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Frau Schädel – Mittwoch 2

Fehler von Sprachwahrer Michael beseitigt

“Das ist ja unglaublich!” poltert er, als er in meinem Büro sitzt und ballt die Fäuste. Dann fängt er an zu schimpfen und zu erzählen und auf einmal sieht die ganze Geschichte schon wieder ein bißchen anders aus.

Herr Irrlich, der Schwiegersohn von Frau Schädel schüttelt seine geballten Fäuste und schimpft mit hochrotem Kopf: „Dieses verfluchte Polenweib! Ich weiß was die Schlampe herumerzählt und die hat sogar versucht, uns bei meinem Schwager schlecht zu machen. Wegen der kriegen wir am Ende keinen Erbschein.“

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„Jetzt beruhigen Sie sich doch erst mal und nehmen Sie Platz“, sage ich, schiebe einen Stuhl in seine Richtung und er setzt sich, um gleich wieder aufzuspringen und herumzulaufen, so aufgeregt ist er.

„Ach, ist doch aber auch wahr!“ ruft er und aus seiner Stimme klingt fast ein bißchen Verzweiflung: „Da haben wir diese Frau genährt, gekleidet und bezahlt, ihr ein Dach über dem Kopf gegeben und sie unterstützt wo es nur ging und jetzt hängt sie uns sowas an. Haben Sie schon gehört, was die uns vorwirft?“

Ich mag nicht lügen, will ihm aber auch keine Steilvorlage liefern, deshalb grunze ich nur undefiniert. Herr Irrlich klopft mit der flachen Hand auf den Tisch, atmet tief durch, setzt sich und erzählt: „Meine Schwiegermutter hat ja nur die letzten Wochen kontinuierlich im Bett gelegen. Gut, die hat am Ende nicht mehr gewußt, wer wir sind und wie sie heißt, aber alle Kinderlieder aus ihrer Kindheit konnte sie noch komplett auswendig. Zwei oder drei Mal ist sie ausgeflippt, hat um sich geschlagen, gespuckt und getreten, da war sie dann ganz böse und es hat immer eine Weile gedauert, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Aber die ganze übrige Zeit war sie wie ein Hündchen oder ein ganz kleines Kind. Folgsam, anhänglich, dankbar und mit dem Gehfrei-Rolli konnte sie ja noch bis vor einigen Wochen jeden Tag nach draußen.“

„Ja, sowas habe ich schon häufiger gehört“, sage ich mal zwischendurch und er fährt fort: „Aber mit dem Essen und Trinken war das schon länger ein Problem. Ein paar Bissen und sie war satt und trinken wollte sie gar nicht, sie sagte immer: ‚Ich habe keinen Durst‘. Dafür war ja die Danuta da! Und jetzt behauptet die blöde Kuh, wir hätten der Schwiegermutter den Saft abgedreht und ihre Pillen weggeworfen. Frechheit!“

„Sowas in der Art habe ich auch gehört.“

„So ein Scheiß-Unsinn! Überlegen Sie doch mal! Jetzt fällt doch die Rente von der Oma weg. Mal ganz ehrlich: Die hat im Grunde kaum was verbraucht und das Geld von der Rente so nebenher konnten wir immer ganz gut gebrauchen. Das ist doch jetzt alles weg. Meinen Sie, wir sind doof?“

„Aber wie kommt denn Danuta dann dazu, sowas zu behaupten?“

„Das kann ich Ihnen ganz genau sagen! Als meine Schwiegermutter noch so halbwegs klare Sätze gesprochen hat, da war sie schon meschugge, ja? Da hat sie aber irgendwann mal der Danuta gesagt, daß sie ihr ordentlich was vererben will. Sie wissen doch, wie alte Leute so sind, wenn dann noch die Dankbarkeit dazu kommt und so.“

„Und Sie meinen, daß die Danuta da drauf spekuliert hat?“

„Also daß die Danuta nichts kriegt, das haben wir ihr gleich gesagt. Meine Schwiegermutter hat vor Jahren ein Testament gemacht, in dem sind wir, also meine Frau, die erben vom Haus. Der Bruder von meiner Frau ist vor Jahren mal ausbezahlt worden, weil der ’ne Eigentumswohnung wollte. Ein neues Testament hätte meine Schwiegermutter gar nicht mehr schreiben können. Außerdem hat sie auch den Männern, die damals den Toilettenstuhl gebracht haben, ein großes Erbe versprochen.“

„Ja aber was treibt Danuta denn dann an, wenn sie ja sowieso nichts bekommt?“

„Tja, meine Frau meint ja, daß die blöde Ziege das aus Rache macht, um uns die Tour zu vermasseln. Was weiß denn ich warum die jetzt so herumspinnt.“

„Und da ist gar nichts dran, an dem was sie behauptet?“

„Quatsch mit Soße! Wenn man meiner Frau und mir was vorwerfen kann, dann daß wir uns nicht viel um die Oma gekümmert haben, aber das hat seine Gründe. Dafür war ja die Danuta da!“

Ich bin nahezu sprachlos und weiß nicht was ich glauben soll. Danuta war so überzeugend aber auch Herr Irrlich kommt völlig authentisch rüber. Aber Danuta war doch hier und ich hatte den Eindruck, daß die echt getrauert hat und außerdem steht ja noch im Raum, daß die Irrlichs die Polin quasi auf die Straße gesetzt haben und das sage ich ihm auch:

„Aber sie hat hier wirklich um Ihre Schwiegermutter getrauert und sich beklagt, daß sie so plötzlich gehen mußte.“

