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Firlenfaz

Bestattersonntag, es ist kurz nach Sieben und ich sitze schon wieder im Büro.

Der Mann der für uns Telefondienst macht, hat ja noch versucht, die Familie auf frühestens 8.30 Uhr „umzubiegen“, aber nein, SOFORT hieß deren Devise. Also bin ich um kurz vor Fünf zuerst aus dem Bett (Gähn!), dann unter die Dusche (Puuuh!), in den dunklen Anzug (nerv!) und dann ins Auto (Einaugenblindflug) gestiegen, um meinen schweren Beratungskoffer in ein Einfamilienhäuschen am Rand der Stadt zu schleppen und eine Beratung zu machen.

Drei Leute sitzen um den Küchentisch, es riecht nach frischem Kaffee, ich bekomme keinen, spreche das Thema aber einfach an: „Hmmm, frischer Kaffee…“ Keine Reaktion. Normalerweise fragt jeder, wenigstens aus Höflichkeit, ob ich ein Glas Wasser will, ich muss ja schließlich die ganze Zeit sabbeln. Bei denen hier: Fehlanzeige.

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Die Mutter ist gestorben, 78 Jahre alt, der Vater ist dement, fragt seine Tochter unentwegt, wer sie denn eigentlich sei und spricht mich immer als „Herr Kommissar“ an. Er weiß nicht, ob es Morgen oder Abend ist, spricht davon, daß er heute noch 400 Bratwürste machen muss und bringt mich zu der Frage, ob er Metzger gewesen sei. „Nein, mein Vater war Oberstudienrat am Gymnasium“, sagt die Tochter, die zu erkennen gibt, ebenfalls Lehrerin zu sein, wie überhaupt alle in dieser Familie Lehrer seien und das sagt sie so, als sei jedweder andere Beruf ebenso unwichtig, wie für intelligente Menschen unannehmbar und undenkbar.

Zuerst mein Formular, die Personalien, Stammbuch, Foto, die ersten Formalitäten, grundsätzliche Fragen. Dann der erste Katalog. Die Tochter (Englisch, Erdkunde, Sport) wird nicht müde, zu beteuern, daß genug Geld da sei und es ihnen auf das Geld nicht ankommt, ihr ebenfalls anwesender Mann (Mathematik, Physik, Chemie) unterstützt das immer nickend. Mir soll es recht sein, vielleicht kaufen die ja was Ordentliches. Sie nimmt mir den Katalog weg und zeigt ihn dem Vater. Der freut sich sichtlich ob der vielen schönen Bilder, hält die Särge für Boote und möchte einen weißen. Er schwärmt davon, wie er in den 50ern mal über den Rhein gerudert ist und die Tochter schaut nicht einmal wirklich auf die Särge, sondern immer nur auf die Preise. Nein, Geld haben sie genug, aber hier der ganz schlichte, der reicht; auch gut. Katholisch sind die Leute und deshalb frage ich, ob wir ein Kreuz auf den Deckel montieren sollen; das frage ich auch, weil so ein Kreuz diese ärmliche Kiste, die man ausgesucht hat, ein kleines bißchen aufwertet. Das kostet nur 4 Euro. „Ob die da noch ein Kreuz draufmachen sollen?“, wiederholt sie ziemlich laut für ihren Vater und verfällt dabei in ein typisches Verhaltensmuster, nämlich jemanden der aus irgendwelchen nicht ohrbedingten Gründen etwas nicht verstanden hat, durch Intensivierung der Lautstärke zum besseren Verstehen zu bringen. Ja, ein Kreuz müsse immer oben drauf sein, wo sollen die Leute denn Rast machen, wenn sie endlich oben auf dem Gipfel sind, meint der alte Mann und freut sich.
An mich gewandt sagt die Tochter: „Meine Mutter wollte keinen Firlenfaz, das lassen wir weg.“
Sie sagte wirklich „Firlenfaz“.

