Dienstagmorgen. Frau Schädel wird gerade fertiggemacht, soll bald eingebettet und dann, wie gewünscht, zum Krematorium gebracht werden. Da kommt Sandy zu mir ins Büro und sagt, daß draußen eine junge Frau auf der Treppe sitze und weine. Sie habe die jetzt hereingebeten, es wäre aber wohl besser, wenn ich mal dazu komme.
In der Halle sitzt eine Frau von knapp 30 Jahren, Jeans, T-Shirt, beigefarbene Jacke, Turnschuhe, eine Plastiktüte, ein Rucksack und ein kleiner Koffer. Sie trägt mittelblonde, halblange Haare, hat etwas kleine Augen, sonst wäre sie geradezu schön. Sie weint.
Ich stelle mich vor, frage was sie will, sie schluckt und sagt: „Frau Schädel besuchen, bittäsähr!“
Man hört einen deutlichen polnischen Akzent. Sie heiße Danuta und sei eine gute Freundin von Frau Schädel. Nur noch einma Abschied nehmen wolle sie, denn schon am Nachmittag geht ihr Bus nach Polen.
Ein kurzes Telefonat, die Männer melden Vollzug und ich höre leichten Unwillen, als ich anordne, Frau Schädel nochmals in einen Aufbahrungsraum hochzufahren und den Deckel wieder abzunehmen. Als ich mit Danuta und Sandy beim Aufbahrungsraum ankomme, höre ich noch das vertraute Rumpeln der hinteren Türen, die gerade geschlossen werden. Sandy geht voran, zündet die Ölkerzen an, schiebt den Sarg noch etwas schräg und dann betritt Danuta, die Polin, den Raum. Lautes Schluchzen, Jammern, Weinen… wir lassen sie ein paar Minuten alleine, nicht ohne daß ich vorher noch einen Blick auf Frau Schädel geworfen habe. Es ist auch meine erste Begegnung mit ihr. Ach, was ist die mager, ansonsten nette alte Dame. Ich freue mich, daß ich mich auf meine Leute verlassen kann, sie liegt absolut einwandfrei im Sarg und daß obwohl sie doch unbesehen ins Krematorium gefahren wird. So ist’s recht.
Sandy trägt Danutas Sachen zurück in die Halle, ich schüttele mit dem Kopf und weise auf die Tür eines Beratungsraumes: „Ich möchte mich noch mit der Frau unterhalten.“
Eine gute Viertelstunde bleibt die junge Frau bei der Verstorbenen, dann kommt sie, vorsichtig suchend, aus dem Seitentrakt, Sandy bringt sie zu mir und wir gehen gemeinsam in den Beratungsraum. Wer sie denn sei, will ich wissen und ob sie alles gut angetroffen habe. Danuta braucht noch ein paar Papiertücher, dann ist sie bereit zu sprechen. Doch statt meine Fragen zu beantworten, sagt sie: „Ich hab‘ Hunger, bittä und Durrst.“
Sandy holt ihr einen Teller mit Keksen, Wasser und Kaffee; Danuta muß wirklich großen Hunger haben, sie schlingt die Kekse nur so herunter.
Den Namen des Ortes, aus dem Danuta kommt, schreibe ich nicht auf, es ist ein Konsonantensteinbruch, in dem vermutlich Buchstaben vorkommen, die ich auf meiner Tastatur gar nicht habe. Vor einem Jahr ist sie von einer Agentur dort als Pflegekraft hierher vermitteln worden und hat seitdem mit Frau Schädel in deren Wohnung gelebt, sie gepflegt und versorgt.
„Ich dachte, das hätten alles die Tochter und der Schwiegersohn gemacht“, gebe ich zu bedenken.
