Herr Westfal ist unten in unserem Kühlraum 1. Es ist schlimmer als Manni, Sandy und ich erwartet hatten. Als Bestatter haben wir schon unzählige Leichen gesehen, darunter auch viele, die in keinem guten Zustand mehr waren.
Aber bei Herrn Westfal kann man überhaupt nicht von einer Leiche sprechen, wir sind nicht einmal sicher, ob wir alle Teile haben.
Was so ein ICE mit einem menschlichen Körper macht, das ist für einen Normalbürger unvorstellbar. Es ist auch unglaublich, was so ein Vorfall mit dem Lokführer macht.
Der ist erst 35 Jahre alt, hat im Gegensatz zu vielen Kollegen bisher nur Wildschaden gehabt und bekommt nun das Bild nicht mehr aus dem Kopf, wie Herr Westfal auf den Gleisen steht und ihn hocherhobenen Hauptes anschaut.
Natürlich hat man dem Lokführer psychologische Betreuung angedeihen lassen und auch ein Seelsorger aus seiner Heimatgemeinde kümmert sich um ihn. Trotzdem wird der Mann mit der Situation nicht fertig und hat sich spätabends in sein Auto gesetzt und ist die ganze Nacht durchgefahren, um beim hiesigen Friedhofsamt mehr in Erfahrung zu bringen.
Schon am frühen Morgen ist er dort vorstellig geworden, aber ruppig wie eine lästige Fliege abgewiesen worden. Wenigstens hat man ihm gesagt, welcher Bestatter „die Säcke jetzt hat“.
Gegen 9 Uhr ist es, als ich von einer frühen Beerdigung ins Büro zurückkomme und den Mann, der in der Halle sitzt und wartet, zunächst für einen der zahlreichen Vertreter halte, die sich die Woche über so ihr Stelldichein geben.
Doch Sandy belehrt mich eines Besseren: „Du Chef, das ist der Lokführer von dem Westfal, Du weißt schon.“
Ich bin baff, damit hatte ich nicht gerechnet. Wir kennen doch meistens nur die eine Seite der Geschichte und das ist oft genug eine stumme und kalte Seite, die uns nicht mehr viel erzählen kann.
Wenn mich einer auf meinen Beruf anspricht und wieder so einen Spruch losläßt wie: „Das könnt‘ ich nie machen“, dann sage ich oft, daß wir doch den leichteren Part übernehmen. Bei uns ist der Mensch schon tot, wir kannten ihn meistens nicht, wissen nicht wie er zu Lebzeiten aussah, sich bewegte, wie er sprach. Alles das wissen wir nicht und wir haben auch sein Sterben, seinen Tod nicht miterleben müssen; und das halte ich für den weitaus schwierigeren Teil bei der ganzen Sache und genau deshalb würde ich nicht gerne im medizinischen oder pflegerischen Bereich arbeiten wollen.
Was mache ich mit dem Lokführer?
Was will der Mann von mir?
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Er will wissen warum…
„…Trotzdem wird der Mann mit der Situation nicht fertig und hat sich spätabends in sein Auto gesetzt und ist die ganze Nacht durchgefahren, um beim hiesigen Friedhofsamt mehr in Erfahrung zu bringen.
Schon am frühen Morgen ist er dort vorstellig geworden, aber ruppig wie eine lästige Fliege abgewiesen worden. Wenigstens hat man ihm gesagt, welcher Bestatter „die Säcke jetzt hat“…“
Ja, die äußerst einfühlsamen Friedhofsmitarbeiter.
Wie war das nochmal, da kommen die Leute hin die zu dumm sind sich hinten am Müllauto festzuhalten.
Der Lokführer hat wahrscheinlich einen Schaden weg für den Rest seines Lebens.
Und jetzt bin ich mal gespannt wann diejenigen hier anfangen zu kommentieren die „ALLES“ über Depressionen und Selbstmord „BESSER WISSEN“.
-grusel-
B. A.
Tom, der arme Mensch ist auf der Suche, vermutlich weiss er gar nich genau, wonach, aber er hat einen Anhaltspunkt: die Reste der Leiche, die wahrscheinlich in tausenden von Stücken zerfetzt vorliegt und die – Du schriebst es schon – sicherlich nicht vollständig im Sarg liegen wird (auch die Natur hat sich ihr Teil geholt)
und für Friedhofspersonal sollte man wiederkehrende Seminare in Sensibilität einführen – die sollen doch nicht nur ein paar Handvoll Erde umgraben!
Der 5/83 fährt X-Strasse dortiger Bahndamm POL erwartet euch. Mensch auf 500 Metern, seht mal was ihr machen könnt.
Leitstellendisponenten sind oft nicht feinfühlig.
Der hilft jetzt aber nicht mit puzzlen, oder?
