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Gekommen um zu bleiben -2-

Bärbel Hierig antwortet: „Und dann? Ja dann sind wir wieder vom Onkel nach Hause gefahren und der allererste Weg hat uns zu dem Häuschen geführt. Es liegt in der Nähe des Stadtgartens, aber ganz ruhig an einer breiten Allee, etwas von der Straße weg mit einer hohen Hecke drum herum.
Als wir das Tor aufgeschlossen haben, da konnten wir vor lauter Staunen nicht mehr und haben beide geheult.
Untenrum mit Ziegelsteinen gemauert, grüne Fensterläden aus Holz, obenrum viele Erker und sogar ein kleines Türmchen, alles aus Fachwerk. So an die 160 Quadratmeter und fünf Zimmer. Ein großer Garten vorne und ein noch größerer hinten und im Garten dann noch das Gartenhaus mit fast 40 Quadratmetern, unsere Sozialwohnung hatte nur 60.
Mein Mann hat mich dann über die Schwelle getragen…“

Sie legt ihre Hand auf die seine und die beiden haben wieder Tränen in den Augen, als sie sich an diesen Moment erinnern.

Herr Hierig sagt: „Innen drin, na, was soll ich sagen? Alles sauber und besenrein. Stromleitungen, Wasser, Gas und sonst auch alles, na, das hatte halt den Charme der frühen Fünfziger und ich sagte zu Bärbel: ‚Du, das muss alles raus, da kommt einiges auf uns zu. Das wird nichts mit dem sofort Einziehen.
Aber wir haben rangeklotzt. Ich habe jeden Tag nach der Arbeit eine Fuhre vom Baumarkt zum Haus gekarrt und mit meinem Schwager zusammen habe ich geschuftet bis Mitternacht. Dann ab nach Hause, unter die Dusche -in die Wanne konnte ich nicht, im warmen Wasser wäre ich sofort eingeschlafen- und ab in die Falle.“

„Wenn der freitags von der Arbeit aus da hin gefahren ist, dann ist der bis Sonntagabend dort geblieben, hat auf der Baustelle geschlafen und ich glaube, die haben rund um die Uhr gearbeitet“, sagt seine Frau anerkennend und wieder streichelt sie seine Hand.

„Komm, jetzt stell Dein Licht mal nicht unter den Stuhl, Du hast auch viel gemacht, gell. Also Bärbel hat die ganzen Ritzen zugespachtelt und die Treppen abgeschliffen, viele Malerarbeiten gemacht und vor allem beim Tapezieren ist sie Weltmeisterin.“

„Man will ja auch fertig werden. Schließlich hatten wir unsere Wohnung gekündigt, weil wir da gar nicht schnell genug raus kommen konnten und drei Monate Kündigungsfrist sind schnell herum. Wir haben es aber geschafft.“

„Ja, wir haben viel Trockenbau gemacht, ich habe mich gar nicht damit aufgehalten, den ganzen alten Scheiß aus den Wänden zu reißen, sondern wir haben das alles tot gelegt und komplett neue Leitungen überall gezogen, das ging schneller und jetzt ist alles modern. Sie müssen uns mal besuchen kommen, s’ist wirklich schön geworden.“

„Aber?“ frage ich.

„Aber, ja aber… Dann kam der Onkel!“
Frau Hierig macht einen entsetzten Gesichtsausdruck.
„Ich weiß es noch wie heute, wir sitzen freitags beim Fernsehen und ich habe gerade eine Platte mit Schnittchen gemacht, die Kinder sitzen gewaschen und gestriegelt in ihren Schlafanzügen bei uns, die drüfen immer bis zur Wetterkarte…, da klingelt es und wir gucken uns alle an. Wer kommt denn da noch, um diese Zeit?
Ich geh‘ aufmachen und wer steht draußen vor dem Tor, sein Taxi fährt gerade wieder ab, der Onkel.
Er winkte und strahlte und rief: ‚Kommt, lasst mich mal rein! Euer alter Onkel will doch mal sehen, was Ihr hier für ein Schmuckstück geschaffen habt!‘
Natürlich haben wir uns gefreut und ihn rein gelassen. Also ehrlich, mir wär lieber gewesen, der hätte vorher angerufen, aber es ist ja der Onkel und er hat uns ja das Häuschen geschenkt.“

„So, soweit war ja auch alles in Ordnung“, übernimmt nun Jens Hierig die weitere Erzählung. „Aber der kam für drei Tage und blieb dann einfach.“

„Wie? Der blieb dann einfach?“ staune ich.

