Man könnte ja nun glauben, Günther gehörte sein Haus sowieso. Seine Hälfte plus die Hälfte von dem was seine Frau hinterlässt und der Rest geht an die Kinder, oder so. Aber die Sache stellte sich dann doch etwas anders dar. Da Günther und seine Frau damals nicht einen Hausbau finanzieren konnten, hatten Günthers Schwiegereltern ihm und seiner Frau finanziell großzügig beim Kauf des Hauses unter die Arme gegriffen und und sich deshalb mit ins Grundbuch schreiben lassen.
Nach deren Tod hatten Günthers Frau und deren Schwester die Anteile der Eltern geerbt, bloß hatte Günther lange schon verdrängt, daß seine Schwägerin diesen kleinen Anteil besaß.
(Die mitlesenden RechtsExperten können das ja mal in Prozenten auseinanderdröseln.)
Die Verstorbene hatte sich nichts Böses dabei gedacht, als sie ihrer Schwester einen Großteil des Hauses vermachte. Auch wenn die Schwestern sich nicht besonders nahe standen, so war die Schwester doch die Patentante der Tochter und Günthers Frau hatte sich wohl gedacht, daß auf diese Weise die Schwester enger gebunden würde und sich im Falle eines Falles um die Kinder kümmern würde.
Egal wie, am Ende war es so, daß Günther nur etwa ein Viertel des Hauses beanspruchen konnte und aufgrund seiner strapazierten finanziellen Lage gar nicht genug Geld hatte, um seine Schwägerin auszubezahlen.
Die aber hatte ja schon durch das Ausmessen der Wohnräume gezeigt, daß sie ein sehr starkes Interesse an dem Haus hatte und so kam es, daß Günther irgendwann aufgab, seine Habseligkeiten in Kisten und Kartons packte und vom Wohnhaus in die Villa Kunterbunt zog.
Ich erinnere mich noch daran, daß ich damals gesehen habe, wie Günther und Horst da Kisten schleppten und daß schon 14 Tage später ein Gerüst vorne am Haus deutlich zeigte, daß da jetzt jemand gründlich renoviert.
Allein über die schnippischen Auftritte der Schwester und ihres Mannes könnte man ein ganzes Kapitel schreiben, aber das erspare ich mir und den Lesern, denn es gab damals ganz andere Entwicklungen, die viel spannender waren.
Zum Beispiel war es ja noch immer völlig ungeklärt, wer Günthers Frau erschlagen hatte. Die müde anlaufenden Ermittlungen gingen nun in eine ganz andere Richtung und die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft taten so, als sei das nun die neueste Erkenntnis der Welt: man suchte einen haarigen Lastwagenfahrer!
Die Baustelle, von der man annahm, dort könnte dieser Arbeiter Beton geliefert haben, wurde zwar von einem deutschen Bauunternehmen geführt, tatsächlich hatte man aber die verschiedenen Bautätigkeiten, also die Gewerke, an unterschiedliche Subunternehmer weitergegeben.
Die wiederum hatten auch wieder Subunternehmer, vornehmlich aus dem Ausland, beschäftigt und so kam es, daß auf der Baustelle fast keiner die selbe Sprache sprach. Allen gemeinsam jedoch war, daß kaum einer Deutsch konnte, man sich untereinander gar nicht kannte und die Ermittler sich schwer taten, da durch zu blicken.
Einige hundert Meter von der Baustelle entfernt hatten sich beispielsweise polnische Bauarbeiter eine Wagenburg aus Kleinwagen und Zeltplanen errichtet, in der sie unter jämmerlichen hygienischen Verhältnissen hausten.
Ein ganzes Rudel Bulgaren wohnte in drei Wohncontainern am anderen Ende der Stadt. Es hieß, die Bulgaren müssten immer verschwinden, wenn die Kontrolle kam.
Ein paar Zimmerleute aus Irland oder Schottland, das wußte keiner so genau, hatten sich auf dem ungenutzten Gelände unter der Autobahnbrücke im Süden der Stadt einige Wohnwagen aufgestellt.
Sagen wir es mal so, die waren alle haarig, vor allem die Bulgaren.
Mehr Anhaltspunkte hatte man nicht und viel weiter kam man auch nicht, denn die häufigste Antwort, die die Ermittler zu hören bekamen, lautete: „Nix verstehen!“
Und man muß natürlich dazu sagen, daß man in der Ermittlungsarbeit wohl auch ziemlich halbherzig vorgegangen ist. Zu groß war die Niederlage vor Gericht gewesen, als Günther, den man schon als Täter sicher überführt glaubte, freigesprochen worden war.
Hätte man nun nach kurzer Zeit den richtigen Täter gefunden, dann hätten Presse und Öffentlichkeit mit Recht gefragt, warum man den denn nicht gleich ermittelt habe.
