Geschichten

Frischer Kaffee

Immer wenn ich zum Pietätswarenhändler fuhr, war das für mich ein besonderes Erlebnis.
Der Pietätswarenhändler ist ein Großhändler, der den gesamten Bedarf an Bestattungsartikeln vorrätig hat. In einer Gegend, in der drei Bundesländer aneinander stoßen und es viele kleine Dörfer und Gemeinden gibt, da gibt es auch eine bunte Vielfalt an unterschiedlichen Gepflogenheiten, Friedhofsordnungen und Vorstellungen von einer würdigen Bestattung.
Dementsprechend groß ist das Sortiment, allein an Grabkreuzen hat der Händler an die zwölf verschiedene Formen auf Lager, weil bei uns schlichte 80 cm hohe Kreuze genommen werden, während kaum 10 Kilometer entfernt mannsgroße Kreuze mit verkupfertem Dach genommen werden und wieder nur wenig davon entfernt kleine, neutrale Holztäfelchen vorgeschrieben sind.

Ein Besuch beim Pietätswarenhändler ist auch immer eine Art Ideenbörse. Er hat neue Sargmodelle auf Lager, ganz andere Urnen im Regal als die die man kennt, führt Artikel zur Leichenversorgung, die man selbst noch nicht verwendet und hat eine so große Vielfalt im Angebot, daß man stets auch neue Ideen bekommt, was man noch alles verbessern könnte.

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Herr Mönkert, so heißt der gemütliche Mann, ist ein Selfmademan, wie man das so sagt. Er war Angestellter bei einer Firma, die Sargdecken und -kissen herstellt und hat sich irgendwann selbständig gemacht. In jahrzehntelanger fleißiger Kleinarbeit hatte er sich einen Betrieb mit zehn Angestellten aufgebaut, hatte fünf Lieferwagen auf dem Hof seines modernen Gebäudes in einem Gewerbegebiet und belieferte Bestattungsunternehmen vorwiegend im Umland, aber auch bis weit ins Bayerische und in die östlichen Bundesländer.

Eigentlich ein richtiger Einheimischer, mit tiefer Verwurzelung im dörflichen Treiben seiner Wohngemeinde, Mitgliedschaft im Kirchenchor, Gesangsverein und Männerstammtisch, hatte er aber auch eine orientalische Ader.
Kein Geschäft ohne daß man vorher erst gemütlich beisammen gesessen und Kaffee getrunken hätte. Erst das Geplänkel über Familie, das Wetter und die Fußballergebnisse und dann das Geschäft.
Auch da war er Orientale. Handeln, schachern, feilschen, der Handschlag am Ende, alles das war ein sorgsam gepflegtes Ritual.

Und ich muß sagen, der Kaffee bei Herrn Mönkert war stets erstklassig. Gekocht in einem uralten metallenen Teil, das man direkt auf die Herdplatte stellte, schmeckte der Kaffee so, wie ich es von den alten Tanten in meiner Verwandtschaft kannte und wie man es mit modernen Maschinen gar nicht hin bekommt.

Doch eines Tages, es war so in der Vorweihnachtszeit, kam ich zu ihm und das Erste was er mir erzählte, war die Botschaft, daß er sich eine fürchterlich teure Espresso- und Kaffeemaschine aus der Schweiz gekauft hatte.
Ja, das sei ein wenig viel geworden, jetzt kämen doch immer mehr Leute zu ihm und dann immer die Kocherei mit dem Perkolator wäre ihm zu mühsam geworden.

„Probieren Sie mal, dieser Kaffee hier ist so was von lecker!“ forderte er mich auf und stellte mir mit erwartungsvollem Gesicht eine Tasse Kaffee hin.

Ich probierte und ich staunte!
Ich staunte, weil das der übelste und ekligste Kaffee war, den ich (außer in Venedig für 12 Euro!) jemals getrunken hatte.
Ein ranziger, fast muffiger Geschmack, bitter, leicht verbrannt, seltsam, seltsam, seltsam…

„Jaaaa! Da staunen Sie, nicht wahr? Das ist was ganz Besonderes!“ freute sich Herrn Mönkert, der mein angewidertes Gesicht für den Ausdruck der lukullischen Verzückung hielt.

Ich hatte Mühe, die Brühe hinten über die Zunge zu kriegen, mein Kehlkopf weigerte sich, einen Spalt freizugeben und mein Zäpfchen zappelte vor innere Ablehnung in Richtung weichem Gaumen und wollte mir einen Würgereiz bescheren.
Zwang, Selbstkontrolle und jahrelange Meditation vor dem dicken Buddha im Flur versetzten mich jedoch in die Lage, mein transzendentales Ich auf mein postdentales Ich zu transferieren und tatsächlich rutschte der Schmodderkram in Richtung Magen.

