Fundstücke

Heute werden meine Großeltern umgebettet…

sarg umbetten ki

Als langjähriger Blogleser möchte Josef Knecht auch mal was „zurückschreiben“. Er hat vor längerer Zeit auf Reddit einen Beitrag zum Thema Umbettung verfasst.

Er schreibt mir: „Das Thema wären wir (meine Mutter und ich) nie angegangen, wenn ich nicht aus dem Blog gewusst hätte, dass das mit einer Umbettung nach der Ruhezeit eventuell funktionieren kann, das man vor allem einen Gedenkort benötigt und ich durch den Blog etwas Scheu verloren hätte.
Das dann doch alles anders kam, nunja, drum habe ich das geschrieben. In den Kommentaren hat sich auch ein Bestatter zu Wort gemeldet, war eine nette, vernünftige Diskussion. Den Link zur Reddit-Diskussion stelle ich ganz unten mit ein. Hier mein Text:

Heute werden meine Großeltern umgebettet…

Kleine Triggerwarnung vorneweg, es geht um Tod und ein paar der Sachen, die danach so mit einem passieren (können). Ein klitzekleinwenig Tirade könnte auch dabei sein, aber echt nicht viel, versprochen.

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Ich will nur ein paar Sachen erzählen, wie es dazu kam und was gerade heute noch passiert ist. Wird etwas länger, anders geht es aber nicht so richtig, wäre vielleicht auch geschmacklos.

Hintergrund: Meine Großeltern sind vor 30 bzw. 40 Jahren gestorben, beide dort beerdigt, wo sie zuletzt eine Wohnung hatten. Sie hatten drei Töchter, eine davon meiner Mutter.

Warum schreibe ich so vorsichtig: „zuletzt eine Wohnung hatten“?
Meine Großeltern kommen aus Oberschlesien, meine Großmutter musste zum ersten Mal fliehen, als Teile Oberschlesiens 1922 an Polen abgetreten werden musste. Sie musste dann 1945 fliehen, also die Russen kamen. Während des Stalinismus noch zweimal „umgesiedelt“. Nach dem Tod Stalins konnten beide dann nach Westdeutschland fliehen. Dann noch als Ost-Flüchtlinge in Deutschland nicht besonders beliebt und hin- und hergeschoben und dann irgendwann in den 60er langsam angekommen. Die Töchter haben geheiratet und sich in alle Winde verstreut. Nach dem Tod meines Opas wurde er natürlich auf dem nächstgelegenen Friedhof beerdigt, meine Oma wollte natürlich das Grab pflegen. Dann hatte meine Oma noch ein paar schöne Jahre, bevor die Demenz sie langsam hat verblassen lassen, am Schluss kam sie in ein Heim hier bei meiner Mutter in der Nähe. Beerdigt dann bei ihrem Mann, meinem Opa. Soweit alles ganz normal für diese Generation.

Die letzten 30 Jahre: Die drei Schwestern haben sich die Grabpflege aufgeteilt, alles ganz vernünftig und harmonisch. Regelmäßig an Geburtstagen, Allerheiligen etc. wurde das Grab besucht. Die Töchter sind auch inzwischen alle über 80, also nicht mehr die Jüngsten. Natürlich wurde alles im Laufe der Jahren anstrengender…

Die Stimmung kippt: Dieses Jahr wurde klar, dass die Grabnutzung verlängert werden muss. Und plötzlich war alles etwas anders. Plötzlich wollten zwei der Schwestern das Grab platt machen lassen. „Da fährt doch niemand mehr hin“ (Ok, ich war 2021 öfter bei Oma und Opa als Schwester 2) „Was bringt das noch?“, „Das kostet ja soviel?“, „Die Kinder sagen auch, das ist zu anstrengend“, „Ist doch nichts mehr da“, usw. Meiner Mama hingegen war der Gedanke, ihr Eltern „einebnen“ zu lassen nicht so ganz recht (höflich formuliert) und ich steh da voll hinter ihr. Was tun? Nun, eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Wir zahlen das Grab alleine weiter oder wir betten die Gebeine um und pflegen hier bei uns neben dem Grab, wo mein Vater liegt, ein zweites Grab. Wir entschiedenen uns, eine Umbettung zu versuchen, wenn es nicht klappt, dann übernehmen wir halt die Pflege alleine.

