Mit großem Elan ging Günther sofort daran, noch mehr frische Farbe aufzutragen und die kleinen Fenster der Bauwagen mit sehr ungelenk selbst gefertigten Gardinen zu schmücken. Alles sollte perfekt sein, wenn bald seine Töchter zu ihm kommen würden.
Horst bremste seinen Elan etwas und wollte vermeiden, daß Günther in ein großes schwarzes Loch der Enttäuschung fallen würde, falls alles doch nicht so laufen würde, wie sein Freund es sich vorstellte.
Außerdem hatte er seit Tagen eine bittere Nachricht für Günther, hatte sich aber nicht getraut, es ihm zu sagen.
Als sie eines Abends bei einem Bier am Lagerfeuer saßen und kleine, auf Stöcken aufgespießte, Würstchen ins Feuer hielten, begann er vorsichtig: „Du, du weißt doch, daß ich Dein bester Freund bin, oder?“
„Ja klar, wieso?“
„Nur so…“
„Nee, nix nur so, sach endlich, was is?“
„Meine Mutter…“
„Wie, Deine Mutter?“
„Ja, meine Mutter, die ist jetzt fast neunzig.“
„Schönes Alter, ich werd‘ wohl nicht so alt.“
„Also, meine Mutter, die kommt alleine nicht mehr klar.“
„Ach du Scheiße, muß die ins Heim, oder was?“
„Heim? Nee, das kann ich mir eigentlich gar nicht leisten. Und so schlimm ist es auch nicht. Sie ist ja kein Pflegefall, sie kommt nur alleine nicht mehr klar. Meine Cousine Brunhilde kümmert sich ja hin und wieder um sie, aber die Bruni muß auch 198 Kilometer fahren und hat mir jetzt gesagt, daß es nicht reicht, sich nur alle paar Wochen mal um Mutti zu kümmern.“
„Wo wohnt Deine Mutter denn?“
„In Wolfratshausen.“
„Wo?“
„In Wolfratshausen, das ist so ’ne knappe halbe Stunde hinter München.“
„Ach du Kacke, wie kommt die denn da hin? Ich dachte immer, ihr kommt irgendwo hier aus der Gegend.“
„Ja, ja, stimmt ja auch. Ich habe das elterliche Haus hier überschrieben bekommen, also zur Hälfte mit meinem Bruder. Meine Eltern sind schon vor vielen Jahren nach Wolfratshausen gezogen, weil Papa in München gearbeitet hat. Als der vor zwölf Jahren gestorben ist, ist Mutti da wohnen geblieben.“
„Und? Holste die jetzt zu Dir?“
„Nee.“
„Wie, nee?“
„Ich geh zu ihr. Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“
„Wann kommste denn wieder?“
„Irgendwann mal, auf Besuch.“
„Wie jetzt?“
„Na, das soll heißen, ich zieh da hin. Ganz, wahrscheinlich für immer.“
„Nee, oder?“
„Doch.“
„Kacke!“
„Jau.“
„Und was machste da?“
„Also, mein Bruder will das Haus hier ganz übernehmen und will mich auszahlen. Das ist nicht gerade wenig Geld für mich. Ich will mit dem Geld an einer Entwicklung arbeiten, ich habe da seit Jahren so eine Idee im Bereich der kunststoffverarbeitenden Industrie, die will ich umsetzen und vielleicht zum Patent anmelden. Das Geld gibt mir über Jahre die notwendige Unabhängigkeit. Ich werde bei meiner Mutter wohnen, kann mich um sie kümmern und übrigens ist es da auch schöner als hier in der Stadt.“
„Du ziehst weg?“
„Ja.“
Stumm starrten die beiden Männer in die Glut, ihre Würstchen waren inzwischen verkohlt und sie hatten sie längst an die Seite gelegt. Keiner von beiden hatte jetzt noch Lust, etwas zu essen.