„Na, lecker oder?“ freute sich Herr Mönkert und konnte es gar nicht erwarten, daß ich noch einen Schluck nahm: „Trinken Sie, trinken Sie nur! Ich mache gleich einen neuen, das geht mit der neuen Maschine in Windeseile und wenn Sie die zweite Tasse getrunken haben, verrate ich Ihnen auch das Geheimnis, warum der Kaffee so toll schmeckt.“

„Das interessiert mich sehr“, wollte ich sagen, doch meine von der kaffeeähnlichen Teerbrühe betäubten Schleimhäute gaben nur ein „Das gnurkel mehr“ von sich.
Mönkert schlug sich vor Freude auf die Schenkel, sprang auf und schon hörte ich wieder das Geräusch des Zischens und Blubberns aus dem Nebenraum und Sekunden später hielt er mir eine Tasse mit der dampfenden Jauche unter die Nase. „Ja, da bekommt man nicht genug davon, das ist Qualität, das ist die Schweiz, ja, die können was die Schweizer, sind zwar komische Leute, manche sollen da ja noch Hunde essen, aber Uhren und Kaffeemaschinen, die können sie bauen, die Schweizer.“

„Grawottl“, sagte ich mit gelähmtem Gutturalapparat, was eigentlich eine Verteidigung der sonstigen Qualitäten unserer südlichen Nachbarn beinhalten sollte.

„Ja, ja, da haben Sie Recht. Deren Deutsch ist scheußlich. Noch ein Täßchen?“

Ich versuchte gar nicht mehr, irgendetwas zu artikulieren, sondern schüttelte nur heftig den Kopf, winkte mit einer Hand ab, bedeckte die Tasse mit der anderen Hand und atmete dabei heftig durch die Ohren, alles andere war inzwischen zugeschwollen.

„Na, dann kommen Sie mal, dann zeige ich Ihnen mal meine Kaffeeproduktion“, sagte Mönkert, rieb sich die Hände voller Vorfreude und schob mich nach nebenan, wo er eine kleine Küche eingerichtet hatte. An der Tür stand „Sozialraum“.

„Schauen Sie, die Maschine wird nicht mit Bohnen beladen. Diese kleinen Maschinchen mit Mahlwerk gehen ja sowieso immer nach drei Monaten kaputt, das ist was für Doofe. Ich habe dort drüben eine Kaffeemühle, mit der mahle ich mir meinen Kaffee selbst. Dann kommt der hier in diese Dose, aus der nehme ich dann die benötigte Menge, fülle sie in den Siebträger, hake den hier ein und dann gebe ich Gas.
Das Wasser schießt dann mit einer Million Atü durch den Kaffee und produziert in einer Zehntelsekunde diesen herrlichen Kaffee.
Na, ist das was?“

Ich nickte stumm, ich glaube ich hatte meine Zunge verschluckt.

„Aber das größte Geheimnis, das habe ich hier drüben“, sagte er und führte mich zur Küchenspüle, neben der ein Backofen stand.
„Passen Sie auf!“ freute sich Mönkert, zog dicke Kochhandschuhe über, öffnete den Backofen und zog das Backblech heraus. „Sehen Sie, das ist mein Geheimnis!“

Ich schaute und staunte.
So eine Kaffeemaschine mit Siebträger produziert ja nicht nur Kaffee, sondern auch gepreßte Pellets aus Kaffeesatz und solche Pellets lagen zuhauf auf dem Backblech.

„Ja, so macht man das, wenn man Ahnung hat! Ich weiß doch, daß in den runden Dingern, die da übrig bleiben, noch jede Menge Geschmack und Inhaltsstoffe enthalten sind. Deshalb röste ich die im Backofen bei ungefähr 175 Grad.
Die heißen Pellets löse ich dann in Wasser wieder auf, damit sie zu einem Brei werden und den streiche ich dann wieder auf ein Backblech und trockne ihn bei Zimmertemperatur.
Nach so einer Woche ist die Feuchtigkeit raus und dann fülle ich das Kaffeemehl in die große Büchse da vorne und verwende es. Das kann man bis zu sechs oder sieben Mal machen!“

„Ach was“, konnte ich hervorbringen.

„Ja, ja, das ist Geschmack, das ist Qualität! Da darf man natürlich nicht den billigsten Kaffee nehmen, hab ich alles ausprobiert. Aber der gute da, den kann man so echt lange verwenden. Wichtig ist, daß man die Pellets nochmal richtig schwarz röstet, am Ende kurz bevor ich sie raus nehme, mache ich immer noch den Grill im Backofen an, die müssen fast schon verbrannt riechen. Lecker!“

Da ich mit dem ‚Ach was‘ gute Erfahrungen gemacht hatte, sagte ich es wieder: „Ach was?“

„Ja, da staunen Sie, nicht wahr? Einmalig so eine Maschine“, sagte Herr Mönkert, streichelte über die Edelstahlmaschine und meinte: „Die haben’s drauf, die Schweizer. Ich bin erstaunt, wie wenig frischen Kaffee ich kaufen muß. Früher habe ich drei Kilo in der Woche an meine Kunden ausgeschenkt, heute langt mir ein Kilo fast drei Monate. Das Geheimnis ist der Borstenpinsel. Nur mit dem Borstenpinsel bekommt man auch den letzten Rest aus der Maschine, so wird nichts verschwendet.

Kommen Sie, ein Täßchen wollen Sie doch noch, das sehe ich Ihnen doch an!“

Das war der Tag, an dem meine zweijährige Teephase begonnen hatte.

Übrigens: Man muß den Tee vor dem Trocknen auf dem Backblech aus den Teebeuteln rausmachen.


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Kategorie: Geschichten

Die teils auch als Bücher erschienenen Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Sie haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, da Erlebnisse nur verändert-anonymisiert wiedererzählt werden.


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Lesezeit ca.: 10 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 19. November 2012

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