Wenn es Günther schon nicht gewesen sein konnte, so sah die Polizei auf jeden Fall besser aus, wenn der wahre Täter der große Unbekannte blieb.
Günther begann also in jenen Tagen sein Leben in der Villa Kunterbunt, stellte den Verkauf von Gemüse und Limonade ein und ließ den vorderen Teil vor der Garage zuwachsen. Von der Straße aus sah man forthin nur noch die Garage und ansonsten sehr viel Grün.
Horst war ihm in dieser Zeit eine große Stütze, doch mußte Horst arbeiten, während Günther noch eine Krankmeldung hatte. Durch den Unfall hatte er sich einen Nackenwirbel verletzt und diese Verletzung wurde immer schlimmer.
Dem maß Günther aber zunächst keine große Bedeutung bei. Viel schlimmer für ihn war, daß die junge Frau, mit deren Auto er zusammengestoßen war, nun auf einmal nicht mehr das arme, hilflose Mäuschen war, sondern über ihren Anwalt mitteilen ließ, er habe das Rotlicht der Ampel mißachtet und sei damit Schuld am Unfall.
Genau in dieser Zeit trat Leo in Günthers Leben.
Leo war ein Tunichtgut aus dem Hamburger Hafen. Jemand, der sich sein Leben lang für ein paar Mark am Tag mit Tagelöhnerdiensten durchgeschlagen hatte und kein geregeltes Leben führte.
Als ihm irgendeine klitzekleine Größe aus dem dortigen Milieu drohend ein Messer an den Hals gehalten hatte, hatte Leo seine sechs Unterhosen, zwei blaue Latzhosen und drei gestreifte Fischerhemden in einen Seesack gepackt und war schwarz von Hamburg bis hier in die Stadt gefahren.
Erst hatte er einige Wochen „Platte gemacht“, also auf der Straße gelebt, dann hatte ihm jemand den Tipp gegeben, daß man auf dem Campingplatz unten am Fluss ganz billig im Zelt wohnen könne und wenigstens sanitäre Anlagen hätte.
Etwa zwei Jahre hatte Leo im Zelt gewohnt, was offiziell so gar nicht erlaubt war, von den Behörden aber geduldet wurde, dann war ein Saufkumpel vom Campingplatz besoffen in den Fluss gefallen und hinterher im Krankenhaus an Lungenentzündung gestorben. Und dieser Saufkumpan hatte Leo, im Beisein anderer Freunde der hochgeistigen Getränke auf dem Sterbebett seinen Wohnwagen vermacht.
Tatsächlich haben solche mündlichen Testamente, geäußert vor genügend Zeugen, wohl sogar rechtliche Wirkung, aber das brauchte es gar nicht, niemand zweifelte Leos Inbesitznahme des kleinen Wohneis an.
Nur konnte Leo die nun vom Campingwirt geforderte höhere Standgebühr nicht bezahlen und so drohte man Leo, ihn mitsamt seines Wohnwagens einfach in den Fluss zu schmeissen.
Da kam Leo die Idee, bei Günther vorzusprechen, bei dem er früher schon mal ein paar Zwiebeln und den einen oder anderen Träger Bier gekauft hatte, und ihn zu fragen, ob er denn nicht seinen eiförmigen Kleinwohnwagen auf dessen Grundstück abstellen könne.
„Ich saß sowas von selbst in der Scheiße, da war ich froh, daß der Leo mit seinem Wohnwagen kam, dem es noch dreckiger ging. Eben noch war ich der Abschaum, der nur in einer Laube wohnt und eine Stunde später war ich auf einmal der, der einen Stellplatz vermietet auf dem einer in einem Wohnwagen lebt“, hat Günther später mal erzählt.
Nun muß man sich den Leo so vorstellen:
Ein kleiner, dürrer Mann mit sehr langen Gliedmaßen und einem langen und ebenfalls dünnen Hals. Der Kopf schien für diesen Hals viel zu groß zu sein, wenngleich bei näherer Betrachtung Leos Kopf kaum größer war, als der von anderen Menschen.
Über den Ohren hatte Leo zwei sonnengelbe blonde Haarinseln, die sich am Hinterhaupt nur mühsam noch trafen, ansonsten war er kahl, was man aber selten sah, denn die meiste Zeit trug er eine speckige Prinz-Heinrich-Mütze.
Gekleidet war Leo immer (und ich betone das Wort immer) mit einer ehemals blauen Latzhose mit dem Schriftzug „Stauerei Hansen und Sohn“ auf dem Latz und einem gestreiften, kragenlosen Fischerhemd. Dessen Ärmel waren sommers wie winters hochgekrempelt, damit man die verwaschenen, grau wirkenden Tätowierungen auf seinen Unterarmen sehen konnte.