„Tochter hat nicht einmal gewusst, wo Treppe ist für nach oben! Nur Schwiegersohn immer mal oben gewesen, aber nix helfen!“
Dann erzählt Danuta, daß die Tochter mit ihrem Mann eigentlich die ganze Zeit nur durch Abwesenheit geglänzt haben. Beide berufstätig, er gerade von einer Ellenbogenverletzung rekonvaleszierend, ansonsten gut verdienend, ohne Kinder, seien in diesem Jahr vier Mal ausgiebig in Urlaub gewesen: Thailand, Vietnam, Dominikanische Republik, Südafrika… Um die alte Frau hätten sich die beiden „nicht mit Arsch gekimmert“. „Alle Arbeit nur bei mir, für 400 Euro in Monat.“
„400 Euro sind aber etwas wenig, oder?“
„War ich schwarz hier, wissen? Haben mir Geld für Essen und Trinken und für Wohnen abgezogen. Jetzt muß ich wieder nach Polen, habe nur noch 80 Euro übrig und Fahrgeld.“
Sandy gibt zu bedenken: „Die Frau ist doch gestern erst gestorben!“
„Ja, und der Doktor war da, hat unterschrieben von Tod und dann hat Schwiegersohn gesagt, ich muß gehen, bald. Ich habe gedacht, noch ein, zwei Tage, er hat aber gesagt, bis heute Abend!“
„Und wo haben Sie die Nacht verbracht?“
„An Busbahnhof, hab ich Fahrkarte geholt und in Halle bißchen geschlafen.“
Die junge Frau tut mir leid. Vermutlich hatte sie sich einmal vorgestellt, hier in Deutschland gutes Geld zu verdienen, wovon in Polen ihre ganze Familie längere Zeit leben kann und jetzt muß sie erkennen, daß sie nur ausgebeutet worden ist.
Ich mag die Tochter und ihren Mann nicht, doch Sandy bringt das mit einem Wort viel besser zum Ausdruck: „Arschlöcher!“
Das Telefon geht, die Männer wollen wissen, ob Frau Schädel jetzt weggebracht werden kann, ich stimme zu; doch mit dem anderen Ohr höre ich, wie Sandy und Danuta sich unterhalten und bekomme noch mit, wie Danuta sagt: „Frau Schädel könnte noch leben, der Mann hat sie totgemacht.“
„Lasst das mal mit der Überführung“, sage ich, höre noch, wie man mir widersprechen will, lege aber schon wieder auf, denn das Weitere möchte ich nicht verpassen.“
Sollte es wirklich so sein, daß der Schwiegersohn seine Schwiegermutter auf dem Gewissen hat?
Danuta berichtet, immer wenn sie mal einkaufen gegangen sei, habe sie vorher der Kranken eine neue Flasche angehängt, die dann eine ganze Weile durchlaufen gemußt hätte. Aber selbst wenn sie nach ganz kurzer Zeit wiedergekommen wäre, sei die Flasche immer ganz leer gewesen. Zunächst habe sie gedacht, daß Frau Schädel vielleicht selbst am Stellrädchen dreht und dann habe sie einen Test gemacht. Als sie wieder einmal fortgegangen sei, habe sie zwar eine Flasche angehängt, das Stellrädchen aber komplett fest zugedreht. „Da kommt kein Tropfen raus. Als ich wiedergekommen, war Flasche wieder leer, Rad aber immer noch fest zu.“
Nur der Schwiegersohn sei im Haus gewesen, doch der habe sich immer völlig unbeteiligt gezeigt.
Es muß wohl eine Art Wettlauf zwischen Danuta und dem Schwiegersohn losgegangen sein. Unter den fadenscheinigsten Ausreden habe er sie bisweilen mehrfach täglich aus dem Haus geschickt, um irgendwelche Besorgungen zu machen. Zwar habe Danuta versucht, der Frau ihre Flüssigkeiten möglichst während ihrer Anwesenheit zu geben, aber schließlich habe sich das auf die Nacht beschränkt.
Auch Medikamente seien verschwunden. Immerhin fast zwanzig verschiedene Präparate habe Frau Schädel nehmen müssen, am Ende sogar mehr und das habe Danuta immer morgens alles portioniert und vorbereitet. Manchmal sei aber alles auf einmal verschwunden gewesen oder die Hälfte. Der Schwiegersohn habe dann immer mit ihr geschimpft. Sie habe die alte Frau nicht gut versorgt, die habe gejammert und geklagt und deshalb habe er selbst sich kümmern müssen.
„Aber das ist gelogen! Der hat Medizin ins Klo gekippt, einmal klebte eine Pille am Rand von Klo.“
Sandy brodelt. das sehe ich und eins ist klar: Danuta wird heute wohl sicher nicht nach Polen zurückfahren.
Ich schicke Sandy mit ihr ins nahegelegene Restaurant und bleibe ratlos zurück.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: dienstag, frau, schädel
ohhh, Du habe hoffentlich Pozilei informiert?
Wow!
Die gute Danuta wird sich sicher noch sehr lange mit dem Staatsanwalt unterhalten.
Da hat Sandy sich aber noch sehr höflich ausgedrückt, mir fallen da spontan ganz andere Wörter ein!
