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Gerolltes Geld IV

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Sandy schüttelt den Kopf, zieht ihre messerscharf gestutzten Augenbrauen hoch , schnalzt mit der Zunge und sagt zu mir: „Was hast Du uns denn da wieder eingebrockt?“ Es ist eigentlich keine Frage, sondern eine Feststellung und Sandy läßt keinen Zweifel daran, daß wir diese Aufgabe meistern werden. Ich ziehe dünne Gummihandschuhe an, lass das Gummi an den Handgelenken schnalzen und drücke mit verschränkten Fingern die letzte Luft heraus: „Auf geht’s!“

Verbrannte Leichen, die der vollen Wucht eines Brandes ausgesetzt waren, kann man in den seltensten Fällen -eigentlich nie- wiederherstellen. Durch die Hitze entsteht ein schneller, starker Flüssigkeitsverlust, der Körper verschrumpelt, wird kleiner und durch das Zusammenziehen von Sehnen und Muskulatur befinden sich die Körper oft in einer Embryonalstellung aus der man sie nicht mehr lösen kann. Die komplett zerstörte Körperoberfläche trägt ihr Übriges dazu bei.

Bei der Roma-Frau sind vor allem die Hände, die Arme und Ausschnitt, sowie Gesicht betroffen. Keine schwarzverbrannte Oberfläche, alles weißlich-rosa, dick überzogen mit wässrig-klarer Salbe und Wundauflagen aus dem Krankenhaus. Zu erkennen, wie die Frau zu Lebzeiten ausgesehen haben könnte, vermag ich nicht.

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Sandy ist auch fertig umgezogen, grüne Kittel tragen wir, Mundschutz, Handschuhe, das grelle Licht des Deckenfluters wird durch die weißen Kacheln des Raumes noch verstärkt. Aus den Boxen tönt leise Billiy Joel, Sandys und mein Musikgeschmack ist so unterschiedlich, da ist der ‚Pianoman‘ immer unser Kompromiss.

Langsam hat Sandy alle Bandagen und Wundabdeckungen entfernt und beginnt damit, die Oberfläche zu reinigen. Das Ergebnis sieht nicht gerade besser aus als vorher, aber wir müssen alles sauber kriegen, sonst hält unsere Grundlage nicht. Unser Plan ist folgender: Da die Flammeneinwirkung nur kurz und heftig war, sieht die Frau zwar fürchterlich entstellt aus, auch für erfahrene Bestatter eine Belastung, aber die tieferliegenden Schichten sind nur schwach beeinträchtigt. Wir glauben, daß es Sinn machen kann, Schicht für Schicht wieder aufzutragen und so den Eindruck einer unverletzten Haut zu erzielen.

Ob uns das gelingt, wissen wir auch nicht. Im ungünstigsten Fall, klebe ich Josef, dem Onkel oder wer da sonst kommen mag, sein Geld an die Stirn und der Deckel bleibt zu.

Kurz: Die Verstorbene oder besser gesagt: der jeweilige Verstorbene gehört den Angehörigen und natürlich habe ich als Bestatter nicht das Recht, den Angehörigen zu verwehren, den Verstorbenen anzuschauen. Was ich tue: Ich gebe Empfehlungen ab, die die meisten Angehörigen auch dankbar annehmen und befolgen. Tun sie das nicht, werde ich manchmal auch schon mal etwas bestimmter, aber verweigern würde ich das nicht. Man muß letztlich den Wunsch der Familie respektieren und wenn sie sich das antun wollen, bitteschön.
Im Grunde bekommt man jeden Verstorbenen irgendwie wieder hin, einmal abgesehen von Leichen, wo einfach nichts mehr da ist, was man vorzeigen kann, also Feueropfer, fehlende Köpfe…
Man muß aber natürlich auch sehen, daß eine Rekonstruktion aufwendig und selbstverständlich auch teuer ist. Aufwand, Kosten und Nutzen müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.

Für diese Frau haben wir zweieinhalb Stunden vorgesehen, werden aber am Ende bedeutend mehr Zeit gebraucht haben.
Immer wieder schaut Sandy auf die Fotos der Frau, es keine ausgesprochen schöne Frau, aber auch keine häßliche. In kleinen Portionen trage ich mit dem Spatel unseren ‚mortician’s clay‘ auf. Die Rezeptur dieser Masse ist geheim, viele Bestatter -vor allem in den USA, wo man das mehr kennt- mischen sie sich selbst, und man könnte sagen, daß sie sehr weicher Modellierknete gleicht.
Sandy streicht die aufgetragenen Portionen mit den Fingerkuppen glatt, zuerst mit Handschuhen, dann -als das Gesicht komplett mit einer ersten Schicht bedeckt ist- mit bloßen Händen. Ich nehme oft einen kleinen Fön, um die Masse weicher zu machen und sie besser verstreichen zu können, Sandy schwört auf die Handwärme. Alleine für Kinn und Nase, hier muß am meisten modelliert werden, brauchen wir die vollen zweieinhalb Stunden. Billy Joel hat längst ausgesungen und ich schiebe einen Elton John nach, was Sandy mit einem Nasenrümpfen quittiert, sie sagt aber nichts, wir haben zu tun.