„Ja, der ist nicht mehr weggegangen. Kennen Sie das Lied mit dem Fleck? Da heißt es, ‚gekommen um zu bleiben und geht nicht mehr weg‘. Genau so war das mit dem Onkel. ‚Kinder, ich fühl mich so wohl bei Euch, ich häng noch ein paar Tage dran!‘. Wir haben nichts gesagt, ein paar Tage gehen rum. ‚Wisst Ihr was, ich hab so Wasser in den Beinen, das muss erst besser werden, sonst krieg ich Thrombose bei der Bahnfahrt. So ein zwei Wochen muss ich noch bleiben.‘
Dann hieß es auf einmal, er habe Rücken, Asthma und Knochenschwund, vorerst werde das nichts mit dem nach Hause fahren.

Da waren wir so froh, daß wir jetzt zwei Kinderzimmer hatten und jetzt mussten die Kinder doch wieder in einem Zimmer schlafen. Die waren die Ersten, die einen Hass auf den Onkel bekamen und immer wieder mal fragten, wann der denn wieder abhaue. Aber was sollten wir denn machen? Der hatte uns das Haus doch geschenkt, da darf man ja auch nicht undankbar sein.

Der ging nicht mehr, der blieb einfach und irgendwann kam dann ein Spediteur und brachte seine Teppiche und Bilder und lauter so Plörren aus Katernberg. Das muss er ja schon vorher ausgesucht und zusammengestellt haben, denn der war ja nie mehr dort in Essen. Nee, nee, das hatte der alles so geplant.

Dann wurde der immer wunderlicher und hat nur noch mit der Bärbel rumgezackert und sie schikaniert. Der Kaffee war mal zu stark, dann war er zu heiß, dann nicht von der richtigen Sorte. Ihr Waschpulver vertrug er nicht und den Weichspüler konnte er nicht riechen…“

„Und beim Pinkeln hat der sich nie hingesetzt“, unterbricht Bärbel ihren Mann: „Das hat vielleicht immer ausgesehen. Wissen Sie, wie das stinkt, wenn so’n alter Mann, der nachts dreimal raus muss, alles vollpisst? Und mir hat er vorgeworfen, ich würde das Klo nicht richtig putzen, da würd‘ es immer stinken.
Ich konnte doch machen, was ich wollte, dem Alten konnte man es nicht recht machen.“

„Und der Onkel ist dann geblieben? Für immer?“

„Ja, zwölf Jahre lang“, seufzt Jens Hierig.

„Warum haben Sie ihn nicht irgendwann nach Hause geschickt? Ich meine, davon war ja nicht die Rede, daß Sie dann aus lauter Dankbarkeit ein Familienhotel aufmachen müssen.“

„Das ging ja nicht! Wir haben es ja versucht“, stöhnt Jens auf. „Einen Abend sind Bärbel und ich hoch zu ihm und haben ihm gesagt, daß wir uns freuen, daß er jetzt schon so lange bei uns ist und sich so wohl fühlt, aber daß ein Dreivierteljahr schon ziemlich lang sei und wir das Zimmer wieder für die Kinder bräuchten.
Da hat er sich dann ganz verständnisvoll gezeigt und gesagt, das könne er gut verstehen, Alt und Jung unter einem Dach, das sei ja sowieso nichts, aber jetzt sei ja bald Weihnachten und wir wollten ihn ja wohl nicht unmittelbar vor dem Fest der Liebe vor die Tür setzen. Nach Heilige Drei Könige würde er dann wieder abfahren.“

„Lassen Sie mich raten, er ist aber nicht abgefahren, oder?“

„Ha, Sie werden staunen, er ist gefahren. Er war eine Woche weg, da haben wir dann angefangen, seine Sachen aus dem Zimmer runter in den Keller zu bringen und das Zimmer frisch zu renovieren. Der hat da so viele Zigarren geraucht, da stank alles nach Tabak.“ Jens Hierig schließt kurz die Augen, lässt die Ereignisse nochmal vor seinem inneren Auge Revue passieren, er will nichts Falsches erzählen. Dann fährt er fort:
„So, und unsere Pauline war gerade wieder in ihr Zimmer gezogen, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie die sich gefreut hat, da steht der Onkel wieder im Haus. Und noch schlimmer: Vor dem Haus steht ein Möbelwagen mit seinem ganzen Hab und Gut.
‚Kinder, was soll’s, dieses ganze Hin und Her, immer diese ungeklärte Situation, ich hab‘ jetzt Nägel mit Köpfen gemacht, jetzt bin ich für ganz da!‘
Bärbel und ich haben uns auf den Arsch gesetzt, sorry.“


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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