Allgemein

Herr Plietsch

„Sie, ich weiß jetzt gar nicht was ich machen soll, solche Sachen erledigt sonst immer meiner Mutter, aber jetzt ist die tot und ich muß das selber machen.“

So führte sich Herr Plietsch am Telefon ein. Seine Mutter sei heute Abend kurz nach der Tagesschau im Sessel ihres Wohnzimmers friedlich eingeschlafen und habe sich auch durch den herbeigerufenen Arzt nicht dazu bewegen lassen, eventuell doch noch einmal aufzuwachen. Wie es denn aussähe, ob er seine Frau Mutter daheim behalten könne, will Herr Plietsch wissen.

Werbung

Ich kläre ihn darüber auf, daß wir die Verstorbene bis zu 36 Stunden bei ihr zu Hause aufbahren können, doch das hat er gar nicht gemeint.

„Nein, ich mein jetzt für immer, das geht doch heute.“

„Nein, das geht nicht, ganz bestimmt nicht…“

„Da gibt es doch ganz bestimmt irgendwelche Methoden. Sie müssen wissen, meine Mutter und ich waren die letzten 64 Jahre niemals getrennt, nicht einen Tag!“

Herr Plietsch wohnt nicht weit weg, ich sage zu ihm, daß ich besser mal eben vorbeikomme und fahre dahin.
Im Wohnzimmer sitzt immer noch die Mutter vor dem Fernseher, es fängt gerade „Ödipussi“ an, wie bezeichnend. Herr Plietsch ist 64 Jahre alt, seine Mutter ist 88 Jahre alt geworden und Herr Plietsch hat ihr eine mintgrüne Häkeltischdecke über den Kopf gehängt. So besehen wirkt die Verstorbene wie eine mittelgroße Stehlampe aus den späten 60ern.

Ohne ihm zu nahe treten zu wollen, kann ich sagen, daß er wenig Rückgrat besitzt, denn er benimmt sich wie ein huschiges Häschen und egal was ich sage, er nickt es ab und ist sehr, sehr dienstbeflissen und ergeben, um es man vorsichtig zu sagen. Aber er ist ausgesucht höflich und bemüht. In solchen Fällen ist es besser, wenn man das Kommando übernimmt. Ich sage: „So, jetzt lassen wir Ihre Frau Mutter abholen und morgen können Sie sie dann besuchen.“

Damit ist er einverstanden. Kein Norman Bates, der seine Mutter ausgestopft zu Hause behalten will, nur ein 64jähriges Muttersöhnchen, das nicht alleine in der großen Wohnung bleiben will. 9 Zimmer und 210 Quadratmeter! Meine Fresse!
Er brauche den Platz, er sei nämlich Oboist und müsse jeden Tag mehrere Stunden üben, auch wenn er schon seit 3 Jahren nicht mehr im Orchester spiele. Der Arzt habe gesagt, das ständige Anblasen des dünnen Röhrchens sei nicht gut für seinen Kopf, davon bekomme man Migräne und deshalb habe er den Dienst quittiert.

Nun gut.
Aber was mache ich mit dem? Der will nicht alleine bleiben? Ich kann ihn ja schlecht mitnehmen, damit er neben Mama in der Kühlkammer schläft, oder?

Während er mir unbedingt einen Tee machen will, telefoniere ich mit unserem Fahrdienst und rufe dann meine Frau an, die hat in solchen Fällen oft die rettende Idee. Sie sagt: „Wenn der wirklich so unterwegs ist, wie du sagst, dann lass dir mal seine Medikamente zeigen, das riecht doch förmlich nach Hypochonder. Da wird irgendwas dabei sein zum Beruhigen. Dann gibst du ihm sein Kuscheltier und singst ihm noch ein Schlaflied.“ Ich glaub‘ sie hat gelacht, als sie auflegte. Frauen können ja so albern sein!

Wenig später klingeln unsere Fahrer, der Rest geht dann schnell. Wenige Worte genügen, um die Männer ins Bild zu setzen und ich verziehe mich mit Herrn Plietsch in die Küche. Dort erzähle ich ihm, wie es jetzt mit seiner Mutter weitergeht; den meisten Menschen hilft es, zu wissen, daß nichts Schlimmes mit ihren verstorbenen Angehörigen passiert. Er ist schon ziemlich geknickt, freut sich aber auch sehr darüber, daß mir sein Tee schmeckt. Zumindest sage ich das zu ihm, denn in Wirklichkeit ist es ein Vanille-Kirsch-Weibergebräu. Aber er freut sich doch so und ich muß den Tee ja nicht ganz austrinken.

Kaum zehn Minuten später ist Mutter Plietsch weg und ich frage Hern Plietsch wie es denn mit einem Beruhigungsmittel aussehe. Er zeigt mir bereitwillig die oberste Schublade der Kommode im Gang und sucht sich gleich drei Mittel aus, die seiner Meinung nach helfen könnten. Brom ist auch dabei, das scheint mir ein probates Mittel zu sein und ich empfehle ihm, davon zwei kleine Pillen zu nehmen. Plietsch ist hochdankbar und empfiehlt sich, er müsse mal kurz ins Bad. Ich sitze in der Küche und kann dem Tee immer noch nichts abgewinnen. Wenigstens darf ich rauchen.

Eine ganze Viertelstunde dauert es, dann kommt Herr Plietsch in Pyjama und Bademantel in die Küche und ich erkenne, daß es Zeit wird, zu gehen, sonst werde ich ihn doch noch ins Bett bringen müssen. Herr Plietsch ist sowas von dankbar und bedankt sich höflich für meine Hilfe, meinen Rat und dafür, daß ich noch etwas geblieben bin. Ob es schlimm sei, wenn er heute im Bett seiner Mutter schlafe, also auf der rechten Seite und nicht auf der linken….
Nee, das ist bestimmt nicht schlimm.

Dann bin ich wieder heimgefahren.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#herr #plietsch

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)