Geschichten

Ganz wichtig mitten in der Nacht

Bestatter wird mit Witzen belästigt

„Höre ich da etwa leichten Unmut in Ihrer Stimme?“

Das war der Satz, an dem ich normalerweise den Telefonhörer einfach wieder aufgelegt hätte. Aber den Satz hatte Frau Emmerling gesagt, und am Nachmittag dieses Tages hatten wir ihren Vater aus der Leichenkammer des Marien-Krankenhauses abgeholt.

Es kamen mehrere Dinge zum Tragen, die mich dazu bewogen, den Telefonhörer nicht aufzulegen.

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1. Der Tote lag noch auf der Abholtrage, weil die Familie noch den Sarg aussuchen wollte. Und bis der Tote im Sarg liegt und man keine Unterschrift unterm Auftrag hat, ist man vorsichtig; zu groß ist die Gefahr, dass die Leute einen anderen Bestatter beauftragen.

2. Menschen, die abends um 23.45 Uhr bei einem Bestatter anrufen, haben ja in der Regel ein dringendes Anliegen.

3. Angehörige, die gerade ein Familienmitglied verloren haben, sind nicht immer Herr ihrer Sinne und reagieren oft emotional unausgeglichen, das muss man als Bestatter aushalten können.

4. Meine Stimme hatte wirklich etwas ungehalten geklungen.

Ich war deshalb etwas angemeiert, weil es eben schon kurz vor Mitternacht war und ich schon mein Spielhöschen anhatte und eigentlich ins Bett wollte. Natürlich ist man als Bestatter immer dienstbereit und muss oft auch nachts raus, aber der vorangegangene Satz von Frau Emmerling hatte mich in eine gewisse Abwehrhaltung bugsiert. Sie hatte gesagt: „Sie müssen unbedingt sofort kommen. Wir sitzen hier alle in hellster Aufregung, die ganze Familie ist da, nur mein Schwager aus Lützelsachsen fehlt noch, der kommt aber innerhalb der nächsten halben Stunde, wir müssen dringend wichtige Angelegenheiten klären, meine Schwester ist extra aus Dortmund mit dem Zug gekommen, wann können Sie denn da sein?

Daraufhin hatte ich nur gefragt: „Wie jetzt? Heute noch?“

„Ja, haben Sie denn keinen 24-Stunden-Dienst? Dann muss ich Ihnen aber sagen, dass die Beschriftung auf Ihrem Schaufenster und die Angaben in der Zeitung irreführend sind, da steht, dass Sie 24 Stunden erreichbar sind. Und jetzt soll das nicht so sein? Das würde mich aber wundern, denn da müsste sich ja dann die Verbraucherzentrale mal drum kümmern. Sie kommen doch, oder?“

Frau Emmerlings Vater hatte vor Jahren bei uns eine Bestattungsvorsorge abgeschlossen und eine kleine Sterbegeldversicherung dafür eingesetzt. Er hatte aber ausdrücklich dazu gesagt, dass seine Tochter eines Tages dann alles Nähere regeln wird, und seine Verfügungen nur für den Fall gelten, dass die Tochter sich nicht entscheiden kann.

Um was es denn gehe, erkundigte ich mich noch, bekam aber nur zur Antwort, dass es sich um „elementare Dinge“ und „weitreichende Entscheidungen“ handeln würde, die nur im Rahmen der gesamten Familie beschlossen werden könnten, und die Familie sei jetzt zusammengeeilt, und es sei ja wohl das gute Recht der Hinterbliebenen, dass der Bestatter „sich dann auch mal sehen lässt“.

Zähneknirschend, aber fest gewillt, mir nichts anmerken zu lassen, fuhr ich die 18 Kilometer und war dann so gegen Viertel vor eins bei denen.

