Geschichten

Herr Westfal -IV-

„Der Chef ist doch ’ne arme Sau. Wir haben unten im Keller den Herrn Westfal, der sieht zwar schlimm aus, aber wenigstens ist das keine offene Aufbahrung. Aber der hat jetzt den Lokführer da sitzen und muß mal wieder Psychologe und Seelsorger sein. DAS sieht kein Mensch, DAS will nie einer wissen, aber nee, der Bestatter ist ja bloß immer derjenige, der überteuerte Kisten verkauft. Was unser Beruf oft noch so für Seiten hat, das will keiner wissen“, mault Sandy und Frau Büser meint dazu:
„Das weiß ja auch keiner. Guck mal, bei uns läuft alles so diskret wie in einer Schweizer Bank ab und wir verkaufen, nebenbei bemerkt, noch nicht einmal unsere Kundendaten auf CD an die Finanzbehörden. Kein Mensch hat doch eine Ahnung davon, was so ein Bestatter alles macht. Das sind die Bestatter doch selbst schuld, sie müssten mehr zusammenhalten und sich nach außen hin besser darstellen.“

„Es gibt ja diese Verbände“, wirft Sandy ein, „aber was die machen, das kannste ja in der Pfeife rauchen. Das ist doch bloß ein eifersüchtiges Gehacke, wer da zu welchem Verband gehört und wer nicht und am Ende geht es nur darum, sich seine Pfründe zu sichern.“

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Während sich die Frauen im Büro unterhalten, sitze ich mit Klaus, dem Eisenbahner, vorne in der Halle auf der bequemen Ledergarnitur. Da sitzt man auch recht gemütlich und bequem.
Es war gar nicht so einfach, die Akustik in der Eingangshalle so hin zu bekommen. Einerseits wollte ich, daß es schon noch wie Halle klingt und andererseits sollte besonders die Sitzecke mit den vielen Grünpflanzen und dem inzwischen verstorbenen Chamäleon Suse, eine echofreie Zone sein.
Unser Schreiner hat das sehr gut gelöst, ein Schallschluck-Element steht als schmale Wand neben der Garnitur und über dem Tisch gibt es eine abgehängte Platte an der Decke, in der die Lampen untergebracht sind. Das alles, zusammen mit den Pflanzen, verhindert, daß es zu sehr schallt.

Aber man gebe sich nicht der Illusion hin, daß man irgendwo im Haus ein Wort wechseln könnte, ohne daß Sandy, Antonia, Nadine oder Frau Büser etwas davon mitbekommen würden.
Das geht irgendwie telepathisch…

Klaus ist jetzt nicht der Mann, der jammert und er ist auch keiner, der da irgendetwas stumm in sich hinein frisst. Er will einfach reden, er will begreifen, was einen Menschen dazu bringt, sich auf die Gleise zu stellen. „Kapieren die denn nicht, daß da ein Mensch am Hebel sitzt und das miterleben muß?“

Er erzählt mir, was unter Lokführern so an Erfahrungsberichten ausgetauscht wird. Da gibt sich jeder cool und verständnisvoll zugleich. Sie alle wissen, daß das statistisch gesehen jedem soundso oft passiert und doch gibt es welche, denen es noch nie passiert ist und andere, die es jedes Jahr trifft.

Als Bestatter hast Du häufiger damit zu tun. Wenn Du Polizeidienst hast, also die Leichen von Verbrechens- oder Unfallopfern bergen und überführen mußt, und dann noch eine Strecke in Deinem Bereitschaftsbereich hast, die bei den entsprechenden Herrschaften besonders beliebt ist, dann siehst Du mehr Bahntote, als es sich ein einzelner Lokführer ausmalen kann.

Klar, jeder Verstorbene tut einem irgendwie leid. Man kann nicht für jeden einzelnen das große Fass mit den Gefühlen aufmachen, sonst würde man ja an seinem Beruf zugrunde gehen, aber mit doch so manchem hat man regelrecht Mitleid, da tut es einem leid, daß sie so früh gehen mußten, da fühlt man mit den Angehörigen, da investiert man auch Emotionen.
Bei manchen ist das aber anders. Ich kann das schlecht beschreiben.
Nehmen wir unseren Herrn Westfal, den ich ja zudem auch noch lebendigerweise gekannt habe. Natürlich tut mir der Mann leid und ich habe viel Mitgefühl für ihn, daß er so krank war, daß ihm letztlich kein anderer Ausweg eingefallen ist, als sich vor einen Zug zu stellen.
Was muß in diesen Menschen für eine düstere Verzweiflung herrschen… Das macht doch keiner mal eben so, weil’s Spaß macht.

