Geschichten

Fett 1

orgel

Es ist eine ganz einfache Geschichte. Jeder Mensch hat einen gewissen Grundumsatz zu dem er Kalorien verbrennt. Nimmt er weniger Brennstoff zu sich, wird er abnehmen, der Körper wird seine Tätigkeit reduzieren und irgendwann wird der Mensch vielleicht verhungern. Nimmt man zuviel Kalorien zu sich, freut sich der Körper und spart die für schlechte Zeiten als Reserve in Form von Fett auf.
Um nun ein bestimmtes Gewicht zu halten oder zu erreichen, hat man grundsätzlich und vereinfacht gesprochen, zwei Stellschrauben. Zum einen ist das die Erhöhung des Umsatzes bzw. der Verbrennung durch mehr mehr Bewegung und zum anderen ist das die Reduktion der Kalorienzufuhr.
Durch sportliche Betätigung werden zudem Muskeln aufgebaut bzw. zur Mehrverbrennung angeregt und man nimmt zunächst durch die schwereren Muskeln zu, im Laufe der Zeit durch die erhöhte Verbrennung wieder ab.

Ganz einfach, oder?

Nur funktioniert das eben bei vielen Menschen nicht. Abgesehen von denen, die aus gesundheitlichen Gründen davon betroffen sind, werden die Menschen immer dicker.
Darauf hat sich die Bestattungsindustrie genauso einzustellen gehabt, wie Krankenhäuser und Pflegedienste.

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Vor vielen Jahren war das noch anders. Stark übergewichtige Menschen waren eine absolute Ausnahme und man kannte Berichte über solche vor allem aus dem Ausland.

Es war ein Mittwochabend und ich schaute gerade im Fernsehen eine interessante Sendung über mittelalterliche Ziehbrunnen im Frankenland, da klingelte mein Telefon. Und zwar jenes Telefon, auf dem meine Mitarbeiter nur anrufen dürfen, wenn sie entweder bereit sind ihre Arbeitskraft ab dem nächsten Tag der freien Wirtschaft zur Verfügung zu stellen, oder wenn was wirklich Wichtiges vorliegt.

„Wir haben da ’nen Toten und kriegen den nich‘ weg“, meinte der diensthabende Fahrer am Telefon.
„Wie, Ihr kriegt den nicht weg?“
„Der ist zu dick!“
„Genauer?“
„Ich schätze knapp 300 Kilo. Den kriegen wir gar nicht aus dem Bett raus, der ist ganz eingesunken, und auf die Trage kriegen wir den dann sowieso nicht, die ist zu schmal.“
„Welches Stockwerk?“
„Dritter Stock.“
„Okay, ich komme.“

Dritter Stock, das ist im Dialekt der Eingeborenen hier das zweite Obergeschoß, weil sie den Keller mitzuzählen pflegen oder die Parterre schon als Stockwerk sehen.

Von unterwegs rief ich Sandy, Manni und zwei weitere Aushilfsfahrer an. Ich hatte Glück, alle konnten kommen.

Wenn die Männer so aus ihrem Alltag oder Feierabend gerissen wurden, mußten sie nicht im Anzug kommen, der ja oft in der Firma hing, sondern konnten sich schwarze Kittel mit grauen Kragen und dezent aufgestickter Silberpalme anziehen.
Bei Sandy, die wieder einmal einen viel zu kurzen Rock trug, winkte ich ab. „Laß mal, keinen Kittel für Dich. Du lenkst mir die Leute im Treppenhaus ab.

Denn schon bei meinem Eintreffen hatte ich gesehen, daß nicht nur an allen Fenstern des Treppenhauses neugierige Köpfe zu sehen waren, sondern sich auch auf der anderen Straßenseite und rund um die Haustüre Trauben Neugieriger gebildet hatten.
Der dicke Martin sei gestorben und das hatte die Runde gemacht.

Martin, so erfuhr ich später, hatte seine Wohnung und später auch sein Bett schon seit Jahren nicht mehr verlassen können. Versorgt von einer in ihrer Fürsorge wohl zur Übertreibung neigenden Mutter hatte er über die Jahre mehr als sechs Zentner angesetzt, manche mutmaßten, es müsse sogar noch mehr gewesen sein.

Nun saß sie in Tränen aufgelöst in ihrer Küche und weinte, die Mutter.
Zwei Polizisten waren auch noch in der Wohnung und sprachen mit dem Hausarzt, der aber einen natürlichen Tod bescheinigte.
„Irgendwann macht das die Pumpe halt nicht mehr mit“, erklärte er ganz unwissenschaftlich.

Martin lag in seinem Bett und wenn man das Zimmer betrat, sah man einen Berg im Bett von dem ein Oberschenkel seitlich herabhing. Ich hielt den Kopf schief und versuchte das Bild in meinem Kopf zu ordnen, bis ich begriff, daß das kein Oberschenkel, sondern der Unterarm eines Menschen war.

Jemand, wahrscheinlich der Arzt, hatte dem Verstorbenen eine Mullbinde um den Kopf gewickelt, damit der Mund verschlossen blieb.

Bis auf diese Mullbinde war der Mann vollkommen nackt. Ein Umhang, ähnlich einem Friseurumhang, der ihn wohl bis vor kurzem noch gekleidet hatte, lag auf der anderen Seite des Bettes am Boden.

Neben dem toten, dicken Mann saß am Kopfende ein kleiner, hellbrauner Teddybär.

Ja, Mama hatte ihren Martin wirklich sehr lieb.

Fortsetzung folgt

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(©si)