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Gerolltes Geld III

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Vier Männer stehen vor der Tür, vier große Mercedes-Limousinen Autos am Straßenrand, einer der Männer ist Josef, der Roma, die anderen müssen seine Brüder sein. Es ist Sonntagmorgen und keinesfalls hatte ich so früh mit ihnen gerechnet. Josef gibt mir die Hand und stellt die anderen drei als seinen Onkel, seinen Schwager und seinen ältesten Bruder vor, auch sie begrüßen mich mit Handschlag, machen aber Gesichter, als ob sie mich fressen wollen.

Im Besprechungszimmer erkläre ich den Herren behutsam die Situation, umschreibe so gut ich kann das Schreckliche und mache ihnen klar, daß es besser ist, die Verstorbene nicht aufzubahren. Im geschlossenen Sarg ja, aber nicht ohne Deckel. Fassungslos schauen sie mich an, der Onkel greift meine Hände und sagt mit weinerlicher Stimme: „Mein Herr, wie können Sie uns so etwas antun?“ Der Schwager zückt ein Handy und beginnt, laut in einer mir nicht verständlichen Sprache telefonieren, auf und ab zu gehen. Josef und sein Bruder beraten sich recht lautstark und schließlich haben alle vier Männer Handys an den Ohren und ich habe fast das Gefühl, die haben sich gegenseitig angerufen.
Aber in Wirklichkeit geht es zwischen ihnen untereinander und den Gesprächspartnern am anderen Ende hin und her, offensichtlich fragt man andere Familienmitglieder, wie man mit der Situation umgehen soll und was zu entscheiden ist.

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Schließlich klappt der Onkel sein Handy zu, bedeutet den anderen ruhig zu sein und greift wieder meine Hände: „Sagen Sie mir, mein Herrn, was es kostet, wir bezahlen jeden Preis, egal was es kostet!“ Er greift in die Hosentasche und auch er hat ein Bündel gerollte Banknoten, blättert diese geschickt in der Hand durch und legt einen Stapel davon auf den Tisch: „Das sind 1.000 Euro extra, damit wird es doch wohl gehen?“

Josef sagt zum Onkel: „Mascha kommt auch“ und diese Mitteilung wirkt elektrisierend auf die Männer. Ich erfahre, daß Mascha die Älteste dieses Stammes der Familie ist und sowas wie eine Königin sei. Ja, das haben sie wörtlich gesagt: „Sie würden vielleicht sagen, daß sie eine Königin ist, für uns ist sie eine Respektsperson und es ist eine Ehre, daß sie extra aus Belgien kommt. Aber sie muß auf jeden Fall die Verstorbene verabschieden können.“

Im ersten Moment bin ich versucht, abzulehnen, doch dann rufe ich mir ins Bewußtsein, daß es ja ihre Verwandte ist, sie das zu entscheiden haben und wir auch schon so manch andere Hürde genommen haben. Ich schließe kurz die Augen, seufze und sage dann nickend: „Ja, wir versuchen es. Aber Sie bringen mir bitte eigene Kleidung und mehrere gute Fotos auf denen die Verstorbene von vorne und von der Seite zu sehen ist, okay?“

Die vier Männer nicken heftig, sie freuen sich und ganz beiläufig will der Onkel die tausend Euro wieder an sich nehmen, aber er hat die Rechnung ohne mich gemacht, ich bin schneller, lege die Hand auf das Geld und schaue ihm in die Augen; er sagt: „Ich wollte es Ihnen nur geben.“

„Ich weiß nicht wie teuer es wird, aber ich nehme das jetzt mal und wenn Sie die Sachen besorgt haben, können wir ja den Sarg aussuchen.“

Aber nein, das wollen sie nicht, alle vier telefonieren und wenig später ist klar, daß andere Verwandte die Sachen bringen werden. Der Onkel sagt, man wolle nur die Decke aussuchen und man wünsche einen amerikanischen Metallsarg. Dann legt der Onkel los und diktiert mir die Wünsche der Familie. Erfahrungsgemäß wollen sie sich nicht noch bei anderen Stellen selbst kümmern müssen und alles aus einer Hand. Musiker, zwei Bestattungswagen, eine Fernüberführung, Blumen, eine ganze Woche Aufbahrung mit „open house“, Trauerfeier bei uns, dann noch eine große mit Pfarrer am Zielort, insgesamt 300 Personen, vielleicht 400, wer weiß das schon, mein Herr…

Am Ende habe ich weit über 15.000 Euro auf dem Zettel, ohne daß ich ihnen irgendetwas besonders teuer verkauft hätte. Allein die sechs Musiker kosten schon viel und dann der Metallsarg…
„Kein Problem, mein Herr“, sagt der Onkel und meint dann allen Ernstes: „Sie schicken uns dann eine Rechnung, ja?“
Ich schaue ihn nur müde an, ich kenne das Spiel. Gerade eben hat er mit noch erzählt, daß er demnächst bis nach Italien fahren wird und wohin soll ich dann die Rechnung schicken?
Ich mache mit Daumen und Zeigefinger das international verständliche Zeichen für Bargeld und der Onkel lacht. Er zieht seine Geldrolle aus der Tasche und sagt: „Mein Herr, wir sind ehrliche Leute, ich gebe Ihnen 10.000 und gut ist es.“

