Mitarbeiter/Firma

Goliath

Rechtschreibung geprüft

Zwei Meter große Männer beeindrucken mich auf eine ganz eigentümliche Art und Weise.
Ich bin ja selbst mit knapp Einsneunzig kein Zwerg und da der Teil der Weltbevölkerung, mit dem ich es zu tun habe, weitestgehend aus kurz- bis nichthalsigen Tabakbauern, Frauen und Alten besteht, bin ich gewohnt, eher auf den Rest der Menschheit herabzuschauen.
Eine Einschränkung gibt es jedoch: Gehe ich mal ins Kino, was ich nur sehr selten tue, weil es mir da zu laut ist, oder gehe ich mal in die Oper, was ich inzwischen auch seltener tue, weil ich da immer einschlafe, dann setzt sich garantiert Herkules-Arnold Afrolook vor mich und versperrt mir zwei Stunden mit Schultern und Kopf die Sicht. Das ist so etwas wie ein Naturgesetz.
Es muss da irgendwo in unserem Überwachungsstaat jemanden geben, der mich immer auf dem Monitor hat und sobald ich in Reihe zwölf auf Sitz 26 Platz nehme, drückt der die Taste an seinem Mikrophon und sagt: „Sofort ein Riese in Reihe elf auf 26 bitte.“
Der gleiche Mann gibt auch geheime Anweisungen an die ALDI-Kassiererin: „Tom kommt, die Kassenrolle ist jetzt leer, sie können nicht wechseln und der Scanner liest wenigstens drei Artikel nicht. Achtung, die Oma mit dem Kupfergeld bitte fertigmachen, Tom kommt an die Kasse!“

Aber wirklich, wenn ich es im Alltag mal mit einem Größeren zu tun habe, dann ist das für mich ein merkwürdiges und ungewohntes Gefühl. Ich komme mir dann so klein vor.
Herr Fuhlst ist so ein Hüne.
Zwometersechs, Schultern so breit wie meine Couch, Schuhgröße 53 und Hände so groß wie Klodeckel.
Im Mund hat er wenigstens 46 Zähne, 72 davon unten, den Rest oben.
Auf seinem Kopf wächst eine Lockenpracht wie bei einem Posaunenengelchen und er trägt diese Haarpracht offen und lang.
Ein Wickinger, ein echter Wickinger!

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Der Fuhlst hat ein Gewerbe angemeldet und macht alles, was auf der Baustelle benötigt wird. Offiziell ist er irgendwas, wofür man keinen Meisterbrief braucht, aber unter dem Schwiegel der Versiegenheit kann ich ja erzählen, daß er in Wirklichkeit alles macht. Betonarbeiten, Maurerarbeiten, Tapezieren, Anstreichen, Schweißen, Löten, Autos repaprieren, Wasserleitungen, verstopfte Klos frei machen, Gärten umgraben, also irgendwie alles eben.
Dabei nimmt er niemandem Arbeit weg, er ist der der kommt, selbst wenn nur ein Nagel bei Oma Wallner in die Wand geklopft werden muss; er ist der, den sich auch ein Hartz-IV-Empfänger leisten kann und er übernimmt Aufträge, für die keine andere Firma überhaupt kommen würde; und das eben zu einem Preis, den sich auch alte Opas mit einer kleinen Rente und junge Studentinnen leisten können.
Bei denen ist er besonders beliebt, denn „der Fuhlst“ ist Spezialist im Meckern über „die Scheiß-Drecks-Spanplattenkisten“ und trotzdem ein exzellenter und schneller IKEA-Möbel-Aufbauer.

Personal braucht er keins, Werbung muss er keine schalten, seine Papiere macht abends seine Frau, die übrigens nur 1,51 groß und knapp 50 Kilo schwer ist, und so hält er seinen Kostenapparat niedrig.
Den Radiofahnder, der ihm mal Rundfunkgebühren für ein im Auto gewerblich genutztes Radio aufschreiben wollte, hat er einfach mit dem Gürtel an einen Maschendrahtzaun gehängt und hängen lassen.
Und weil der Gebührenonkel die Autonummer vom Fuhlst nicht aufgeschrieben hatte, ist dieser einfach unbehelligt weggefahren. Als dann jedoch eine Polizeistreife den Armen vom Zaun pflückte, genügte natürlich eine grobe Beschreibung des Täters und die Beamten wussten sofort, wo sie hinzufahren hatten.
Aber dem Fuhlst passiert so schnell nichts, es blieb auch dieses Mal wieder bei einer eher freundlichen Ermahnung. Die Beamten wissen, daß der Fuhlst vor zwölf Jahren am Rande eines Volksfestes mal 26 Polizisten auf den Kopf gehauen hat, die ihn wegen irgendwas ärgern wollten.
Die 18 Monate hat er abgesessen, bemüht sich seitdem, es nicht mehr so weit kommen zu lassen, genießt aber unter den Polizisten einen legendären Ruf.
Wenn der mal einen an den Zaun hängt oder dem Chef des hiesigen Motorradclubs die Harley in die Krone eines Baumes bindet oder ein vor seiner Einfahrt parkendes Auto auf die Seite kippt, dann stehen die Beamten ja immer vor dem Problem, daß man für sowas keine Hundertschaft anfordert, sie aber mit zwei, vier oder sechs Leuten bei diesem Goliath nichts ausrichten könnten.

Gut, inzwischen sind auch die Leute vom Motorradclub alle weit über 50 und benehmen sich, wie sich so alte Männer auf Mopeds eben benehmen, es wagt sowieso keiner mehr mit seinem Auto im Umkreis von 100 Metern um Fuhlsts Haus zu parken und den einen Gebührenfahnder oder Staubsaugervertreter im Jahr…

Trifft man den Fuhlst in der Kneipe an der Ecke, wo man ihn jeden Abend um Punkt Sechs mit einem Glas Rum vorfinden kann, dann kommt man leicht mit ihm ins Gespräch.
Und dann… Ja dann ist man erstaunt, daß dieser Mann ein Philosoph und Denker ist, sich bei Schopenhauer ebenso auskennt wie bei Kafka, Goethe und Shakespeare. Keine klassische Oper ist ihm fremd und läuft in der Kneipe irgendein beliebiger Titel aus der weiten Welt der Rock- und Pop-Musik, kann der Fuhlst auf Anhieb sagen, wer das wann gesungen hat und bei welchem Label es herausgekommen ist und wann das Ding wie lange auf welchem Platz der Hitparade gewesen ist.
Mathematische Aufgaben löst er im Kopf, auch die kompliziertesten und chemische Formeln kennt er wie kaum ein Zweiter.
Da ist man dann einerseits ob der puren Kraft und Größe erschlagen und kriegt dann auch noch den Mund nicht zu, weil das kein tumber Hinkelsteinverkäufer, sondern ein feinsinniger Denker ist.

Nachdem der langsamste Handwerker, seit der Erfindung des schnelltrocknenden Leims, Carlos Gastropoda für sechs Monate zwecks Pflege einer Angehörigen in seine Heimat gefahren ist und erst nach 18 Monaten wiederkam, hat der Fuhlst bei uns im Haus auch die eine oder andere Wand durchgebrochen, einen Schacht nach Australien gegraben und die Erdachse gekrümmt.
Als Carlos dann aber wieder da war, wollte ich den Fuhlst nicht einfach so wegschicken und als er mich dann fragte, ob er nicht gelegentlich als Aushilfsfahrer bei uns arbeiten könne, habe ich zugesagt.

Sind wir doch mal gespannt, wie der sich einfügt, oder?

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#goliath

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(©si)