Im Wohnzimmer und im angrenzenden Esszimmer hatten sich so an die zwölf Personen versammelt. Frau Emmerling war noch damit beschäftigt, am Handy ihren Schwager aus Lützelsachsen herbeizulotsen.
Ihr Bruder Elwin, den ich versehentlich Erwin genannt hatte, war mir feindlich gesinnt und fragte gleich mal: „Ihr seid doch sowieso alle Halsabschneider, was wird das der Spaß denn nun kosten?“

Noch bevor ich ihm mit der Faust ins Gesicht hauen konnte (natürlich nur imaginär), meldete sich ein anderer Mann, der sich als Herr Blümelkort vorstellte, und erkundigte sich: „Sagen Sie mal, wenn wir gleich einen Sarg ausgesucht haben, kann ich da morgen mal drin probeliegen? Ha ha ha ha ha, schüttel, ha ha ha!“
Beifallheischend schaute er sich in der betreten schweigenden Runde um und setzte dann nach: „Sie liegen doch bestimmt auch immer Probe, Sie müssen ja garantieren können, dass die Leichen auch bequem liegen, oder? Ha ha ha, Bauch halten, Ha haha!“

Habe ich ja noch nie gehört, diese Sprüche, noch niiiiiiie.

„Aber sagen Sie mal, die Totenhemden, sind die auch bügelfrei? Hah ha ha ha, ha ha ha!“

„Wie ist das denn? Ihr verkauft die Särge doch dreimal oder? Ha ha ha ha.“

„Ihr vertauscht doch keine Leichen, oder? Nicht dass wir am Ende irgendsone Oma betrauern und nicht unseren guten Fritz. Ha ha ha, schüttel, hochroter Kopf, ha haha Prust!“

„Unser Fritz war nur Einsneunundfünfzig groß, gibt’s da nen Rabatt? Ha ha ha ha!“

„Wenn wir Ihnen einen Beutel Eiswürfel aus unserer Truhe mitgeben, sparen wir dann die Kühlkosten? ha ha ha…“

„Kriegt man eigentlich ’nen Mengenrabatt, falls einer von den anderen hier jetzt auch noch tot umfällt? Haaaha – Familientarif, höhöhö!“

„Haben Sie auch ’nen Frühbucherrabatt, falls ich einen kenne, der sich umbringen will? Hahaha – man weiß ja nie!“

„Also wenn Sie mich mal einäschern, dann bitte mit Grillkohle von Weber, ja? Nicht dieses billige Zeug! Harhar!“

„Ich hab meiner Frau gesagt: Wenn ich mal geh, dann bitte mit großem Buffet. Und offenem Sarg direkt neben dem Essen – damit ich auch was davon hab! Hahaha!“

„Also meine Schwiegermutter ist ja noch ganz fit, aber wenn ich Ihnen nen Tausender extra gebe, würden Sie die trotzdem holen und verbrennen? Ha ha harrrr.“

„Gibt’s eigentlich auch Särge mit WLAN? Für den Fall, dass man was streamen will? Höhöhöhö!“

Zu diesem Zeitpunkt hatte dieser gewisse Herr Blümelkort sich so in Rage gewitzelt, dass ich ernsthaft Angst hatte, er würde auf der Stelle einen Schlag bekommen. Hochroter Kopf, tränenüberströmtes Gesicht, die Hände in die Seite gepresst, um den vom Lachen verursachten Seitenstichen entgegenzuwirken…

Alle anderen saßen da, als ob sie bittere Medizin eingenommen hätten. Keiner lachte über die Witze des Mannes, aber es nahm auch keiner Anstoß daran.

Endlich traf der Schwager aus Lützelsachsen ein. Der war ganz nett und entschuldigte sich höflich für sein Zuspätkommen.

Dann fing Frau Emmerling an: „So, dann packen Sie mal Ihre Kataloge aus, wir wollen das jetzt alles ganz genau durchsprechen.“

Ich wies darauf hin, dass der Vater ja im Grunde alles schon vorbestimmt hatte, sie aber selbstverständlich alles auch noch ändern könne.

Was soll ich sagen? Eine Stunde später hatte ich einen unterschriebenen Auftrag in der Tasche. Die vorläufige Rechnungssumme belief sich auf über 7.500 Euro und nicht mehr auf nur 2.900, wie der Vater es mal als kleine Variante ausgesucht hatte.

Manchmal ist es einfach klug, sich nicht auf jede Provokation einzulassen und ein bißchen was einzustecken. Was hätte ich davon gehabt, wenn ich mich gewehrt oder geweigert hätte?

Runterschlucken und durch.

Wie siehst Du das? Ist Dir so etwas auch schon mal passiert?

Bildquellen:

  • witzig: Peter Wilhelm

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(©si)