Geschichten

Frühbier -III-

Da sitze ich in meinem Sessel hinter meinem Schreibtisch, vor mir wird der Kaffee in der Tasse langsam kalt und ich wage es kaum, zu atmen, so fesselt mich die Geschichte der alten Frau Frühbier. Und als sie endet, da steht für mich fest, daß ich noch niemals einen so niederträchtigen und schrecklichen Menschen wie diesen Herrn Frühbier gekannt habe und ich bereue jedes einzelne mit ihm gewechselte Wort.

Sagen wir es so, es gibt und gab kaum eine Gemeinheit und kein Verbrechen, dessen sich Horst Frühbier nicht schuldig gemacht hat. Für einiges davon hat er im Gefängnis gesessen, das meiste ist ungesühnt geblieben.

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So wie es mir seine Mutter erzählt, hat das schon in seiner Kindheit angefangen. Ein Raufbold und ungezogener Lümmel sei er gewesen und er habe keine Gelegenheit ausgelassen, die anderen Kinder im Kindergarten zu quälen. Mit den Jungs habe er sich ständig geprügelt und bei den Mädchen habe er damit glänzen wollen, Tieren etwas Grausames anzutun, um die Mädchen damit zu verschrecken.
Zuerst habe er Katzen die Schwänze zusammengebunden, dann Frösche aufgeblasen und vor den Augen der Mädchen zertreten, dann habe er den Spitz des praktischen Arztes Dr. Möllermann mit einer Schnur an die heruntergelassene Schranke am Bahnübergang gebunden und unter lautem Gejohle, angeregt durch die Angstschreie der anderen Kinder, zugesehen, wie der Hund erhängt wurde, als die Schranke sich nach der Durchfahrt des Zuges automatisch wieder öffnete.

In der Schule sei es nicht viel anders gewesen, da habe er aufgrund seiner Größe und Kraft keine Probleme damit gehabt, von anderen Kindern allein durch drohendes Auftreten das Milchgeld zu erpressen und wer nicht spurte, dem drohte er damit, mit ihm das Gleiche zu machen, wie mit dem Hund des Doktors.

Immer hat Mutter Frühbier alles ausbügeln können, hat ihn bestraft, geschlagen, gedroht, ihm Hausarrest erteilt, ihm prophezeit, er käme bald ins Kinderheim… Nichts habe geholfen, nach einer kurzen Weile des Wohlverhaltens sei immer wieder irgendwas gewesen.
„Irgendwann habe ich dann erkannt, daß der einfach nicht wohlgeraten ist und dann habe ich einfach aufgegeben. Bei dem war Hopfen und Malz verloren. Der hat geklaut wie ein Rabe, der hat alles gemacht was verboten ist.“

Dort wo sich heute der Hof des Frühbier’schen Hauses befindet, stand früher ein Schuppen, eine Art Anbau.
„Nach dem Krieg, als alles in Trümmern lag, da haben wir da aus Trümmersteinen so ein Stück angebaut gehabt, da wohnten dann zwei ausgebombte Familien drin. Später hat da ein blinder Invalide mit seiner behinderten Tochter Angela gewohnt, die war nicht ganz gebacken, wenn Sie verstehen was ich meine. Die hatte nicht alle Riemen auf der Orgel, war aber ein ganz liebes Mädchen. Als Angelas Vater gestorben ist, hat die beim Schwanenwirt als Geschirrspülerin angefangen und hat sich was verdient. Da war sie gerade mal 18. Wir haben sie dann da wohnen lassen, sauber war sie ja, kann man nicht anders sagen.“

Die alte Frau Frühbier stockt, putzt sich umständlich die Nase, das Taschentuch könnte man, wäre es nur sauber, auch problemlos als Tischdecke nehmen.
Sie fährt fort: „Ich hab das doch alles erst mitbekommen, als eines Tages die Polizei gekommen ist und den Horst mitgenommen ist. Diese Schande! Meine Güte, diese Schande! Alle haben sie mich angeschaut und ich habe jahrelang ihre bohrenden Blicke in meinem Rücken gespürt. Aber ich habe ja nichts gemacht, also bin ich nach wie vor jeden Tag einkaufen gegangen und habe mir nichts anmerken lassen.“

„Was hat er denn gemacht?“ frage ich nach und sie schaut mich an, als könne sie gar nicht glauben, daß ich das nicht weiß.