Ich habe Leo oft gesehen, es war mir jedoch nie möglich, von diesem grauen Mischmasch mehr zu erkennen als einen Schiffsanker.
Nein, nein, der Fleck da neben seinem Auge, das sei keine Knastträne, da habe ihn der Tätowierer aus Versehen getroffen, als er besoffen vom Stuhl gefallen sei. Wer? Er oder der Tätowierer?
„Weiß ich nicht mehr, da war ich besoffen.“
An den Füßen trug der etwa 60jährige Leo ausschließlich ganz dünn gelaufene holländische Holzschuhe, so wie es selbst in Holland nur noch die ganz Alten oder Traditionsbewußten tun. Es gebe nichts Bequemeres und Haltbareres. „Im Sommer trägste die barfuß und im Winter mit dicken Stricksocken, das ist so schön muggelig.“
Alles in Allem behauptete Leo, er sei quasi jahrzehntelang zu See gefahren und er konnte Stunden am Stück von der Umschiffung von Kap Horn und Fahrten durch die Südsee erzählen.
Und jeder hörte ihm gerne zu, obwohl jeder wußte, daß Leo niemals in seinem Leben aus dem Hafen weg gekommen war. Das heißt, einmal ist er ja doch weg gekommen und zwar in jenes Wohnei, das nun hinter Günthers Garage zwischen zwei Pflaumenbäumen stand.
Leo wäre für den weiteren Fortgang der Geschichte völlig ohne Belang und ich hätte gar nicht von ihm erzählen müssen, jedoch sollte er eine Idee haben, die ihn, Günther und Horst auf die Spur des Mannes bringen sollte, der der Täter sein könnte.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Antonia, Büser, Sandy
… langsam tippe ich auf „Horst“ als Täter … meine güte ist das spannend! …
– mich weiterhin in schwerer geduld übe –
<3 von Luzie
mal ganz am Rande: „.. und so kam es, daß auf der Baustelle fast keiner die selbe Sprache sprach.“
Tom, beschreibst Du da nicht die Errichtung eines Gebäudes im fernen Morgenland vor langer, langer Zeit? 😉
und was den Leo betrifft: wusst‘ ich’s doch, dass der weiterhelfen konnte: er wwar sicherlich vielsprachig und hat später die gleichnamige Übersetzungs-Internetseite gegründet 😀
Deine Geschichte gewinnt an Fahrt…
Tja, es ist echt übel, sowas am Stück zu lesen. Das ist der Nachteil, wenn die Geschichten später im Buch erscheinen.
Apropos Erschlagen. Leute die Geschichten immer wieder verzögern sollte man auch … am Ohr ziehen. 🙂
Was mich bei der ganzen deprimierenden Sache freut, ist dass Günther noch immer Freunde hat, die zu ihm halten. Ist leider nicht immer selbstverständlich, wenn einer so rapide abstürzt.
Geduld ist eine Tugend, und Tom ihr Lehrmeister… 😉
@ hajo.
[quote]mal ganz am Rande: „.. und so kam es, daß auf der Baustelle fast keiner die selbe Sprache sprach.“
Tom, beschreibst Du da nicht die Errichtung eines Gebäudes im fernen Morgenland vor langer, langer Zeit? [/quote]
Bundesdeutsche Realität, gerne auch an vom Steuerzahler finanzierten öffentlichen Gebäuden wie Universitäts-/Behörden-/u. ä. Neubauten zu sehen oder zu hören.
Auf Leos Weiterentwicklung bin ich auch gespannt. 😉
B. A.
@ Big Al:
da siehste mal, was „das“ für eine lange Tradition hat 🙁
@ hajo.
Aha, die alte Geschichte lehrt uns also die Schattenseiten der freien Marktwirtschaft und des Subunternehmertums?
So entsteht also Pfusch am Bau?
Ganz neue Sichtweisen tun sich da für mich auf 😉
B. A.
Wo sind eigentlich die Kinder?
Ganz ehrlich: für Pfusch am Bau brauchts keine ausländischen Subsubunternehmer, das schaffen auch deutsche Bauarbeiter – vor allem, wenn die Baufirma eh ein Halunkenverein ist, der Bauherren abzockt.
10: vielleicht bei der Birnschweifer-Nüsselbaum?
Haaaach das mutet doch wieder nach einer richtig schön langen spannenden Geschichte à la Olugulada an. Was bin ich gespannt, was Leo für eine Rolle spielt.
Dank dir Tom, für die gute Unterhaltung. Es lohnt sich einfach, deinen Blog zu verfolgen – auch durch so manche Dürreperiode hindurch.
@NR. 12:
Lebt DIE eigentlich noch? Von der hat man ja schon ewig nichts mehr gehört 😉