Wieder nimmt sie mir den Katalog weg, den ich so in die Mitte des Tisches gelegt habe, daß alle, die Tochter, der Schwiegersohn und der demente Vater, etwas sehen können. „Ob wir noch eine teure Decke kaufen wollen?“, schreit sie dem alten Mann ins Gesicht. Der guckt ganz verstört und fragt: „Eine Decke?“ „Ja, eine Decke, die ziehen die der Mama übers Gesicht.“ Ich schüttele den Kopf und sage: „Nein, damit wird sie zugedeckt, die kommt nicht übers Gesicht.“
Sie dreht sich zu mir um und sagt: „Lassen Sie mich das mal machen, Sie kennen sich mit kranken Menschen nicht aus.“ Und an ihren Vater gewandt: „Nicht wahr, das wollen wir nicht?“
Also keine Decke. „Aber wenigstens ein Kopfkissen sollten wir nehmen, Sie wünschen doch eine offene Aufbahrung auf dem Friedhof.“
„Ach was, und das kostet dann auch wieder was, nicht wahr? Wir haben genug Geld und meine Mutter hat genügend vorgesorgt, da gibt es extra Versicherungen für die Beerdigung, nicht dass Sie mich falsch verstehen, aber wir wollen keinen Firlenfaz.“
Ich versuche ihr klar zu machen, dass das ziemlich scheiße aussieht, wenn die Frau flach auf dem Sargboden liegt, ohne Decke und ohne Kissen. Wenigstens der Schwiegersohn hat Verständnis und meint, wir könnten ja eine Decke und ein Kissen von Zuhause mitnehmen und nach der Aufbahrung bitte gewaschen wieder zurückbringen.

Mir wird das zu blöd und ich sage, mir sei gerade aufgefallen, dass sie sich ja für das Sargmodell XYZ entschieden hätten und da seien ja eine ganz einfache Decke und ein Kissen dabei. Das gefällt denen und der Opa will wissen, ob ich auch Bier habe.

„Wissen Sie“, sagt die Tochter, „es ist ja genügend Geld da, aber wir wollen es eben genau so machen, wie mein Vater es will.“

Jaja.

Blumen? Nein Blumen wollen sie nicht bestellen, wegen dem Firlenfaz. „Gar keine Blumen?“, frage ich und Tochter wie Schwiegersohn schütteln den Kopf. Sie sagt: „Da kommen genügend Leute die bestimmt alle was mitbringen.“

Die Urnen will ich denen noch zeigen, ohne richtig hinzuschauen blättert die Tochter die Bilder durch und fragt: „Brauchen wir sowas überhaupt?“ Ich bin ehrlich und sage, dass die Asche vom Krematorium in einer schwarzen Aschenkapsel geliefert wird, die man durchaus auch so beisetzen kann. Schmuckurnen könne man nehmen, muß man aber nicht. Sie schwenkt um: „Aufs Geld kommt’s nicht an, wir nehmen die da!“ Sie tippt auf das 450-Euro-Modell, einen üblen Kübel aus irgendeinem Pressgranulat, groß, wuchtig, schwer, mit komischen Fratzen aussenrum, die aussehen wie Teufelsgesichter, laut Hersteller aber Engel sein sollen. Ein Fehlkauf von mir und bislang bin ich die noch nie losgeworden. Wäre ja gar nicht schlecht, wenn die jetzt wegginge.
Doch der Schwiegersohn legt sein Veto ein und meint, die sei doch ziemlich teuer, man könne doch auch die da nehmen und tippt auf eine für 31 Euro.
„Ach was“, sagt die Tochter, „wir bekommen doch das Geld für den Sarg zurück, da können wir auch bei der Urne etwas mehr ausgeben.“
Der Opa sagt zu mir: „Gehen Sie mit mir nachher ins Kino?“
Ich sage: „Den Sarg gibt es aber nicht zurück.“
„Wie? Wollen Sie mir etwa erzählen, dass sie den mitverbrennen; das glaube ich Ihnen ja nicht. Das weiß doch jeder, dass die Särge hinterher nochmals verkauft werden und das Geld bekommen wir zurück.“

Ich bete meine Litanei herunter, erkläre denen die Kremation und sage, daß der Sarg sehr wohl mit eingeäschert wird.
Ach, das werfe ja nun ein ganz anderes Licht auf die Sache, dann wird ja alles fürchterlich teuer…
Wie bitte? Die haben den billigsten Sarg ausgesucht, ich schenke denen schon Decke und Kissen und jetzt finden die alles zu teuer?

„Das will mein Vater nicht“, sagt die Tochter zu mir und dann zum Opa: „Ne, Papa, das willst du alles nicht!“ Der nickt, freut sich und fragt, ob er jetzt bald auf die Russen schießen darf.