Ich muß aber zwischendurch kurz die Geschichte von Rainer L. erzählen. Der war hier im Ort vor 25 Jahren sehr bekannt, man könnte sagen, daß er bekannter noch war als der sprichwörtliche bunte Hund.
Eines Tages hat Rainer im Suff seine Freundin Magdalena erschlagen und ihre Leiche von der Brücke in den Fluss geworfen. Es sollte so aussehen, als habe das Mädchen Selbstmord gegangen. Da man sich aber schlecht erst mehrmals mit einem Hammer den Kopf einschlagen und dann noch von einer Brücke springen kann, fiel der Verdacht recht schnell auf Rainer, der zügig der Tat überführt und in einem damals aufsehenerregenden Prozess abgeurteilt werden konnte.
Ich weiß nicht genau, ob da Jugendrecht eine Rolle spielte, oder ob am Ende alles auf Totschlag hinausgelaufen ist, jedenfalls kam Rainer nach etwa 9 Jahren wieder aus dem Gefängnis.
Ich meine, ich persönlich würde dann nicht unbedingt wieder in die gleiche Gegend ziehen, aber ich bringe ja auch niemandem um, ich quäle nur Leute mit Cliffhängselei.
Rainer ist aber wieder in diese Gegend gezogen und jetzt kommt das, wovon ich sprechen will.
In diesen neun Jahren haben alle Leute vergessen was damals passiert ist. Die Familie des Mädchens war inzwischen weggezogen und niemand sprach mehr über diese Geschichte.
Fragte man jemanden, dann erinnerte er sich allenfalls daran, daß da mal was gewesen ist, aber was… nee, irgendwas mit Mord, aber wahrscheinlich war das doch Selbstmord…, keine Ahnung.

Genau deshalb wußte ich auch von Horst Frühbiers Geschichten nichts, Da sprach niemand drüber und ganz offenbar hatte selbst das sonst doch allwissende Früchteorakel vom Gemüseladen keine Erinnerung mehr daran.

Frau Frühbier macht ein regelrecht enttäuschtes Gesicht, man könnte auch sagen, daß sie es augenscheinlich lästig findet, mir jetzt erklären zu müssen, was ihr Horst gemacht hat. Aber sie will mir ja alles erzählen, da kann sie das jetzt nicht auslassen.

„Der hat die Kleine vergewaltigt. Immer wieder, manchmal dreimal am Tag, ganz lange…“

Sie schaut mir direkt in die Augen, sie zeigt keinerlei Fremdschämen, Fremdreue oder sonstwas, nur ein kühler, nüchterner Blick. Man sieht, daß sie sich diesen Schuh nie angezogen hat.

„Unglaublich“, ist alles was mir dazu einfällt und sie zuckt nur langsam mit den Achseln: „Was soll ich denn sagen? So war’s. Die Angela hat sich nicht richtig gewehrt, er hat ihr mal eine runtergehauen und davor hatte sie dann immer Angst, die hat nichts davon gesagt, die hat sich das jeden Tag stumm und einfältig gefallen lassen und wenn er fertig war und wieder weggegangen war, hat man sie weit über den Hof schluchzen gehört. Wir alle haben immer gesagt: ‚Die weint weil ihr Papa tot ist, das arme Ding“, aber kein Mensch hat daran gedacht, daß der Horst nicht nur zum Kaninchenstall geht, sondern sich das Mädchen da hernimmt.“

„Und wie ist das rausgekommen?“

„Weil sich der Horst dämlich angestellt hat, weil er seine blöde Klappe nicht halten konnte. Der Esel hat in besoffenem Kopf im „Gasthof Sonnentau“ auch noch mit dem Mist angegeben und seinen Saufkumpanen angeboten, sie dürften auch mal… für Geld… Und einer von denen hat das alles der Polizei erzählt.“

Frau Frühbier putzt sich wieder die Nase, dann schaut sie mit einem abwesenden Blick auf ihre eigenen Hände, während sie den großen Lappen zusammenlegt: „Ach wissen Sie, ich bin doch die Mutter.“
Sie seufzt, atmet tief ein, blickt mich wieder an und sagt: „Man ist und bleibt die Mutter und der Horst ist doch mein Kind, verstehen Sie? Ich hasse ihn für das was er gemacht hat, er hat so viel Leid unter die Menschen gebracht, aber ist doch mein Kind – das Kind, das ich geboren habe.“

Sie stockt, überlegt und fragt: „Was habe ich denn falsch gemacht?“
Dann steht sie auf, nimmt ihre kleine schwarze Handtasche, die auch schon mal bessere Tage gesehen hat, geht zur Tür und dreht sich nochmals um. „Er ist doch mein Sohn und trotzdem ist er ein Schwein. Aber das kann sowieso keiner verstehen.“

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(©si)