Geschichten

Günther -IV-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Günther und seine Frau hatten eine tolle Idee. Schräg gegenüber wurde ein Wagenpark der Post gebaut und zweihundert Meter die Straße runter wurden gleich mehrere Supermärkte und ein Gartencenter errichtet.
Warum also nicht vorne auf dem Grundstück eine Fertiggarage aufstellen lassen und von dort aus Obst, Gemüse, Wasser, Limo und heiße Würstchen an die Bauarbeiter verkaufen?

„Die haben uns jeden Tag die Bude leer gekauft. Ehrlich, einer von uns war immer da und an manchen Tagen bin ich mittags nochmal zum Metzger und habe wieder 80 Würstchen kaufen müssen. Wir haben natürlich gewusst, daß das ein vorübergehendes Geschäft sein würde, denn irgendwann würden die ja mal fertig sein, mit dem Bauen. Aber da kam ja dann noch die Ausbildungswerkstatt von der Berufsschule und diese kleine Fensterfabrik. So drei, vier Jahre ist das gut gelaufen. Wir haben schön was nebenher verdient – und natürlich angemeldet und versteuert, ist ja klar.“

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Eigentlich müsste man also sagen, daß es für Günthers Familie optimal lief, alles war schön und „in Butter“.
Bis eben jener Tag kam, es war ein Mittwoch, an dem Günther seinen Schichtdienst mit einem Kollegen getauscht hatte und früher von der Arbeit kam.
Vorne in der Garage lag die Ware offen und auf einer Würstchenpappe war mit Filzstift aufgekritzelt „Komme gleich wieder“.
Wo war seine Frau? Hatte die mal eben auf die Toilette gemusst? Holte sie Nachschub von hinten?
Die Kinder waren noch in der Schule, das wusste Günther, aber wo war die Frau?

Als erstes bediente Günther zwei LKW-Fahrer und verkaufte denen Cola und Würstchen. Dann ging er die fast 20 oder 30 Meter bis zur Villa Kunterbunt und als er näher kam, konnte er leise Musik hören.
Jetzt war ihm alles klar, seine Frau war in der Küche, um ein paar von den belegten Brötchen zurecht zu machen oder etwas vom Gemüse oder Obst zu putzen. So musste es sein.

Frohgelaunt betrat Günther das geräumige Gartenhaus, wollte gerade zu seiner Frau sagen: „Warum bist Du nicht vorne? Mensch, da steht alles offen und jeder kann sich selbst bedienen!“, da stellte er fest, daß er sich getäuscht hatte. Seine Frau stand nicht in der Küche.
Aus dem Radio spielte es einen Bossanova und ein schnulziger Sänger versuchte sich in einem Gemisch aus Deutsch und Spanisch.
Langsam ging Günther von der Küche ins angrenzende Wohnzimmer, aber auch dort war niemand.
Allmählich stiegen in ihm Sorgen und Zweifel auf, irgendwas stimmte da nicht, irgendetwas war anders als sonst.

Noch ein paar Schritte und Günther war an der Tür zum angrenzenden Schlafraum. Er öffnete sie und schloss kurz die Augen. Er hatte Angst, seiner Frau könne etwas zugestoßen sein, Herzinfarkt, Schlaganfall oder so was, man hört das doch immer wieder, daß auch recht junge Menschen urplötzlich wegen so was tot umfallen…

Er wollte das ganz unbewusst gar nicht sehen, deshalb hatte er für den Bruchteil einer Sekunde die Augen geschlossen, während er die Tür vorsichtig öffnete.
Als er seine Augen wieder aufmachte, stockte ihm der Atem und er fühlte, wie innerhalb eines Augenblicks gleichzeitig sein Blut aus dem Kopf bis in die Beine sackte und im selben Moment voll mit Adrenalin wieder nach oben schoss.

Vor ihm im Bett lagen seine Frau und ein ihm völlig unbekannter Mann mit sehr ausgeprägter Körperbehaarung, beide nackt und sie trieben es so heftig miteinander, daß sie gar nicht mitbekamen, daß Günther eingetreten war.

Was nun folgt, das geschah alles innerhalb weniger Sekunden. So etwas passiert immer innerhalb weniger Sekunden, auch wenn andere hinterher Wochen und Monate Zeit haben, um diese Vorgänge genau zu untersuchen, die Sekundenbruchteile zu sezieren und daraus Verantwortlichkeiten und Schuld abzuleiten.

Günther sprang einen Schritt vor, begann wie ein Tier zu brüllen, packte seine Frau bei den Haaren und zog sie mit einem Ruck von dem stöhnenden Fremden herunter. Beide waren so erschrocken, als sei just in diesem Moment der Blitz eingeschlagen.
Günthers Frau landete nackt vor dem Schrank, wo sie auf dem Boden zu sitzen kam. Vor Schreck verfiel sie in Schnappatmung und begann zu weinen. Der behaarte Fremde hatte sich aufgerichtet, konnte nur ein „Ey“ sagen, dann traf ihn Günthers Faust mitten ins Gesicht und zwar so deftig, daß ihm sofort die Nase brach und der Mann blutend und vor Schmerz schreiend aus dem Bett sprang.

Was dann geschah, hat Günther später so beschrieben:
„Ich habe den Kerl, der übrigens ein Betonfahrer von der Baustelle war, so lange in den Arsch getreten, bis er von meinem Grundstück runter war und dann bin ich zu meiner Frau, die saß immer noch heulend vor dem Schrank, hab der Ihre Klamotten die Füße geworfen und gesagt: ‚Ich geh‘ jetzt mal ’ne Viertelstunde spazieren, wenn ich wiederkomme, bist Du verschwunden.'“

So wie er es sagte, so hat Günther es auch gemacht. In ihm kochte es, seine Fäuste taten ihm weh und er war kaum in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Mit großen Schritten lief er einmal um das ganze Gewerbegebiet, was deutlich länger als eine Viertelstunde gedauert haben muss.
Dann kehrte er zu seinem Garten und zur Villa Kunterbunt wieder zurück. Es warteten schon Leute vorne am Büdchen und er begann mit dem Verkauf von Wasser, Limo und Wurst. Dann kamen seine Kinder aus der Schule und freuten sich schon darauf, hinter der „Villa“ in den neu aufgestellten Swimming-Pool springen zu können.

Es verging etwa noch eine Stunde, dann hörte Günther das Tatütata von mehreren Polizeiautos und kurz darauf konnte er die flackernden Blaulichter näher kommen sehen. Gleichzeitig schossen ihm zwei Gedanken durch den Kopf: Da ist auf einer der Baustellen was Schlimmes passiert. Die kommen mich jetzt holen, weil ich dem Arsch die Fresse poliert habe.

Günther hatte Recht! Sie kamen ihn holen. Aber sie holten ihn nicht wegen des „Arsches“, sondern sie sprangen aus den Wagen, gleich sechs Mann, fackelten nicht lange und drückten ihn auf den Boden, legten ihm Handschellen an und erst als er schnaubend auf dem Rücksitz eines der Streifenwagen saß, eröffnete man ihm, er sei vorläufig festgenommen, weil er unter dem dringenden Tatverdacht stehe, vor einer halben Stunde in seinem Wohnhaus seine Frau erschlagen zu haben.

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(©si)