„Nein, wir haben 15.000 ausgerechnet und es ist ja noch lange nicht alles dabei, Sie wollen ja noch so viel entscheiden. Geben Sie mir 18.000 und dann ist es gut.“

Der Onkel schimpft mich einen Verbrecher, einen Blutsauger und der Schwager wirft einmal kurz das Wort ‚Nazi‘ in den Raum, wird aber sofort von Josef gemaßregelt. Josef und sein Bruder schaffen es, die beiden zu beruhigen und reden unentwegt auf sie ein. Die Männer wissen, daß sie bezahlen müssen, sie wissen daß sie 25% mehr bezahlen müssen als andere und sie wissen auch, daß das berechtigt ist und sie wissen vor allem, daß sie anderswo gar nicht mit ihrem Auftrag untergekommen wären.
Pietät Eichenlaub lehnt „Roma-Bestattungen“ grundsätzlich ab und ein anderer Bestatter hier in der Stadt verlangt vorneweg, noch bevor sie etwas bestellt haben, wenigstens die Hälfte mehr als ich es tue. Der städtische Bestatter kann solche Bestattungen gar nicht durchführen, ihm sind in verschiedenen Punkten die Hände gebunden.

Der Onkel wedelt mir mit seinem Geldbündel unter der Nase herum und zählt mir die 500er auf den Tisch, genau 18 Stück und dann sagt er: „So, 18.000, bitteschön!“ Es ist nur die Hälfte, ich weiß das, er weiß daß und trotzdem packt er das Geldbündel weg. Nein, er will mich nicht betrügen, er will mich auch nicht im Preis drücken, jetzt noch nicht. Er versucht einfach sein Spielchen mit mir zu treiben. Er kann ein Geschäft nicht einfach so abschließen, er muß handeln, schachern und sein Spielchen treiben.
Drei Mal macht er das, immer wieder legt er ein paar Scheine nach, irgendwann sind wir bei 17.000 und er sagt: „So, jetzt ist Schluß!“

„Nein, da fehlen noch tausend Euro.“

„Nazi“, tönt es aus der Ecke des Schwager, ich verziehe nur gelangweilt den Mund und werfe ihm einen Blick zu, der ihn verstehen läßt, daß ich ihn nicht ernst nehme und er mit seinem Spruch nicht punkten kann. Josef versteht den Blick auch und gibt es auf, so zu tun, als müsse er den Schwager festhalten, damit er mir nichts tut. Der Schwager hört auch sofort auf, sich zu gebärden und tippt gelangweilt eine SMS, er hat seinen Part beigetragen.

„Verbrecher!“ ruft der Onkel und wedelt theatralisch mit den Armen in der Luft herum, dabei rutscht ihm das blütenweiße Hemd aus der Hose, dann zerrt er an seinem Hemdkragen und fährt sich mit einer Hand durch das geölte, schwarze Haar. Innerhalb von drei Sekunden sieht er aus, als habe er körperlich mit mir um das Geld gerungen. Schnaufend wiederholt er sein „Verbrecher“, spukt auf einen Geldschein und klebt ihn mir an die Stirn, ebenso tut er es mit dem letzten Fünfhunderter, dann lässt er sich geschafft auf den Stuhl fallen und grinst müde. „Blutsauger“, sagt er noch einmal, doch er und ich wissen, daß er mir nichts Böses will, das gehört so zum Ritual.

Ich wische mir die Scheine von der Stirn, zähle die Banknoten, alles stimmt und dann packe ich das Geld in die Geldkassette im Schreibtisch und stelle dem Mann eine ordentliche Quittung aus, die ich ihn aber auch unterschreiben lasse. Ich kenne das, sicher ist sicher.
Eins ist nämlich klar, ich werden diesen Onkel nicht wiedersehen und schon beim nächsten Gespräch wird jemand ganz anderes der Wortführer sein.

Inzwischen kommen zwei junge Männer und bringen eine Tüte mit nagelneuer Kleidung, alles noch mit Preisschildern, wo haben die das an einem Sonntag her? (Nein, ich unterstelle keinen Diebstahl, denn das würde Unglück bringen. Mich wundert einfach nur, wo die das an einem Sonntag beschafft haben und dann noch so schnell.)

Die Männer verabschieden sich dann rasch, was mir auch ganz lieb ist. Ich muß Sandy anrufen, wir haben viel Arbeit, die verstorbene Frau muß hergerichtet werden

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#geld! #gerolltes

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(©si)