Geschichten

Gekommen um zu bleiben -1-

„‚Wißt Ihr was, ich schenke Euch mein Häuschen!‘ das hatte der Onkel vor zwölf Jahren zu mir gesagt und wir bekamen ja damals unser zweites Kind, da passte das alles wunderbar“, erzählt mir Herr Hierig.

Jetzt sitzen Herr Hierig und seine Frau im Bestattungshaus beim Beratungsgespräch und wissen nicht was sie tun sollen. Ob der Onkel eine Erdbestattung wollte oder ob er lieber verbrannt werden wollte, sie haben keine Ahnung.

Ich betrachte das Ehepaar, während es überlegt und sehe vor allem bei der Frau, daß sie tiefe Ränder unter den Augen hat. Eigentlich ist sie gar nicht unhübsch, aber man sieht ihr an, daß sie sehr abgearbeitet ist. Na ja, mit zwei Kindern…

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Als ob sie meine Gedanken lesen kann, sagt sie auf einmal in die nachdenkliche Stille hinein:

„Der Onkel hat mich fertig gemacht, ehrlich.“

Ihr Mann Jens nickt und erzählt:

Der Onkel hatte ja zwei Häuser, eins in Essen-Katernberg, in dem er selbst wohnte und eins in Süddeutschland, das er von einer Tante geerbt hatte. Es hatte immer geheißen, daß er und Tante Martha eines Tages mal nach Süddeutschland ziehen würden, aber dann ist Tante Martha ja gestorben und er hat gesagt, er bleibe nun in Katernberg, weil Tante Martha auf dem Halo-Friedhof in Schonnebeck in der Gruft liegt und sich ja jemand um das Grab kümmern müsse.

„Kommt, Kinder, stellt Euch nicht so an. Du, Jens, Du bist mein einziger Neffe, der Sohn meiner Schwester und Deine Frau, die Bärbel, ist doch auch immer nett zu mir gewesen, was soll ich das Haus in Süddeutschland jetzt wieder an fremde Leute vermieten? Ihr wohnt doch da ganz in der Nähe, warum nehmt Ihr es nicht“, hat er gesagt und einen dicken Schnellhefter mit den ganzen Unterlagen vom Haus aus der Schublade vom Wohnzimmerschrank geholt.

Wir kannten das Haus gar nicht, aber die Idee, endlich aus der Sozialwohnung rauszukommen, die hat uns gleich ganz aufgeregt gemacht und wir waren nervös und hibbelig wie kleine Kinder, als der Onkel die Pläne ausbreitete und uns die Grundbuchurkunde einfach über den Tisch schob.

„Wenn Ihr wollt, könnt Ihr sofort einziehen, ich schenke Euch das Haus. Hier habt Ihr die Unterlagen. So eine Grundbuchurkunde ist wie ein Kraftfahrzeugbrief, wer die in Händen hat, der ist der Eigentümer. Irgendwann komm ich Euch mal besuchen, dann gehen wir zum Notar und lassen das auf Euch umschreiben. Nehmt die Unterlagen mit, es ist alles besprochen, hier habt Ihr den Schlüssel, macht mit dem Haus was Ihr wollt, Hauptsache ist, mir entstehen keine Kosten mehr. Ist ja auch nicht gut, wenn so ein Haus länger leer steht.“

„Sie können sich gar nicht vorstellen“, sagt Bärbel Hierig zu mir, „wie wir uns gefreut haben. Wir konnten die ganze Nacht nicht schlafen vor lauter Aufregung.“

„Die ganze Nacht? Wir haben nächtelang nicht richtig schlafen können, das war für uns wie ein Lotto-Gewinn!“ fügte ihr Mann Jens hinzu.

„Und dann?“ frage ich.


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 11. März 2012 | Revision: 28. Mai 2012

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12 Jahre zuvor

[quote]So eine Grundbuchurkunde ist wie ein Kraftfahrzeugbrief, wer die in Händen hat, der ist der Eigentümer. [/quote]

Eben nicht.

Das gibt noch viel Stress.

Rena
12 Jahre zuvor

Das befürchte ich auch. Der Onkel kam nie zur Überschreibung vorbei und dann taucht irgendeine andere Verwandtschaft auf und macht Ansprüche geltend.

12 Jahre zuvor

Wobei das „Eben nicht.“ ganauso auf den Kfz-Brief zutrifft.




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