Es dauert insgesamt dann doch sechs Stunden bis wir zurücktreten können und beide der Meinung sind, daß das jetzt annehmbar aussieht. Immer wieder vergleichen wir die Fotos mit unserer Arbeit, für uns ist das perfekt. Angehörigen könnten wir das Ergebnis jedoch auf keinen Fall zeigen, nicht in diesem Stadium. Weil man in hellem und hellfleischfarbenem ‚clay‘ nur sehr schlecht Konturen sehen kann, haben wir unsere Masse eingefärbt. Die erste Schicht war mintgrün, ich mag Grün, und die zweite Schicht, die die erste nicht überall verdeckt, ist rosa. So sieht die Frau aus wie ein Marsmensch mit Masern, aber wir sind ja auch noch nicht fertig.
Der ‚clay‘ muß trocknen, dann erst können wir eine Grundierung aufsprühen. Mit der Airbrush-Pistole macht Sandy das sehr geschickt, ich greife nur wenig ein, denn Sandy hat jetzt schon vor ihrem geistigen Auge eine genaue Vorstellung davon, wie hinterher geschminkt wird.
Mit jedem Sprühnebel verschwindet ein bißchen mehr vom ‚clay‘ und immer mehr wird das maskenartige Antlitz der Frau zu einem Gesicht.

Dann endlich, sieben Stunden und zwanzig Minuten nachdem wir angefangen haben, setzen wir uns das erste Mal hin. Wir legen beide die Füße hoch, was eine Wohltat!

Noch sind die Farben zu grell, das muß so sein, es kommt noch eine dünne hellere Schicht darüber und abschließend schminken wir die Frau, damit Lippen, Augenbrauen, das Dunkel der Nasenlöcher usw. ein natürliches Aussehen bekommen. Die Haare waren schon im Krankenhaus bis zur Mitte des Hauptes entfernt worden, wir werden der Frau ganz zum Schluß eine Schwarzhaarperücke aufsetzen und haben vor, ihr einen Schleier über das Gesicht zu legen, der es etwa bis zur Nase bedeckt. Es soll ein ganz durchsichtiger Schleier sein, der nichts verdecken soll, sondern das Gesicht einfach nur befremden soll, das macht unsere Arbeit glaubwürdiger.

Doch bevor Sandy schminken kann, machen wir die übliche hygienische Versorgung, kleiden die Frau an und betten sie in den Sarg.
Wir wollen vermeiden, daß durch das Umlagern die ganze Kosmetik verdorben wird.

Der Sarg ist erst kurz bevor wir angefangen haben eingetroffen. Es ist ein großer amerikanischer Metallsarg, die Seitenwände und der Deckel glänzen dunkelrot-metallic und die Kanten sind in rotgoldener Farbe abgesetzt. Innen ist der wuchtige Sarg üppig mit weißem Satin ausgeschlagen, Falten und Spitze wohin man sieht.
Nachdem zum Abschluß Perücke und Schleier plaziert sind, verschließen wir die untere Hälfte des geteilten Deckels. Das geht mit einer mitgelieferten Kurbel, die man oberhalb des unteren rechten Sargfußes in eine Öffnung stecken kann. Am linken Fuß gibt es ebenso eine Öffnung, kurbelt man hier, hebt und senkt sich der Oberkörper auf einem metallenen Kettenrost, dessen Mechanismus ganz unten im Sarg verborgen ist.
So kann man die Verstorbene leicht oben anheben, daß sie gut zu sehen ist und vor dem Schließen des oberen Deckelteils (auch durch Kurbeln), kann man sie langsam und behutsam wieder ganz absenken.
Die obere Hälfte des Deckels ist mit einer verdeckten Leuchte versehen, die wir aber nicht aktivieren werden, wir haben Spot-Lichter in den Aufbahrungsräumen.

Insgesamt ist an dem Sarg mehr Metall verbaut, als an einem asiatischen Kleinwagen, soviel wiegt er dann aber auch und -man sollte es ruhig sagen- soviel kostet er bald auch. Allein dieses Modell „Lincoln Memorial Funeral Casket“ kostet mich 2.900 Euro. Es gibt auch billigere „Amis“, aber der hier kostet soviel. Allein dafür hat die Familie 4.000 Euro zu zahlen. Woanders habe ich schlechtere „Amis“ schon für über 10.000 gesehen.

Die Hände der Verstorbenen haben wir unter der Decke plaziert, die Decke stecken wir mit Polsterernadeln tief unten im Sarg an der Matratze fest.

Jetzt können Sandy und ich wirklich Feierabend machen. Die Roma-Frau ist fertig und kann von den Angehörigen angeschaut werden.
Es ist Sonntag, nein Montag, und die Uhr steht auf halb zwei, morgens versteht sich…

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#geld! #gerolltes

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(©si)