„Na hören Sie mal! Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun. Natürlich hat die Danuta meine Schwiegermutter gemocht. Ich sag ja, abgesehen von den paar Ausfällen war die immer lieb und folgsam. Aber was Sie da sagen, das mit dem plötzlich Gehen, das stimmt ja auch nur halb.“

„Und wieso?“

„Weil als die Danuta kam, da blieb die immer nur für drei Monate, dann kam am Anfang für ein paar Wochen eine andere Polin, das hat irgendwas mit dem Pass zu tun oder so. Aber am Ende, als Danuta dachte, sie könnte was erben, da hat sie die andere Polin nicht mehr kommen lassen, weil sie Angst hatte, daß die dann auch was abstaubt. Verstehen Sie?“

„Aber die wirft Ihnen doch ganz konkret vor, was gemacht zu haben.“

„Jaja, Wasser abgedreht und Pillen weggeschmissen, ich weiß. So ein Scheiß! Ich könnte die Kohlfresserin durch den Wolf drehen! Mal ganz ehrlich, jetzt nur so unter uns Pfarrertöchtern: Meine Frau und ich haben die Oma nur gesehen, wenn die mit der Danuta vom Spazierengehen wiederkam. Zuletzt waren wir vielleicht einmal die Woche oben bei der Oma, aber nur weil’s sich so gehört.“

„Weil’s sich so gehört?“

„Wenn Sie wüßten, wie meine Schwiegermutter früher immer war, dann würden Sie uns verstehen. Aber das führt hier wirklich zu weit. Nur lass ich mir von der Polenschlampe meinen Erbschein nicht kaputtmachen.“

„Ja und was machen wir jetzt? Was erwarten Sie jetzt von mir? Ich bin nur der Bestatter und habe da weder was zu entscheiden, noch kann ich sonstwas machen.“

„Erstens will ich von Ihnen wissen, ob Sie ’ne Ahnung haben, wo Danuta jetzt ist und zweitens wollen meine Frau und ich jetzt keine Feuerbestattung mehr. Dann ist die Oma nachher verbrannt und uns hängt noch irgendeiner so ’ne Scheiße an.“

Das erstaunt mich jetzt dann doch. So doof, wie ich dachte, ist der gar nicht. Aber ich will noch wissen, wie das mit dem Weggang der Danuta war: „Und warum hat die Danuta so plötzlich gehen müssen?“

„Von Müssen kann ja gar nicht die Rede sein. Nach dem Theater was wir mal mit der hatten, wegen der ganzen Erberei und so, haben wir sowieso nicht viel miteinander geredet und sagen wir mal, das Verhältnis war nicht das Beste. Daß ich mich in der Kuh nicht getäuscht habe, das sieht man ja jetzt. Als die Schwiegermutter tot war, hat meine Frau gleich alles abholen lassen, das Bett, den Klostuhl, alles. Das hat seine Gründe. Zu Danuta haben wir gar nichts gesagt, aber auf einmal stand sie da, mit Hut und Mantel und ihrem bißchen Gepäck und wollte Geld. Mein Frau hat dann gesagt: ‚Wofür willst Du Geld? Wir haben Dich den ganzen Monat bezahlt.'“

„Im Voraus?“

„ja ich weiß, das ist unüblich. Aber damals als die Danuta kam, hatte die ja gar kein deutsches Geld und da haben wir ihr ihr erstes Geld gleich auf die Hand gegeben und da sind wir bei geblieben.“

„Ja und dann?“

„Können Sie Polnisch?“

„Nein.“

„Sehen Sie, ich auch nicht! Aber auch wenn man kein Polnisch kann, eins ist sicher: Die hat uns verflucht und beschimpft und ist gegangen. Geheult hat sie und ist gegangen.“

„Tja, und jetzt?“

„Jetzt will ich wissen wo die Schlampe ist!“

„Soviel ich weiß, ist die weg, vermutlich schon mit dem Bus nach Polen.“

„Das haben wir uns schon gedacht. Ich mach‘ jetzt Folgendes, ich geh‘ jetzt zum Doktor und lass mir von dem bescheinigen, daß meine Schwiegermutter immer gut gepflegt worden ist. Ich meine, kein Schwein kann uns zwingen, daß wir jeden Tag am Bett von der Oma sitzen. Aber wir hatten die Danuta und haben uns sonst nicht viel gekümmert. Anhängen lassen wir uns aber nichts.“

„Und was sagt Ihr Schwager dazu? Danuta hat ihn doch angerufen.“

„Das kann der Ihnen mal schön selbst sagen, der kommt heute gegen Abend her und will seine Mutter hier sehen.“

„Die ist aber schon im Krematorium.“

„Dann lassen Sie mal Ihre Hosen wackeln und gucken Sie, daß sie die mal wacker wieder herholen, denn Verbrennen ist jetzt nicht mehr.“

Er klopft mit der Flachen Hand erneut auf den Tisch, erhebt sich, hat alles gesagt und will gehen. Ich sage: „Gut, dann machen wir das so, aber die zusätzlichen Kosten müssen Sie tragen.“

„Das ist mir sowas von scheißegal, mal ehrlich gesagt. Soll ich Ihnen was unterschreiben?“

Ich nicke, ziehe das Auftragsblatt von Frau Schädel und notiere die Auftragsänderung. Schließlich müssen wir auch beim Friedhofsamt alles ändern und die Frau wieder holen. Eingeäschert wird sowieso erst am nächsten Tag, also passt das noch.
Herr Irrlich unterschreibt, klatscht den Kuli auf den Tisch und geht.

So sitze ich einmal mehr ziemlich geplättet in meinem Büro und lasse gerade das Gespräch noch einmal Revue passieren, da kommt Frau Büser: „Chef, der Dr. Frost ist am Apparat.“

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#frau #mittwoch #schädel

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