Das ist aber hoffentlich ein Fortsetzungskrimi in der Vergangenheit, das heißt, die beiden sitzen längst mindestens in U-Haft? :-O
Nun wirds spannend. Apropos – schonmal ueber „Gestatten, Bestatter – die Frnsehserie“ nachgedacht? 🙂
Unabhaengig davon druecke ich natuerlich auch die Daumen dass dem vermutetend Pack das vermutete Handwerk gelegt wird!
Ich bin sehr auf die Fortsetzung gespannt.
Es ist immer wieder haarsträubend, was es so gibt auf dieser Welt…
vergesst mein posting im vorangegangenen thread! was für schweine!
bloss blöd, dass sich sowas wohl sehr schlecht beweisen lassen wird…wahrscheinlich heisst es dann es sei ein racheakt, weil die gute danuta so schnell rausgeworfen wurde!
was mich ein wenig stutzig macht: wenn sie über eine agentur angeworben wurde, dann kann sie eigentlich nicht illegal da sein und müßte auch einen vertrag haben, der den lohn etc. regelt!
Ich würde jetzt mal die „grünen Männchen“ aka Polizei informieren!
@Martin:
Ich denke man wird es IHR eher zugute halten, dass sie was gesagt hat, obwohl sie Konsequenzen zu fürchten hat.
Ich denk mal das du das richtige gemacht hast und die grünen ach ne blauen Männchen gerufen hast. BTW: Wer hat sich eigentlich die neuen Uniformen ausgedacht?
„Und was ist mit dem Erbschein?“
JETZT wird einiges klar…Erbschleicher elende…
Martin, wer weiss was das für eine „Agentur“ war…..
Dam dam daaaaa….
Oh, ich kann den nächsten Teil nicht erwarten. Warum muss dieser Blog nur manchmal so spannend sein? ^^
Miese Erbschleicher.
@Martin: Die Annahme, daß solche „Agenturen“ zwingend legal arbeiten, ist arg weltfremd. Es ist nicht unüblich, daß solche Agenturen Personal vermitteln, daß alle drei Monate wechselt (nämlich immer dann, wenn das Touristenvisum, daß keine Arbeitserlaubnis enthält), und sich durchaus professionell um alles kümmern – organisierte Kriminalität eben.
Das „Toeten“ wird man den Leuten sicher nicht nachweisen koennen, das schwarz-Beschaeftigen der Polin schon.
Wie kann man nur… sich nicht zu kümmern und sie an eine Polin abzuschieben ist eine Sache und schon widerlich genug, jemanden umzubringen eine andere. Da kommt’s einem echt hoch!
für das „nachhelfen“ wird sich die polizei interessieren, für die schwarzarbeit der zoll: http://www.zoll.de/d0_zoll_im_einsatz/b0_finanzkontrolle/index.html
Na, Polizei gut und schön, nur muss sich die Polin dann auch wegen Schwarzarbeit verantworten. Und die verschwundenen Pillen wird man wohl nicht nachweisen kommen, da steht wohl Aussage gegen Aussage.
Bist du fertig…. Das ist ja wie in einem Fernsehkrimi.
Jetzt echt „platt“ bin. Mir tut die Polin leid.
Och, da gibts Mittel und Wege, die Aussage von Danuta zu beweisen, sprich, ob wirklich die richtigen Dosen Medikamente verabreicht wurden. Bisher haben wir hier nur Indizien im Blog und ein Motiv, bzw Danuta hat kein Motiv. Alleine schon die Tatsache, dass sie sich bei eine Anzeige selbst einer Straftat bezichtigen würde, entlastet sie ziemlich eindeutig. Sie hätte ja schließlich auch einfach in den Bus steigen können und wegfahren – zu jeder Zeit, egal, ob Frau Schädel noch gelebt hätte oder nicht.
Natürlich können wir auch den Spieß umdrehen und sie bringt die alte Dame selber um und zeigt ihre Peiniger an, bleibt aber das Argument, sie hätte auch einfach abreisen können.
also eigentlich passiert dem schwarzarbeiter selbst doch recht wenig. richtig schlimm ist es doch eigentlich nur für denjenigen der schwarzarbeiter beschäftigt oder nicht?
was passiert ner schwarzarbeitenden polin? ab ins heimatland und das wars oder?
also: das ehepaar ist erstmal wegen der beschäftigung von schwarzarbeitern dran. wird wegen geringfügigkeit eingestellt.
tja was ist das mit der alten dame? wie nennt man so einen straftatbestand genau?
aber ist auch egal. wird auch eingestellt. wem wird vor gericht eher geglaubt? der schwarzarbeitenden polin oder einem deutschen ehepaar? ansonsten wird nichts nachzuweisen sein…welcome to germany…
eingestellt, freispruch, erbe
fertig die rechnung
Auch kleine Augen sind schön! 😛
Ich frage mich ob die Geld aus der Pflegeversicherung bekommen haben. Wäre dann ja wahrscheinlich Pflegestufe 2 (410 Euro) oder 3 (665 Euro) gewesen. Damit hatten sie dann nach Abzug der 400 Euro für Danuta sogar noch was übrig.