Warum Umbettung? Wirklich nur praktische Gründe. Wir schaffen einen Erinnerungsort, der wahrscheinlich länger Bestand hat, wo wir (Meine Mutter, ich mit Frau und meine Kinder) häufiger vorbeikommen können und den meine Mama auch noch länger pflegen kann (Sie noch sehr rüstig, gibt ihr Büro auch erst nächstes Jahr auf, aber eben schon über 80).

Was ist eine Umbettung? Normalerweise sehen Friedhöfe Umbettungen nicht besonders gerne, es sollte ja die Totenruhe gewahrt bleiben, verständlich. Aber nach so langer Zeit wird das regelmäßig wieder etwas lockerer gesehen, die Toten sind ja vergangen, es gibt allenfalls noch einige Knochen, die werden geborgen und dann ohne Zeremonie am anderen Friedhof in einer kleinen Kiste beigesetzt werden. Wenn nichts mehr vorhanden ist, dann halt nur noch einige Schaufeln voll Erde. Alles eher symbolisch. Angehörige dürfen bei der Graböffnung nicht dabei sein und sollten auch nicht bei der Wiederbeerdigung dabei sein. Wird aus praktischen Gründen irgendwann im Winter gemacht und zwischen Öffnung und Neubeerdigung können wohl auch viele Wochen liegen. Wie gesagt, alles eher symbolisch. Wir sind da völlig klar damit.

Ein Hoch auf die deutsche Bürokratie! Natürlich geht das dann doch nicht ganz so einfach. Ohne Passierschein A38 geht ja erstmal gar nichts. Genehmigung der Schwestern, dass die da einverstanden sind, natürlich nur auf Papier. Erreichbarkeit der Ansprechpartner, „Frau XY ist im Homeoffice, die können sie nicht erreichen“, usw. Verwaltung at it’s best. Soweit alles ganz normaler Wahnsinn. Interessant wurde es, als es zu Teufelskreisen kam, wir waren kurz davor das Ganze aus Verzweiflung abzubrechen. Beispiele:

Der Friedhof, wo meine Großeltern aktuell liegen, entscheidet den Antrag erst, wenn der Friedhof, wo sie hin sollen bestätigt, dass sie dort beerdigt werden könne, verständlich. Aber der Friedhof, wo sie hin sollen, bestätigt das natürlich erst, wenn wir ein Grab kaufen, irgendwo auch verständlich. Natürlich können wir ein Grab erst kaufen, wenn wir die Zusagen des ursprünglichen Friedhofs haben, dass sie umgebettet werden können. Hallo Teufelskreis 1…

Der Grabstein soll natürlich umgezogen werden; irgendwo ja das sichtbare Zeichnen für den Erinnerungsort, also ohne den macht die Sache ja nicht so richtig Sinn, oder? Er ist also quasi fast das Wichtigste. Ob der am neuen Friedhof aber aufgestellt werden kann, entscheidet das Amt erst nach der Beerdigung. Die es erst geben kann, wenn die Teufelskreis 1 erledigt ist. Natürlich müssen wir für den Antrag der Umbettung angeben, wer den Stein abbaut und umzieht. Die Steinmetze bestätigen das aber nur, wenn sicher ist, dass der Stein umgezogen werden darf (sonst ist das ja unnötige Arbeit, wir haben genug zu tun). Teufelskreis 2…

Das Beerdigungsunternehmen, dass die Umbettung vornimmt (ist vom ursprünglichen Friedhof festgelegt, wer das machen darf) will wissen, in welches Grab umgebettet werden soll (kennen wir eigentlich noch nicht, siehe Teufelskreis 1). Erst dann können sie den Auftrag bestätigen. Die Bestätigung ist notwendig, um die Umbettung zu genehmigen, was die Voraussetzung für das neue Grab ist. Arrgh….

Und wenn Ihr glaubt, dass man einfach mal alle Parteien in einer Telko zusammenbringen könnte, NEIN, niemals. „Wir haben unsere Vorschriften“. WENN EURE ACH SO VERDAMMT WICHTIGEN VORSCHRIFTEN SICH WIDERSPRECHEN; DANN IST DAS MEIN PROBLEM, ODER WAS? WENN ICH DEN SCHEISS NOCHMAL HÖRE, BRAUCHEN WIR GLEICH NOCH EIN GRAB MEHR!!! Und nicht für mich, obwohl ich da auch bald einen Herzinfarkt bekomme!!!