„Du kannst mich doch nicht alleine lassen!“ maulte Günther in gespielter Hilflosigkeit. Er wußte, daß das Leben solche Überraschungen bereit halten konnte und er war bislang wahrlich von solchen nicht verschont geblieben. Doch er kannte seinen Freund zu lange und zu gut, um zu wissen, daß der sich seine Entscheidung nicht leicht gemacht hatte.
„Wann hauste denn ab?“
„So in 14 Tagen etwa.“
„Aber manchmal kommste vorbei, oder?“
„Manchmal schon.“
„Gut.“
Mehr gab es nicht zu reden, Horst ging bald darauf nach Hause und Günther legte sich auf eine Pritsche vor dem Bahnwaggon und genoß die laue Nacht mit dem klaren Sternenhimmel; Schlaf fand er keinen.
Auch Frau Birnbaumer-Nüsselschweif fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Schon seit zwei Wochen wälzte sich die dicke Frau schnaubend und ächzend in ihrem Bett herum, während ihr Mann mit spitz emporgereckter Nase und leicht geöffnetem Mund leise schnarchte.
„Halt’s Maul!“ zischte sie und schlug ihm ihr kleines Kuschelkissen ins Gesicht.
Kurz schreckte er hoch, blickte orientierungslos im schwachen Schein der LED-Anzeige seine Weckers umher, und als er begriff, was passiert war, strich er sich seinen Bart glatt, sagte nur: „Ich liebe Dich auch“ und legte sich wieder hin; Sekunden später schlief und schnarchte er wieder.
Die Dicke schnaubte vor Zorn. Zu gerne hätte sie genau in diesem Moment mit ihrem Mann abermals alles durchgesprochen, so wie sie es seit dem Eintreffen des Briefes vom Jugendamt schon an die hundert Mal gemacht hatte.
‚Erneute Überprüfung der Pflegeunterbringung‘ hatte über dem Brief gestanden und dann war da die Rede gewesen von einer ‚abschließenden Überprüfung und einem Gespräch mit den betroffenen Kindern Monika und Ute Salzner in neutraler Umgebung zwecks Rückführung der Kinder in die familiäre Umgebung‘.
So ganz genau konnte sie nicht mehr wiedergeben, was im Brief gestanden hatte, denn nach dem ersten Lesen hatte sie ihn wutschnaubend in Dutzende kleiner Fetzen zerrissen. Zwar hatte ihr Mann den Brief mit etwa 20 Metern Tesa-Film wieder zusammengesetzt, aber trotzdem war er in Teilen unlesbar geblieben.
Ute und Monika wußten von dem Brief, von dem die Birnbaumer-Nüsselschweifs ihnen nichts gesagt hatten, aber die Mädchen hatten eine Auseinandersetzung des Ehepaares mitbekommen.
War es anfangs mal so gewesen, daß sie sich im Hause Birnbaumer-Nüsselschweif wohlgefühlt hatten, war dieses Gefühl längst der Angst und einer tiefen Ablehnung gewichen. Mehr als einmal hatten die Kinder schon heimlich darüber gesprochen, von dort wegzulaufen, aber stets hatten sie von ihrem, manchmal bis in Detail geplanten, Fluchtgedanken abgelassen, denn sie fürchteten, dann wieder ins Heim zu müssen und eventuell gar nicht mehr zu ihrem Vater zurückkehren zu können.
Die Birnbaumer-Nüsselschweif hatte alles unternommen, um den Mädchen einzubleuen, ihr Vater sei ein schlechter, krimineller Mensch und ein asozialer Penner, doch die Kinder glaubten der Dicken schon lange nichts mehr.
Ihr Haß richtete sich auch vornehmlich gegen Frau Birnbaumer-Nüsselschweif. Ihrem Mann brachten sie fast nur Mitleid entgegen. Der wurde von der Dicken herumkommandiert, schikaniert und wie ein kleiner Laufbursche behandelt. Daß er anzügliche Bemerkungen machte, immer wieder erfolglos versuchte, die Mädchen zu begrapschen und versuchte, sie zu beobachten, empfanden sie als eklig und widerwärtig, standen jedoch soweit fest im Leben, daß sie seine diesbezüglichen Bemühungen eigentlich als lächerlich ansahen, denn sie hatten sich schon oft darüber unterhalten, daß man im Hause Birnbaumer-Nüsselschweif niemals auch nur den geringsten Anhaltspunkt dafür bemerken konnte, daß zwischen dem Ehepaar irgendetwas lief.
