Menschen

Hah-Ruhn

Herr Freres sitzt vor mir und dreht verlegen sein Taschentuch zwischen seinen Fingern zu einem Strang, zerknüllt es dann wieder vor Zorn, wischt sich einige Tränen aus den Augen und beginnt wieder, das Taschentuch zu zerknüllen.

Von ihm gegangen ist seine Helma, die liegt bei uns unten im Kühlraum, das macht ihr nichts und auch Herr Freres ist ambivalent in seiner Trauer. Auf der einen Seite übermannt ihn immer wieder das Gefühl des Verlustes, auf der anderen Seite gönnt er seiner Frau den Tod, der auch in diesem Fall wirklich eine Erlösung war.

Frau Freres hatte am Ende ihres langen Lebens Magenkrebs und das ist manchmal eine langwierige, schmerzhafte und zumeist auch tödliche Sache. Daß sie nun von diesen Schmerzen und den vielen Nebenwirkungen der Medikamente erlöst worden ist, empfindet er als religiöser Mensch als eine Gnade Gottes und verspürt neben seiner Trauer auch so etwas wie Erleichterung.

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Doch alles das ist nicht der Grund für seine Tränen. Vielmehr ist der alte Herr zutiefst bestürzt über die finanziellen Umstände, die nun eingetreten sind und die er nur mühsam begreifen kann.

Gut zwei Jahre muß ich zurückblicken. Frau Freres, eine kleine, etwas dickliche Frau mit O-Beinen war zu uns ins Büro gekommen, um für sich und ihren Mann Bestattungsvorsorgen abzuschließen. Ihre wasserblauen Augen funkelten lustig und auch sonst war die Frau nicht ohne Humor. Sie gehörte zu der Sorte Mensch, die überhaupt keine Angst vor dem Tod haben, das alles nüchtern sehen und sagen: „Ich hab mein Leben gelebt, ein langes Leben sogar. Zu viel mehr habe ich eigentlich gar keine Lust mehr. Jeder muß doch mal gehen, so ist das eben.“

Ein Doppelgrab sollte es sein, mit einem großen Stein und einen Grabpflegevertrag bei einem Gärtner wollte sie auch noch abschließen. „Ach wissen Sie, es ist ja eigentlich keiner mehr da und wofür sollen wir das überhaupt machen, haben mein Mann und ich uns gefragt und dann waren wir schon so weit, daß wir gesagt haben, daß wir uns anonym bestatten lassen. Aber dann haben wir überlegt und es ist uns klar geworden, daß wir ja vermutlich nicht beide an einem Tag sterben werden und derjenige von uns, der übrig bleibt, der hat dann gar keine Stelle wo er hingehen kann.
Da ist ein richtiges Grab also schon besser. Und wir haben doch auch das Geld, warum sollen wir also nicht da unter unserem eigenen Denkmal liegen und noch 20 Jahre den Menschen Zeugnis davon geben, daß es uns einmal gegeben hat. Vielleicht kommt ja doch mal einer vorbei, der uns gekannt hat und dann denkt der: ‚Ach guck mal, da liegt ja das Ehepaar Freres!‘.
Man ist dann irgendwie doch nicht so ganz vergessen.“

Geld war wirklich genug da, das konnte Frau Freres anhand von Sparbüchern eindrucksvoll belegen.
Wie das bei manchen alten Leuten so ist, wollte sie auf gar keinen Fall, daß das Geld in irgendeiner Form angelegt oder in eine Sterbekasse eingezahlt wird. „Nein, wir behalten das bei uns und Sie kriegen eine Vollmacht, ich hinterlege das Sparbuch auch gerne bei der Bank in einem Schließfach, aber ich gebe es nicht aus den Händen, auf gar keinen Fall, niemals!“

Das gibt es immer mal wieder und in solchen Fällen macht man halt eine Vorsorge, bei der das Finanzielle ausgespart bleibt. Wenn am Ende dann doch nicht so viel da ist, kann der Bestatter auch auf eine günstigere Variante ausweichen.

Und genau das werden wir jetzt tun müssen, denn von dem vielen Geld, das locker zum Bau eines Hauses gereicht hätte, ist nichts mehr da. Gar nichts mehr.

Ja, das komme alles wegen dem Hah-Ruhn aus dem Fernsehen.

„Was ist bitteschön ein Hah-Ruhn?“ erkundige ich mich bei Herrn Freres und der sagt: „Das ist so ein Hellsager, oder wie man da sagt, der im Sternenfernsehen die Zukunft voraussagt und Lebensratschläge gibt. Bei dem und bei seinen Kollegen hat meine Frau das ganze Geld gelassen.“

Er berichtet, daß seine Frau mit Auftreten der Krebserkrankung sehr depressiv geworden sei und sich Trost und Ansprache in den Sendungen eines astrologischen Beratungssenders gesucht habe.
Er habe schon mitbekommen, daß die Anrufe etwa 50 Cent kosteten, aber er habe nicht verstanden, daß das immer nur für die ersten Anrufe in der Live-Sendung gegolten habe und seine Frau sich danach mehrmals täglich und das manchmal für Stunden bei den astrologischen Beratern im Callcenter eingewählt habe. Ja, und dort koste es eben mehrere Euro pro Minute und da seien an manchen Tagen bis zu 700 Euro aufgelaufen, prima und unauffällig gleich mit der Telefonrechnung abgebucht.
„Ich hab‘ das doch gar nicht gemerkt, ich kümmere mich doch um sowas nicht, das macht doch alles meine Frau!“ Er zögert kurz, schüttelt traurig den Kopf und verbessert sich langsam: „Um sowas kümmerte sich meine Frau. Jetzt wo sie tot ist, habe ich das erste Mal seit Jahren Kontoauszüge geholt und da hab ich mich auf den Arsch gesetzt – Entschuldigung – auf den Hintern gesetzt… Die hat in den letzten zwei Jahren über 200.000 Euro vertelefoniert, fast alles mit diesem Hah-Ruhn und seinen Kollegen und Kolleginnen… Die haben die förmlich abhängig gemacht, ihr Engelskraft geschickt. Haben Sie einen solchen Blödsinn schon mal gehört? Engelskraft! So’n Schwachsinn! Ich habe das von Anfang an für Humbug und Scharlatanerie gehalten, aber ich dachte, wenn es ihr hilft und wenn es nur 50 Cent kostet… Da steht doch immer eingeblendet: 50 Cent! Und jetzt ist das ganze Geld weg.“

Er brauche ja nicht viel und komme mit der Rente gut aus, aber er habe doch gedacht, es sei auch genug für ihrer beider Beerdigungen da. „Was mach‘ ich denn jetzt?“
Er weint wieder.

Ich rechne hin und ich rechne her. Ein bißchen hat Frau Freres ja noch auf den Sparbüchern gelassen, von denen sie in den letzten 24 Monaten regelmäßig größere Beträge abgehoben und auf das Girokonto eingezahlt hatte. Ich kann Herrn Freres beruhigen: „Wenn wir alles ein bißchen abspecken, dann bekommen wir das hin.“

„Ehrlich?“

„Ja sicher.“

Er nimmt meine Hand und weint bitterlich, Tränen tropfen auf unsere Hände und ich rede beruhigend auf ihn ein. Das werde schon alle klappen.

„Nein“, sagt er, „jetzt weine ich nicht mehr wegen dem Geld, da haben Sie mir einen Stein vom Herzen fallen lassen, jetzt weine ich wegen meiner Helma. Und ich weine ein bißchen vor Glück, die soll es doch schön haben, jetzt wo sie tot ist.“

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