Aber auf der anderen Seite ist man fast schon ein bißchen böse auf diese Leute. Kann das jemand verstehen? Bei aller Professionalität, Routine und Empathie denkt man irgendwie dann doch, ob es hat unbedingt sein müssen, daß uns dieser Kandidat so viel Mühe und Arbeit macht.
Die Mühe und die Arbeit an sich scheut man nicht, aber diese speziellen Fälle sind einfach für jeden Betroffenen, der bei den Aufräumarbeiten dabei ist, sehr belastend.
Am Zug entlang bis mehrere hundert Meter dahinter müssen oft im Licht notdürftig aufgestellter Lampen und nicht selten nur mit Taschenlampen die Übrigsbleibsel dieser Leiche zusammengesucht werden. Die Bremsen des Zuges sind heiß, die daran klebenden Teile verbreiten weithin einen Geruch wie gegrilltes Hähnchen.
Hattest Du neulich mal wieder so einen Fall, dann kann Dir kein Hühnerfred der Welt einen Grillhahn verkaufen, bestimmt 3-4 Monate nicht.
Da wo der Zug steht, da ist ja meist nicht viel. Das sind schon ein paar hundert Meter, die man da absuchen muß, weit hinter dem Zug, unter dem Zug, an den Gestängen, Achsen und Kästen des Zuges.

Polizei und Feuerwehr, sowie Bahnbedienstete helfen dem Bestatter, aber am Ende steht der in seinem fast schon klinischen Behandlungsraum inmitten ganzer Batterien von Mittelchen und Apparaturen, die Zehntausende gekostet haben und deren einziger Zweck es ist, den Angehörigen einen anständig aussehenden Verstorbenen präsentieren zu können.
Und jetzt hast Du nur sechs blaue Säcke, in die man sonst Küchenabfälle oder Laub oder Kehricht einfüllt, nur das in diesen Säcken Teile eines Menschen sind. Vieles kann man gar nicht mehr identifizieren, man kann weder erkennen, ob es sich um Stücke des Torsos oder eines Beines handelt. Und dann mitten drin sind die Fragmente, die noch deutlich zu erkennen sind, ein Fuß in einem Schuh, ein Unterarm mit Hand…
Dann kommen Dir die vielen Praktikanten in den Sinn, die von ihrer Lehrerin geschickt worden sind, weil Bestatter ein toller Beruf sei, bei dem man viel verdienen kann, ganz einfach…

Ganz einfach?
So etwas kann Dir kein Mensch auf der Welt bezahlen, so etwas nicht.

Und dann hast Du als Chef eines solchen Unternehmens Leute wie Manni, den alten Huber -der ja immer noch immer mal wieder kommt- und Sandy.
Die machen das, die helfen Dir und gemeinsam, schweigend, ohne viel Tamtam „haut man die Leiche in die Kiste“, versucht alles so anständig wie möglich in den Sarg zu bekommen. Nein, man sortiert da nichts, man legt da nichts schön hin, man ist schon froh, wenn man alles aus den Säcken in den Sarg bekommen hat.

Die Witwe hat einen Anzug gebracht. Wir nehmen den an, nicken und versprechen, unser Bestes zu tun. Doch am Ende liegt der Anzug leer einfach nur oben auf dem was einmal Herr Westfal war.
Etwas Desinfektionsflüssigkeit soll verhindern, daß der Leichnam aufgrund der vielen offenen Stellen zu schnell Gerüche entwickelt. Dann kommt der Deckel drauf.

Wenn man sich dann wäscht und die grüne OP-Kleidung wieder ablegt, mit dem Aufzug nach oben fährt und wieder in Räume kommt, in denen normales Mobiliar steht und in denen lebende Menschen agieren, dann ist das ungefähr so, als wenn man nach dem Anschauen eines sehr intensiven Gruselschockers aus dem Kino herauskommt und durch die lauten Straßen einer pulsierenden Stadt geht.

Ja und dann sitzt in der Halle der Lokomotivführer und will reden.
Er hat den Mann nur lebend gesehen, wie er da auf den Schienen stand und ihn anblickte. Wieviele Millisekunden kann der Lokführer ihn gesehen haben, bis es jenen charakteristischen dumpfen Schlag gegeben hat?

Ich rede mit Klaus, erzähle ihm, wie krank Herr Westfal war und versuche Klaus so gut zu beruhigen wie es eben geht. Was soll man da sagen?
Wir trinken Kaffee und irgendwann wird mir das alles zu lang. Klaus ist schon fast zwei Stunden da und das Gespräch dreht sich im Kreis. Wegschicken will ich ihn auch nicht, weiß aber auch nicht, was er jetzt noch will.
„Verstehen will ich das! Ich krieg das nicht in die Birne, wie sich jemand einfach auf die Gleise stellen kann. Wenn sich einer auf die Schienen legt, okay… Aber sich hinstellen und den Lokführer noch anzuschauen… Warum macht das jemand? Der macht in diesem Moment doch auch mich kaputt.“

Nach zweieinhalb Stunden geht Klaus.
Als er weg ist, mache ich mir Vorwürfe. Der Mann war die ganze Nacht durchgefahren, hatte vorher schon wer weiß wie lange Dienst gehabt, dann knapp drei Stunden bei uns und jetzt?
Ich laufe hinterher, doch auf der Straße sehe ich ihn nicht mehr. Ich schaue in die Autos, ob er in einem davon sitzt, aber weit und breit ist nichts von Klaus zu sehen.
Ich hätte ihm anbieten können, sich irgendwo bei uns hinzulegen und auszuruhen…

Man macht nicht immer alles richtig.

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(©si)