Da die Dicke sowieso nicht schlafen konnte, beschloß sie, die Mädchen zu einer Gebetsrunde zu wecken. Verschlafen und mit verquollenen Augen folgten Ute und Monika der Frau ins Wohnzimmer, wo diese aus einem Buch die Tageslosung verlas und dann einen langen Psalm rezitierte.
Doch diesmal waren die Mädchen nicht bei der Sache, gähnten unverhohlen, rieben sich die müden Augen und weckten so den Zorn der Dicken. „Ihr kleinen ungezogenen Nichtsnutze! Essen, trinken, wohnen, viel Wäsche machen, das könnt ihr, aber Gottes Wort hören, das wollt ihr nicht! Ich bin von der Vorsehung dazu ausersehen, Euch eine gute Mutter zu sein. Eure Mutter ist ja tot, umgebracht von Eurem kriminellen Vater. Ihr solltet mir und meinem Mann, eurem neuen Papa, dankbar sein, daß ihr unter meinem Dach wohnen dürft und so eine nette und liebe Familie habt. Aber was macht Ihr? Ihr gähnt und seid unaufmerksam, wenn ich mit Euch bete. Meint Ihr, mir macht es Spaß, nachts hier mit Euch für Euer Seelenheil zu beten und auf meinen wertvollen Schlaf zu verzichten? Ihr seid die Sünderinnen, die reingewaschen werden müssen, nicht ich! Gott wird euch eines Tages strafen!“
„Mein Papa ist kein Krimineller“, wagte es Ute zu sagen und die Dicke zuckte zusammen, reckte sich zu voller Größe auf und brüllte: „Kein Krimineller? Im Gefängnis war der! Gut, daß Ihr bei mir seid und es Euch erspart bleibt, bei dem Penner leben zu müssen! Ihr würdet doch auch früher oder später auf der Straße landen.“
Mit angewidertem Gesicht fügte sie hinzu: „Auf dem Straßenstrich womöglich! Und dann im Knast, jawohl im Knast!“
„Daß wir bei Ihnen sind, damit ist ja bald Schluß“, rutschte es Monika heraus und Frau Birnbaumer-Nüsselschweif, die bei ihren vorangegangenen Worten mit ihrem Gesicht ganz nahe an Utes Gesicht herangekommen war, fuhr herum, als habe sie ein bissiges Insekt gestochen: „Was? Was sagst Du da? Womit ist es vorbei? Ihr bleibt bei mir, das ist so festgelegt, ich bin jetzt Eure Mutter und dabei bleibt es, basta!“
„Wir kommen bestimmt bald zu Papa zurück“, sagte Monika und bemühte sich, der Dicken gegenüber keine Angst zu zeigen.
„Ha!“ brüllte diese: „Das werde ich zu verhindern wissen! Ihr packt jetzt sofort Eure Sachen zusammen, aber sofort!“
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Oh, werden die beiden jetzt auch noch vernüsselschweift?
Jetzt wirds a Roadmovie!
*Grummel* Schiet Cliffhanger *nörgel* … Ach Peter, nu sei gnädig mit uns 😉
ich hab ja immer noch die Hoffnung das beide in den Knast dafür gehen müssen.
Enttäusch uns nicht Tom^^
Und schon gleich am Morgen die volle Nüsselpackung… omg… 😀 man will dieser Frau den Hals umdrehen…
Cliffhanger hin oder her… Ich habe wirklich Schwierigkeiten, mich an den Anfang der Geschichte zu erinnern. Kommt mir vor, als habe der sich schon mehrfach gejährt.