Und ich wollte zuerst noch bei Frau Schädel – Montag noch anmerken:
Totgepflegt?
Hatte mir das aber gespart. Man will ja nicht immer so negativ sein.
Das sind die Geschichten wegen denen ich dieses Blog liebe und gleichzeitig verdamme… (wegen der Warterei auf die Fortsetzung wohlgemerkt)
Wäre dies Inhalt einer Krimiserie gewesen hätten wieder alle mitleidig behauptet: „wie unrealistisch“. Ich hoffe Hr. Arschloch wird seine gerechten Strafe zugeführt.
Zu der nagenden Unwissenheit und Neugier wie es weitergeht gesellt sich bei mir gerade irgendwie ein Heißhunger auf Hanutas :/
dass die schwarzarbeit wegen geringfügigkeit eingestellt wird, würde ich gar nicht mal sagen. es drohen empfindliche strafen. wichtig ist die beweislast. aber selbst wenn: die ermittlungen an sich ja schon mal unangenehm genug. und das andere? wegen „sterbehilfe“ kann der mann sehr wohl verknackt werden. „wem glaubt man mehr?“ – einfach drauf ankommen lassen und vielleicht feststellen, dass das leben nicht immer den eigenen vorurteilen entsprechen muss.
Ich hab ein seltsames Gefühl bei der Danuta… kommt einfach so vorbei (woher wusste sie eigentlich, wer die alte Dame bestattet? Haben ihr das ihre ehemaligen „Arbeitgeber“ erzählt? Passt nicht ganz zum übrigen Bild), mampft sich bei Euch durch, obwohl sie gerade doch noch soo trauerzerfressen war – okay, das mag noch realistisch sein – , erwähnt dann so ganz nebenbei, wie schrecklich ungerecht sie behandelt wird/wurde und noch viel nebenbeier, dass die Dame quasi umgebracht wurde?! Und lässt natürlich nicht das kleinste gute Haar an den anderen. Das lässt tief blicken. Selbst wenn sie die Wahrheit sagen sollte (ich glaub nicht dran), warum hat sie dann nicht was unternommen, solang die Dame noch lebte, frag ich mich… Angst um ihren Arbeitsplatz kann’s ja kaum gewesen sein, den konnte sie ja eh abschreiben, sobald sie gemerkt hatte, was läuft… Ich wäre sehr vorsichtig damit, mich gleich hinter sie zu stellen ^^ (Beweisen würde sich das eh kaum lassen, und mit Pech hat Danuta dann am Ende noch ne Racheklage wegen falscher Verdächtigung, Verleumdung o.ä. am… Weiterlesen »
falls Infusoinen angehängt worden sind,
hat die Polin ein Problem,
(weiss ja nicht,wie es in DE ist,aber Infusionen anhängen ist eine Tätigkeit,die Ärzten und Diplomierten Pflegepersonal vorbehalten sind 🙁 )
Hier sieht das alles ein bisschen anders aus! Hier ist egal wer das macht! Meine Oma hat künstliche Ernährung über einen Port im Oberkörper bekommen, bevor sie starb. Die Ärzte waren der Meinung das meine Mutter das anstöpseln soll.
Am Ende kam dann ein Pflegedienst weil wir der Meinung waren das das nicht zur Aufgabe der Familie gehört diese Infussionen anzustecken. Und vor allem kann durch das anstöpseln der Infussion etwas schief gehen, da der Port beschissen gesetzt war!
Irgendwann wird es hier so weit sein und der Hausmeister macht die Narkose und der Gärtner die OP mit der Kettensäge.
Jetzt gibts erst mal eine Obduktion. Dann sieht man weiter. Mal sehen, was der Chemiker sagt. Die Polin bekommt eine Unterkunft vom Staatsanwalt, bis alles geklärt ist. wenn sie Glück hat, bekommt sie ihren Lohn noch nachbezahlt.