Geschichten

Gekommen um zu bleiben -3-

„Was ist denn los, Kinder? Freut Ihr Euch denn gar nicht? Das ist doch die beste Lösung für uns alle. Ich habe das Haus in Katernberg jetzt in die Versteigerung gegeben und da kommt sicher einiges bei raus. Das viele Geld, denkt doch mal daran. Eines Tages gehört das alles mal Euch. Was soll ich denn mit zwei Häusern? Jetzt mal ehrlich?
So’n alter Knochen wie ich, und dann zwei Häuser… Das ist doch Quatsch.“

„Wobei eines der Häuser uns gehört“, hab ich zum Onkel gesagt und mich quer in die Haustür gestellt, sagt Jens.

„‚Was?‘ hat der Onkel mit so ’nem höhnischen Unterton gesagt. ‚Euch? Macht mal die Augen zu! Das was Ihr dann seht, das gehört Euch! Das Haus hier ist immer noch mein Haus. Wenn ich mal tot bin, dann könnt Ihr meinetwegen damit machen, was Ihr wollt, so lange ich aber lebe, ist und bleibt das meins. Oder waren wir etwa schon beim Notar? Nee, nicht wahr?
Also so ein bißchen mehr Dankbarkeit hätte ich ja schon erwartet. So, und jetzt machst Du Platz, damit ich in mein Haus kann!‘

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Wir sind bald zusammengebrochen“, sagt Jens und Bärbel nickt.

„Man ist ja auch doof“, sagt er weiter: „Ich meine, wir wissen das auch alles mit dem Grundbuch und so. Aber für uns war ja klar, daß der uns keine Schwierigkeiten machen würde, der hatte doch sein Haus in Essen-Katernberg. Auf die Idee, daß der zu uns kommen würde, sind wir nie gekommen.
Beim ersten längeren Aufenthalt, ja gut, das war eben so, daß ein einsamer alter Mann sich bei uns wohl gefühlt hat und nicht mehr gerne in sein leeres Haus zurück wollte, die Tante war ja auch erst gerade gestorben.
Aber bei aller Liebe und Dankbarkeit, das der jetzt für immer bei uns einzieht, das haben wir nicht gewollt.
Jetzt fragt natürlich jeder: ‚Warum seid Ihr nicht einfach wieder ausgezogen?‘
Aber wie denn? Wir haben unser ganzes Geld ins Haus gesteckt, unser ganzes Geld und das ganze Geld vom Schwager. Dem müssen wir das noch zehn Jahre lang jeden Monat mit 800 Euro abbezahlen.
Der hat uns 75.000 Euro gegeben.“

Ich rechne im Kopf nach und sage: „Da bekommt er aber ganz ordentlich Zinsen.“

„Und?“ sagt Bärbel, „Die stehen ihm ja auch zu. Gehen Sie heute mal auf ’ne Bank. Da müssen Sie mehr Sicherheiten bringen, als Sie eigentlich Kredit wollen. Und mein Bruder hat hier eine Lebensversicherung früh ausgezahlt bekommen, die wollte er eigentlich gleich wieder anlegen fürs Alter. Und wenn er uns das Geld nun schon gibt, muss sich das ja für ihn auch irgendwie lohnen.
Nee, nee, mit dem sind wir grün, da ist alles in Butter, das haben wir so gewollt und das geht auch so in Ordnung, der Umbau hat 100.000 gekostet, 25.000 hatten wir selbst und der Rest ist von ihm.
In nur zehn jahren haben wir alles abbezahlt und dann ist das unser Haus, haben wir damals gedacht.“

„Und ist es nicht so gekommen?“

„Doch, schon. Als der Onkel damals endgültig zu uns gezogen ist, da hatten wir das Haus ja schon ein Jahr und da waren es nur noch neun Jahre; und die haben wir auch immer brav bezahlt. Ich weiß noch wie heute, als mein Bruder eines Tages mit dem Schuldschein kam und einer Flasche Sekt und wir gefeiert haben, daß alles bezahlt war.“

„Und der Onkel?“

Jens Hierig seufzt wieder und sagt nach einer kurzen Pause: „Der ist geblieben, aber ich bin eisern geblieben. Ich hab gesagt, die Pauline brauche ihr Zimmer und er komme mir nicht rein. Er könne das Gartenhaus haben. Und wir konnten es erst gar nicht glauben, aber der Onkel hat in die Hände geklatscht, über beide Backen gestrahlt und gesagt: ‚Mensch, Kinder, das ist doch die Idee! So machen wir das!‘.
Und dann ist er in das Gartenhaus gezogen, mit all seinem Zeug. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie vollgestopft die zwei Zimmer waren. Da sind ja zwei Zimmer drin, aber keine Küche und kein Klo. Ist eben nur ein Gartenhaus.

So ist der natürlich ständig bei uns ein und aus gegangen, hat sich bei uns dreimal am Tag an den gedeckten Tisch gesetzt und ist hier aufs Klo und in die Badewanne, hat abends mit uns beim Fernsehen gesessen und eigentlich hat der mehr in unserem Haus gewohnt wie in seinem Gartenhaus.

‚Macht Euch keine Gedanken, demnächst mache ich mein Testament, Ihr kriegt ja sowieso alles und dann regeln wir das mit dem Häuschen gleich mit‘, hat er gesagt und ehrlich, wir hatten schon den Eindruck, der könne unsere Gedanken lesen.
Wenn Bärbel und ich uns mal wieder drüber unterhalten haben, dass es so nicht weitergehen kann, dann kam der kurz darauf und hat irgendsowas gesagt: ‚Das muss jetzt ja alles mal geklärt werden‘.

Aber es ist nicht geklärt worden. Wenn ich mal gesagt habe, dass es jetzt an der Zeit wäre, dann hat er gesagt: „Wollt Ihr denn schon, daß ich sterbe? Könnt Ihr Aasgeier es nicht mehr abwarten, bis ich die Augen zu mache? Und dann war er beleidigt und hat tagelang gar nichts gesagt.“

„Oder er hat einen seiner Herzanfälle bekommen“, sagt Bärbel Hierig. „Die bekam er immer wie auf Kommando. Da fing der an zu schnaufen, fasste sich an die Brust und hat so getan, als ob er erstickt.
Aber man weiß ja nie, ob das ernst ist oder ob der wieder nur so tut.

Bezahlt hat der auch nie was. Essen, Trinken, alles für umsonst. Der hat auch oft bei so Shoppingsendern angerufen und sich alles Mögliche schicken lassen, von der Blumenzwiebelkollektion bis hin zur wattierten Winterjacke. Bestellt hat der einfach auf unseren Namen. ‚Das verrechnen wir mit dem Erbe, mit mir geht es sowieso bald zu Ende.‘

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(©si)