Noch eine ganze Stunde geht das so. Kein Totenhemd, sondern ein Nachthemd von zu Hause, keine Überurne, wegen dem Firlenfaz und dann kommen wir zum Grab. Ein anonymes Grab muss es sein, natürlich nicht wegen dem Geld, sondern jetzt muss wieder der Opa herhalten, der wisse ja sowieso nichts und zum Friedhof könne der schon gar nicht und jetzt wo die Mutter tot ist, kommt der sowieso „weg“.
Sie selbst, ihr Mann und auch ihre Schwester, die -ach was- Lehrerin sei, hätten ja aufgrund des schweren Lehramtes überhaupt keine Zeit „jeden zweiten Tag mit einem lächerlichen Gießkännchen über den Friedhof zu rennen“. Es kommt noch toller. Eine Trauerfeier will man auch nicht, das sei doch wohl nur was für das einfache Volk, wo der Pfarrer „dümmlichen Quatsch“ über jemanden erzähle, den er gar nicht kannte.
„Der Pfarrer war jede Woche hier und hat uns besucht“, freut sich der Opa und ich sehe, dass er unter sich gemacht hat.
„Quatsch!“, sagt die Tochter und beauftragt uns, die Verstorbene im Krankenhaus abzuholen, einzubetten und sogleich ins Krematorium zu bringen. Man würde dann lieber im engsten Kreis irgendwann mal, wenn alle Zeit haben, ganz privat was machen.

„Also keine offene Aufbahrung, so wie Sie es anfangs wollten?“, erkundige ich mich.
Tochter und Schwiegersohn schütteln den Kopf.

Der Opa fragt: „Wann kommt meine Margreth wieder?“
Die Tochter: „Papa, die ist doch tot!“
Der Opa nickt, ein paar Tränen feuchten seine Augen an und dann geht ein Leuchten über sein Gesicht und er sagt: „Hauptsache, sie bringt mir Cognac mit!“

Ich rechne zusammen, es kommt ein winziger Betrag heraus; wenn ich mit meinem Hund zum Tierarzt gehe, weil der sich eine Pfote verdreht hat, ist das teurer….
Mir ist es egal, ich mache immer meinen Schnitt und das muss ich auch, ich arbeite um zu leben und nicht um den Menschen was zu schenken.

„WAS? SO VIEL? Theo, guck mal, was der Mann da alles aufgeschrieben hat!“

Theo guckt sich meine Kostenaufstellung an, stutzt bei der Position „Decke und Kissen“. Ich war ja von einer offenen Aufbahrung ausgegangen und hatte das einfach aufgeschrieben, im Preisfeld aber einen Strich gemacht, das hätte ich denen auf unsere Kosten geschenkt. „Das können Sie bitte streichen!“, sagt Theo und seine Frau meint: „Na prima, dann wird das ja alles noch billiger.“
„Nein“, sage ich, „das wird dann nicht billiger, das ist inklusive und der Sarg kostet gleich viel, ob sie es nehmen oder nicht.“

„Wissen Sie, meine Eltern waren nicht sehr wohlhabend, die haben nur dieses Haus hier. Da gibt es auch nichts mehr zu erben, die haben uns Kindern schon vor 15 Jahren jedem ein Haus gekauft, jetzt ist da nichts mehr. Und die Sterbeversicherung die brauchen wir, um den Haushalt aufzulösen und wenn das Haus hier verkauft wird, geht das ja sowieso alles für das Heim für meinen Vater drauf.“

„Streichen Sie bitte die Decke und das Kissen, wir wollen keinen Firlenfaz!“

Ja, sowas höre ich immer wieder, schwere Schicksale total verarmter Akademiker, die dann anschließend in ihrem neuen Mercedes zurück in ihre armseligen Vorstadtvillen fahren müssen, grausam….

Schließlich unterschreibt die Tochter den Auftrag, die Vollmachten und weil solche Leute hinterher immer Zicken machen, lasse ich mir gleich einen Scheck mitgeben. Besser ist das!
Wie immer habe ich sämtliche Gebühren mit ausgerechnet, auch die die nicht durch uns verursacht werden, wie beispielsweise das Grab, Gebühren für das Krankenhaus, den Amtsarzt usw. Der Scheck lautet über den Gesamtbetrag und ich wette, daß die Unterschrift unter diesen Scheck das Einzige und Letzte war, was diese Leute für ihre Mutter getan haben.

Am Montag werden wir sie aus dem Krankenhaus abholen, in den Sarg legen und gleich zum Krematorium fahren. Dienstag kommt der Amtsarzt, dann wird sie wahrscheinlich schon am Mittwoch eingeäschert und irgendwann Mitte des Monats im Morgengrauen wird ihre Aschenkapsel mit 20 anderen Urnen auf einer Wiese des Friedhofes anonym beigesetzt.

Und die ganze Zeit wird Opa in seinem neuen Zimmer im Pflegeheim darauf warten, daß seine Margreth bald wiederkommt und ihm einen Cognac mitbringt.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#firlenfaz

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