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Frau Schädel – Mittwoch

Wir sind alle sehr gespannt und ich werde das latente Gefühl nicht los, daß ich etwas falsch gemacht haben könnte.
Die polnische Pflegekraft Danuta war ja bei uns aufgetaucht, um von Frau Schädel Abschied nehmen zu können. Im Haus der Frau Schädel hatten deren Tochter und Schwiegersohn binnen kürzester Zeit tabula rasa gemacht und nicht nur alles abholen lassen, was an die Pfegezeit erinnerte, sondern auch die Polin kurzerhand weggeschickt.

Diese hatte dann bei uns durchblicken lassen, daß bei der Pflege nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sei, weil der Schwiegersohn in unzulässiger Weise eingegriffen haben soll.

Heute ist der Tag, an dem der Amtsarzt im Krematorium einmal genauer schauen wird und ich vermute, daß dann ein Ermittlungsverfahren in Gang kommt, eine sehr unschöne Sache.

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Angeblich streiken ja die Briefträger, ich merke nichts davon, die Posteingangsmappe ist voller denn je. Es klopft, Frau Büser und Antonia kommen herein und die Büserin schiebt Antonia vor sich her und sagt: „Chef, die Danuta ist weg.“

„Wie, die Danuta ist weg?“

Antonia fängt sofort an zu schluchzen, Trängen kullern über ihre Wangen und die Kleine weint mir vor: „Ja heute Morgen, ich bin noch im Bad, ruft die Danuta, sie ginge mal eben was besorgen und dann war sie weg.“

Etwas Blöderes als: „Wie jetzt? Weg?“ fällt mir nicht ein und Antonia zuckt nur mit den Schulter und antwortet etwas trotzig: „Weg eben, einfach weg!“

Blitzschnell analysiere ich die Situation: Jetzt stehe ich da, mit dem gegenüber Dr. Frost ausgesprochenen Vorwurf gegen die Kinder der Frau Schädel und die einzige Zeugin hat sich verkrümelt, wahrscheinlich in jenen Ort, dessen Name fast nur aus Konsonanten besteht. Wie heißt Danuta eigentlich mit Nachnamen? Niemand weiß es.
Vom Busbahnhof der Nachbarstadt fahren gerade frühmorgens und spätabends Busse in Richtung Osten, wenn sie dahin gegangen ist, dann ist sie schon weit weg.

„Das ist ja ein Ding“, sage ich und Frau Büser zeigt Verständnis für Danuta: „Die hat bestimmt Schiß gehabt, wegen der Schwarzarbeit.“

Ach du meine Güte! Mit den Pflegepolinnen haben wir doch jeden Tag zu tun, diese Geschichten rund um die Pflege hören wir doch tagtäglich. Es scheint so, als funktioniere das System der häuslichen Pflege überhaupt nur durch diese billigen Pflegekräfte aus Polen. Ganz oft handelt es sich um Krankenschwestern, die mit ein paar hundert Euro für häusliche Pflege zuzüglich Unterkunft und Verpflegung besser bedient sind, als mit einem Job im Schichtdienst in einer polnischen Klinik. Sogar Medizinstudentinnen und Ärztinnen ohne Anstellung habe ich schon kennengelernt.
Dabei ist das Ganze recht gut organisiert. Die meisten bleiben nur ein paar Monate und wenn die Zeit gekommen ist, um wieder nach Hause zu gehen, organisieren sie selbst ihre Nachfolgerin. Auf diese Weise ist die Pflege nahtlos sichergestellt.
Bei allem was ich so gehört habe, bekommen die Polinnen normalerweise zwischen 600 und 900 Euro im Monat, für eine 24 Stunden-Pflege.

In anderen Fällen lassen die Bediensteten der caritativen Pflegedienste gerne auch mal ihre private Telefonnummer bei den Angehörigen und übernehmen die Pflege dann „auf eigene Rechnung“. Material und benötigte Hilfsmittel zwacken sie manchmal sogar bei ihren normalen Kunden ab.

Da liegt vieles im Argen, ich weiß das und ich sehe das immer wieder.

Vielleicht hätte man in Zeiten, als die Töpfe noch gut gefüllt waren, nicht jeden alle zwei Jahre in Kur schicken sollen und nicht jedem jedes Jahr eine neue Brille und alle zwei Jahre ein neues Hörgerät geben sollen? Wer weiß das schon?
Es war doch lange absehbar, daß die Menschen immer länger leben werden und daß es vielen nicht vergönnt sein wird, noch mit 87 Jahren geistig rege und körperlich fit zu sein.
Ich habe manchmal den Eindruck, als sei die Politik von dieser Entwicklung völlig unvorhergesehen überrascht worden, zumindest gibt sie sich so den Aschein.

Da ist es kein Wunder, daß sich immer mehr Familien nach einer polnischen Hilfs- und Pflegekraft umschauen und hier den günstigsten und unbürokratischsten Weg gehen wollen. Ich will das nicht gutheißen, kann die Familien aber verstehen.

Danuta ist weg und daß sie wirklich ganz weg ist wird gegen 11 Uhr klar, da ist schon soviel Zeit vergangen und wenn sie noch in der Stadt wäre, hätte sie sich gemeldet.
Ich warte auf einen Anruf von Dr. Frost und bin ehrlich gesagt etwas hibbelig. Ich muß sonst nie so oft Pipi machen, richtig nervös macht mich das alles.

Statt eines Anrufes von Dr. Frost kommt der Schwiegersohn von Frau Schädel. Er ist auf Hundertachtzig, hat einen hochroten Kopf und will mich unbedingt sprechen.

„Das ist ja unglaublich!“ poltert er, als er in meinem Büro sitzt und ballt die Fäuste. Dann fängt er an zu schimpfen und zu erzählen und auf einmal sieht die ganze Geschichte schon wieder ein bißchen anders aus.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#frau #mittwoch #schädel

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