Geschichten

Günther -XXII-

Einige Wochen waren vergangen und als Günther an diesem Morgen aufwachte drang ihm zu allererst der Geruch von frischer Farbe in die Nase. Er schaute sich um und war, wie schon in den Tagen zuvor, hin und her gerissen.
Seine neue Zweizimmerwohnung war um Klassen besser als die Villa Kunterbunt. Alles war neu renoviert, es gab fließend warmes und kaltes Wasser, die Toilette war modern und sogar seniorentauglich und vor allem war die Wohnung dank Zentralheizung durchgehend mollig warm.
Doch er vermißte seine Gartenlaube mit den großzügigen Platzverhältnissen und hätte im Grunde viel lieber die Unzulänglichkeiten dort hingenommen, als nun „auf Etage“ zu wohnen.

Es war alles ganz schnell gegangen und die Ereignisse hatten sich überschlagen, sodaß Günther gar nicht in der Lage war, dem entgegen zu treten.
Frau Schlick, die Quartierbetreuerin von der Stadtverwaltung hatte sich als doch recht tüchtig erwiesen und trotz ihrer etwas herablassenden Art alles getan, um aus ihrer Sicht das Beste für Günther zu tun.

Das Bauamt hatte Günther Druck gemacht, am Liebsten hätte man dem Mann seine Hütte über dem Kopf abgerissen, mit allem was noch drin war. Doch genau in dieser Phase war Frau Schlick zu Günther gekommen und hatte ihm ein Angebot unterbreitet.
„Das Angebot machen wir nicht jedem, Sie sollten es annehmen!“ hatte sie gesagt und Günther dann erklärt, er könne als Ersatz für seine Laube eine neu renovierte Wohnung in einem erst vor vier Jahren fertiggestellten städtischen Mietshaus bekommen.
Den Umzug erledige ebenfalls die Stadt und falls er einige seiner Möbel nicht mitnehmen könne, so würde man auch dafür eine Lösung finden.

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Horst hatte Günther zugeredet: „Mach das, Kerl! So eine Chance, hier aus dem nassen Loch herauszukommen, bekommst Du nie wieder. Weißt Du eigentlich was auf dem Wohnungsmarkt los ist? Am Ende reißen die die Bude hier ab und Du stehst auf der Straße.“

Frau Schlick und ein Mann vom Bauamt konnten ein Grinsen nicht verbergen, das nur für einen Augenblick über ihre Gesichter huschte, als sie sich ansahen, während Günther seine Unterschrift unter die Abmachung setzte.
Was sie Günther nicht gesagt hatten, war das er eigentlich ein Vorkaufsrecht für die Laube hatte. Günther hatte seinen einfachen Pachtvertrag mit Frau Salzmann schon seit Jahren nicht mehr gesehen, er war irgendwo im wasserfeuchten und etwas schiefen Wohnzimmerschrank zwischen anderen Unterlagen untergegangen und auch Horst hatte ihn beim Aufräumen nicht gefunden. Zuerst hatte Günther ja nur einen handschriftlichen Zettel von der alten Frau bekommen, später irgendwann, als deren Tochter sich mal um ihre Angelegenheiten gekümmert hatte, war ein maschinengeschriebener Vertrag gefolgt, in dem es hauptsächlich darum ging, daß die Familie Salzmann eigentlich gar nichts mehr mit dem Grundstück zu tun haben wollte und alle Verpflichtungen auf Günther abwälzten. Aber in diesem Schreiben hatte auch gestanden, daß Günther jederzeit die Villa Kunterbunt hätte kaufen können.

Ob diese Vereinbarungen vor Gericht Zugkraft bewiesen hätten oder ob die Stadtverwaltung mit ihrem Hauruck-Verfahren bei Gericht durchgekommen wäre… genau das wollte man wohl seitens der Kommune gar nicht ausprobieren und deshalb hatte man Günther lieber eine Ersatzwohnung angeboten und ihm den Umzug erledigt.