Passend dazu ein neulich ausgestrahlte Sendung: http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=7178762
So wie ich Tom inzwischen ‚kenne‘, wird der Lokführer vielleicht mit einem etwas leichteren Herzen nach Hause zurück kehren. Ich bin gespannt.
Grüße.
P.S.: Vielen Dank an alle, die von hier mal bei mir reingeschaut haben. Leider passt mein Blog vermutlich nicht ins „Beuteschema“ der meisten Leser hier…^__-
Und ich war schon fertig wie ich die Katze mit dem Zug erwischt habe.
Aber wenn ein Tier, Mensch, Auto,… auf der Strecke steht hast du normalerweise kein Chance mehr. Bremsen und dann bist du nur noch Beifahrer.
Wichtig ist es immer wieder daran zu denken, das du als Lokführer nicht schuld bist. Aber leichter gesagt wie getan.
ja, Hab, und der sieht sich auch noch an!
allein der Blickkontakt bleibt ewig.
Glückauf – sind Disponenten eigentlich auch gediente RDler? Weil nach allem, was man so hört, ja RD und Feuerwehr über kurz oder lang so ziemlich alle einen sehr schwarzen Humor entwickeln. Was ich gut nachvollziehen kann, irgendwie muss man mit den unschönen Erlebnissen ja fertig werden. Aber wenn ich das richtig interpretiere mit der 83, ist es wenigstens ein RTW und keine arme KTW-Besatzung – RTWler dürften eher schlimme Situationen ‚gewöhnt‘ sein als letztere. Und eines muss man dem Disponenten lassen – böse überrascht dürfte die Besatzung wenigstens nicht werden, „VU Schiene“ o.ä. ist doch etwas unaussagekräftig.
Habe mal als Teenager in der Berliner U-Bahn einen Selbstmöder getroffen. Er machte während der Fahrt die Türen auf und hielt den Kopf raus, keine schöne Sache der zusammenprall mit dem Pfosten dann. 🙁
Ein anderer war der Meinung vor den Zug zu springen vom Bahnsteig aus, kein schöner Anblick aber dennoch weniger Blut als bei dem ersten. Der Bahnhof war dann ersteinmal gesperrt gewesen so lange bis auch der kleinste Finger noch gefunden war im Gleisbett.
Auch unbeteiligte/ungewollte Zuschauer lässt so ein Bild nicht los.
Als ich dann vor Jahren meinen damaligen Partner Tot in der Wohnung fand war meine erste Reaktion „Du Idiot…“ und dann setzte ich mich neben ihn hin und wartete stumm die Stunden bis er abgeholt wurde.
@Gray: Auf allen mir bekannten Leitstellen sitzen entweder „untaugliche“ Rettungsdienstler, also die wo nicht mehr „fahren“ können oder es wird „durchgemischt“, z.B. 3 Wochen Leitstelle, 1 Woche Fahrdienst. Genauso sagt es nichts aus ob ein KTW oder RTW hinfährt. Viele RD-Breiche wechseln auch da durch, also mal RTW, mal KTW, klar können theoretisch auch zwei Zivis/FSJ’ler auf dem KTW sein, genauso gut aber auf dem RTW auch der blutjunge Praktikant….
Man beachte die regionalen Unterschiede weil „is ja Ländersache“ und einige haben ILS. (Integrierte Leitstellen) Da macht das dann der Florian mit.
Na ja, ich habe auch mal mit der U-Bahn eine Frau totgefahren(heißt da so). Vielleicht braucht er einfach jemanden, der ihm nur zuhört. Ohne gleich zu sagen „Du hast Dir nichts vorzuwerfen, mach Dir keine Gedanken.“ Hilft nicht immer. Da hat jeder seine eigene Art, damit umzugehen.
„schön“ finde ich ja den Euphemismus der Bahndurchsagen: „…durch einen Personenschaden auf der Strecke…“
na ja, simop, was sollen die denn anderes sagen? Schliesslich muss es ja nicht gleich ein Toter sein.
.. und soll die Bahn unbedingt selbst Negativ-Werbung machen – zumal sie ja (ausnahmsweise) nichts dafür kann?
Bestimmt will er sich die Leiche nochmals ansehen …
simop, heutzutage heißt das nicht mehr „Personenschaden“, sondern „Bahnbetriebsstörung“.
In einem mir bekannten Fall von Schienensuizid wollten die Hinterbliebenen mit dem Lokführer Kontakt aufnehmen wenn er dies wünschte. Sie haben bei der DB angerufen. Ob die DB dies weitergeben hat oder ob der Lokführer das Gespräch nicht wollte blieb unklar, da man nie mehr etwas hörte.
@19: Die Anfrage wird in den unergründlichen Tiefen der Bahnverwaltung hängengeblieben sein – eine Rückmeldung ist da wahrlich zu viel verlangt.