daß die hohe Rückenlehne die Sicht versperrt und schaue mir die Zettel an.
Das eine ist eine Telefonnotiz von gestern Nachmittag, das andere ein Fax vom frühen Abend.
Die Fernsehproduktionsgesellschaft PHOENIMAX fragt an, ob unser Unternehmen bei der Produktion eines Krimis in der Nachbarschaft mit einem Bestattungswagen und einigen Komparsen aushelfen kann.
Ach je, das kennt man doch. Wir opfern dann zwei Tage, unser Bestattungswagen muß gewaschen und poliert Stunden um Stunden bereit stehen, zwei unserer Männer müssen sich ebenfalls bereit halten, nur um dann an irgendeinem Tatort die Leiche in den Abholsarg zu packen und zum Wagen zu tragen. Im Film sind dann nur 20 Sekunden davon zu sehen.
Die wollen also alle ins Fernsehen!
Frau Büser, Sandy, Nadine, Rolli, Antonia, Manni…, sie alle wollen nur ins Fernsehen, darum also haben die sich so rausgeputzt.
Eitles Pack! Denen werde ich es geben! Hier bleibt die Arbeit liegen und die gockeln, wie die jungen Teenie-Mädchen um die Wette, nur weil das Fernsehen ein Fax schickt.
Ich tue so, als wisse ich von nichts, schiebe die zwei Bögen in meine Schublade und gehe mit nichtssagendem, gelangweiltem Gesicht nach oben. Hinter mir, aus dem großen Büro, höre ich enttäuschte „Ooohs“.
Eine halbe Stunde später sitze ich wieder an meinem Schreibtisch. Inzwischen hatte ich kurz mit der PHOENIMAX telefoniert, in zwanzig Minuten kommt eine Frau Preußler und will sich das Auto und die Leute mal angucken. Vielleicht bräuchten sie auch jemanden, der die jugendliche Frauenleiche spielen kann und zwei drei Leute, die betroffen im Hintergrund stehen, wenn diese abgeholt wird.
Na, ich bin ja mal gespannt. Wenn nur der Kragen von dem frisch gestärkten Hemd nicht so scheuern würde. Das liegt vielleicht am Schlips und an dem Rasierwasser, das ich üppig aufgetragen habe.
Außerdem pieksen mich die kleinen Härchen, die immer so in den Kragen fallen, wenn man sich mit dem Langhaarschneider die Koteletten und den Bart stutzt.
Die neue Hose ist auch etwas eng, aber sie macht einen knackigen Hintern. Na, vielleicht ziehe ich doch schnell noch die dunkelgraue Cordhose an. Falls die mich als jugendliche Frauenleiche auswählen, wäre diese enge Hose hier sehr unpraktisch, wenn ich hinterher wieder aus dem Sarg aussteigen muß…
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Tom YMMD 😀 *lachend zur Arbeit nun fährt*
Tom als jugendliche Frauenleiche? auf welchem Sender senden die den Film ^^ das darf man sich nicht entgehen lassen :o)
…schöne Aussichten…! 🙂
Beim letzen „Tatort“ war der“Bestatter“auch für mindestens 10 Sekunden im Bild,die Hälfte davon allerdings nur von hinten…
😉
Hmm, nee Tom, du spielst nicht die jugendliche Frauenleiche. Wir wollen Sandy.
oh Tom
.. eitles Pack .. 😀
Danke für diese Story am Morgen 😉
Weiter so !
Das ist ja doch mal was anderes. Der Transport wird tatsächlich dargestellt. Sonst werden Verstorbene doch im Fernsehn in eine Leichenhalle gebeamt, wo si unverzüglich zur Leiche werden, denn im weiteren Verlauf dienen sie bestenfalls noch als „Beweisstück A“. Fernseh – Leichenhallen sind ohnehin etwas seltsam. Im Hintergrund befinden sich immer die großen Schubladen für die Verstorbenen. In jeder von denen ist auch eine Leiche – leere Zellen gibt es nur, wenn der Held ein besonders peinliches Versteck braucht.
Ich habe mir für heute in den Kalender geschrieben, dass um 20:45 im WDR was vom BWL zu sehen sein soll. Nun finde ich den Artikel nicht mehr und auch die Programmvorschau beim WDR gibt nichts her :/
Üüüüüüüüüüüüüüberhaupt nicht eitel ist der Tom.
Warum auch, ist ja nur Fernsehen.
Hahahaha, so beginnt der Tag mal wieder wunderbar.
Warum denn das ganze Aufgerüsche? Die Maskenbildner sauen doch sowieso alles wieder ein mit Kunstblut und Schminke.
@Matthias
MDR, nicht WDR
Als ich mal im Krankenhaus ein Praktikum gemacht hab, hat auch irgendein Fernsehsender da grad gedreht.
Die Krankenschwestern sind um das Team rumschlawaenzelt, und man sah den Unattraktivsten unter ihnen an, wie sie schon im Geiste die zweite Cameron Diaz waren.
Das Schlimmste daran war nach dem Dreh die schlechte Laune derer, die _nicht_ als Komparsen vor die Kamera durften.
Tja, ob wohl was druas geworden ist?
Je nach dem wann da wer gedreht hat dürften etwaige Beschriftungen auf dem Bestattungswagen aber geändert worden sein. Zumindest die öffentlich-rechtlichen sind seit Jahren sehr oft sehe exakt darin, echte Markennamen und all sowas unkenntlich zu machen, um keine Schleichwerbung zu betreiben
GRRÖÖÖÖHLLL und dann wart ihr am Sonntag im Tatort zu sehen, stimmts? 😀
@moni: Mea culpa, dankeschön.
Genial, meine Lieblingsstelle ist die mit dem erschrockenen Schreibtischsessel! 😀
Erinnert mich an eine Satire von Ephraim Kishon, die irgendwann in den 80ern während einer Fußball-WM in der Hörzu stand, und die ich einige Zeit darauf für eine Klassenarbeit zu Satiren nachgeschrieben habe: Der Protagonist hört einer jammernden Nachbarin zu, deren Göttergatte nichts anders mehr als Fußball im Kopf habe und sich wie der Trainer der Nationalelf aufführe, andauernd an seiner Mannschaft feile und weder esse noch trinke und stimmt ihr zu, der Arme habe nicht mehr alle Tassen im Schrank. Geht dann zurück in seine Wohnung – und geht noch mal die Aufstellung [i]seiner[/i] Nationalelf durch…
Verstohlen die Lachtränen weg wisch. Ihr seid ja ein lustiger Haufen;-) …
Ich hätte ja da gerne Mäuslein gespielt, als Tom den Unbeteiligten gegeben hat.
…danke für diese Geschichte *lach*……nun hab ich was zum Träumen…..wenn ich je mit dem Lachen aufhören kann……
ich kann nicht mehr…. ich weis, weshalb ich nichts trinke wenn ich hier lese…..