Und dann war alles so schnell gegangen, daß Günther gar nicht begreifen konnte, wie es ihm geschah.
An einem Morgen rückten drei Lastwagen von Primus-Fair an. Primus-Fair ist ein wirtschaftlicher Eigenbetrieb der Stadt, in dem vorwiegend Behinderte und auf dem Arbeitsmarkt schwer Vermittelbare beschäftigt werden und die Wohnungsentrümpelungen und Haushaltsauflösungen durchführen und die guten und brauchbaren Sachen in einer großen Halle im Westviertel für wenig Geld verkauften.
Die Männer von Primus-Fair langten kräftig hin und Günther mußte sie mehr als einmal bremsen, sonst hätten sie ihm alles einfach rausgeschleppt und vermutlich entsorgt. „Nein, das muß mit in die neue Wohnung“, sagte er an diesem Morgen sicher an die fünfzig Mal.
Doch irgendwann bremste ihn der Vorarbeiter: „Männeken, in die neue Wohnung geht doch gar nüscht so ville rin! Wenn ick hier auf mein Zettel kiek, dann kannste doch bei uns im Lager dir neue Möbel raussuchen. Trenn dich ma‘ von dem janzen verschimmelten Plunder!“

Drei Stunden später saß Günther in der neuen Wohnung, umgeben von einem ungeheuren Stapel von Umzugskartons. Nur der Küchentisch und die Eckbank waren ihm geblieben, gleich würde Horst kommen und mit ihm zum Primus-Fair-Lager fahren.
Dort staunte Günther nicht schlecht, was man dort alles kaufen konnte. Tausende von Büchern und Geschirr- und Besteckteilen, Töpfe, Pfannen, Teppiche und alle Arten von Möbeln. Vieles für erstaunlich wenig Geld, doch alles was ein bißchen besser aussah, das war auch dort recht teuer.
Aber Horst und Günther fanden alles und brachten es fertig, aus dem fast unüberschaubaren Angebot sogar nur solche Möbel zu nehmen, die auch irgendwie gut zusammen paßten.

Schon am nächsten Tag brachten die Primus-Fair-Leute die Sachen und bauten alles auf.

Jetzt saß Günther in der frisch renovierten Wohnung mit Möbeln von deren Vorgeschichte er nichts wußte, mit wenigen seiner Habseligkeiten in Pappkartons und fühlte sich elend.
Zum ersten Mal seit Jahren hatte er eine anständige Behausung, anständig zumindest mal nach den Maßstäben, die Behörden so anlegen.
Aber tief in seinem Inneren war eine tiefe Leere. Er vermißte seine Kinder, machte sich Vorwürfe, nicht genug Kraft zu haben, etwas zu unternehmen, um die Kinder zurück zu holen und -das erstaunte ihn am meisten- er vermißte auch seine Frau.

Vor seinem geistigen Auge lief ein Film am, so wie es war, als alles noch in Ordnung war, als sie noch das eigene Haus bewohnten und die Wochenenden auf dem Gartengrundstück verbrachten. Seine Frau strahlte, lautes Kinderlachen, es war eine schöne Zeit gewesen.

Wie hatte es nur so weit kommen können?


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 19. Februar 2013

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Kirstin
11 Jahre zuvor

Ohhh Günther is back..
Meeehhrrr davon 🙂

Buchhalter
11 Jahre zuvor

Wie es so weit kommen konnte? Spielball der Elemente. Hier sind die Elemente die Behörden und Günther ist der Spielball. Es ist alles andere als schön, wie ein Spielball hin und her getreten zu werden. Günther tut mir von Herzen leid.
Danke Tom, das ist eine Geschichte aus dem wahren Leben.

Takana
11 Jahre zuvor

Das wird kein Happy-End geben. Da es auf dieser Webseite um Bestattungen geht, muss es doch demnächst auf eine rauslaufen. Im wievielten Stock ist die neue Wohnung?

Lochkartenstanzer
Reply to  Takana
11 Jahre zuvor

Also wenn es die Beerdigung der Nüsselbirne wäre, könnte man das schon als Happy-End bezeichnen. Aber den Gefallen wird uns TOM vermutlich nicht tun.

whiskey
Reply to  Takana
11 Jahre zuvor

die bestattung war doch schon, nämlich günther seine frau, irgendwo gleich bei den ersten teilen.

shoojo
Reply to  Takana
11 Jahre zuvor

Vielleicht bekommt Günther aber auch „nur“ einen Job bei TOM?

Micha I
11 Jahre zuvor

ach, ja. Glaub mich zu erinnern, das er sie aus dem Haus geworfen hat, nachdem er sie beim fremdpoppen erwischt hat. Irgendwer hat der Dame dann das Lebenslicht ausgeblasen. In der Verhandlung wurde Günter freigesprochen, weil der RA die Zeugin der Anklage auseinander genommen hat. Also nicht die Zeugin, sondern deren Aussage…. er damit bewiesen hat, das der Täter nicht Günter war




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