Ein halbes Jahr später: Die Zeit wird langsam knapp, die Nutzungsrecht laufen Ende des Jahres ab. Aber Heureka, wir haben es entwirren können. Danke an die wirklich nette Mitarbeiterin des Beerdigungsunternehmen („Der Herr Sowieso aus der Verwaltung? Der ist ein XXX, der hat sowas noch nicht gemacht und versteht das nicht..:“) und ein herzhaftes „F*** Dich“ an die Tussi des neuen Friedhofs (Hat nichts mit der ganzen Sache zu tun, aber kommt zum Gespräch zur Grabauswahl einfach so dazu, um ein „Also ich hätte sowas ja nicht genehmigt“ abzusondern. Dich hat keiner gefragt, ok? Und Euer Saftladen hat es uns schon extra schwer und belastend gemacht? Und ich könnte kotzen, bei dem Gedanken, dass ihr auch mich mal „verwaltet“, wenn ich da mal beerdigt werde). Das Ganze war echt ein bürokratischer Psychoterror.

Vor ein paar Wochen: Die entscheidenden Briefe liegen vor! Alles wird klappen! Wir haben gezahlt wie die Weltmeister! Wir bekommen unseren Erinnerungsort hier! Mit dem Grabstein und eben einer Handvoll Erde und vielleicht ein paar Knochensplitter. Und die Nachricht, wann die Gebeine entnommen werden sollen. Und zwar heute. Und im Frühjahr haben wir dann wieder ein Grab, mit allem.

Heute: Anruf um 9:00, das Grab ist geöffnet. Offensichtlich die erste Graböffnung in diesem „neuen, erst 40 Jahre alten“ Teil des Friedhofs. Offensichtlich wusste keiner, was das für ein Untergrund ist (Lehm, feucht, sauerstofffrei). Beide Särge sind fast unversehrt, beide Körper sind fast unversehrt, selbst das Blumenbukett auf dem Sarg ist noch erhalten. Ooops… Nix mit „die verbleibenden Knochenreste entnehmen“, wir haben jetzt zwei Körper. Jetzt muss alles schnell gehen.

Ergebnis: Das Beerdigungsunternehmen hat uns jetzt zwei Särge organisiert, gerade werden Oma und Opa hierhergefahren und morgen früh werden sie wieder, dieses Mal endgültig, beerdigt.

Fazit: Die Bürokratie hat uns alles so schwer wie möglich gemacht. Aber so, wie die Situation jetzt ist, finde ich es eigentlich gut. Wir müssen uns nicht mehr an den Begriff „Erinnerungsort“ klammern. Meine Großeltern sind ganz da. Wenn man esoterisch veranlagt ist, könnte man sagen, sie waren dort wohl noch nicht bereit, die letzte Ruhe zu finden. Jetzt endlich ein Grab, in dem sie nicht mehr rausmüssen.

Oma, Opa, ich verspreche Euch: Ab morgen habt Ihr Ruhe! Keine Flucht mehr! Und solange ich lebe, sorge ich dafür, dass das so bleibt.

PS: Bitte keine Diskussionen, ob die Umbettung sinnvoll ist. Wir haben das so für unseren Fall entscheiden, für uns war es sinnvoll. Und wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht.

https://www.reddit.com/r/de/comments/z71zku/heute_werden_meine_gro%C3%9Feltern_umgebettet/

Bildquellen:
  • sarg-umbetten-ki: Peter Wilhelm ki


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Hier erscheinen auch Meldungen aus der Presse und dem Internet, auf die mich meine Leserinnen und Leser hingewiesen haben.

Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden | Gast Autor: © 7. Mai 2024

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2 Kommentare
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Henning
7 Monate zuvor

Mal ganz abgesehen von dem, was ich von einer solchen Umbettung halte (nach 40 Jahren, vor allem auch in der Annahme, daß sich quasi „nichts“ mehr im Grab befindet): wenn so ein Grab regulär aufgelöst wird, wird es ja sicher auch nach einer Zeit neu vermietet – was hätten denn die Friedhofsbetreiber wohl sparsam geschaut, nach 40+ Jahren hier mehr oder minder mumifizierte Leichname vorzufinden? Und da vermutlich nicht nur diese beiden Grabstätten so beschaffen sind….

Marlies
6 Monate zuvor

Es freut mich, dass die Teufelskreise sich auflösen ließen und die Familie ihren Passierschein A38 bekam, so dass sie sich ihren Wunsch erfüllten konnte. Und auch wenn es Makaber klingt, freut es mich auch zu lesen, dass die Großeltern „nicht bereit waren zu vergehen“. Man könnte wirklich denken, sie haben geduldig darauf gewartet, an den richtigen Ort zu gelangen 😀




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