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Hieroglyphen

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In der letzten Zeit bemühe ich mich, etwas mehr mit der Hand zu schreiben, auch mal ganze deutsche Sätze.
Normalerweise tippe ich alles immer in Windeseile in den Computer und das was ich noch in Schreibschrift erledige, beschränkt sich einzelne Wörter und Satzfragmente.
Formulare in der Firma fülle ich meist in Druckbuchstaben aus, dann können es die anderen wenigstens lesen.

„Chef, Ihre Sauklaue kann wieder kein Mensch lesen!“, lautet ein mehrmals täglich gehörter Vorwurf, den speziell Frau Büser immer wieder vorträgt.

Ich solle mir mal ein Beispiel an Sandy nehmen, die habe so eine tolle saubere Schrift.
Dann behaupte ich immer kühn, das liege vor allem daran, daß amerikanische Kinder zunächst ja auch die saubere Blockschrift lernen und erst dann zur Schreibschrift wechseln, unterschlage dabei aber die Erkenntnis, daß Sandy ja erst mit 8 Jahren nach Amerika ging und da bereits schreiben konnte.

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Nein, Mädchen schreiben -so finde ich- sowieso immer etwas schöner als Jungs und ich bin dann auch noch ein ausgesprochener Vielschreiber, der sich bereits mit 8 Jahren das Schreibmaschineschreiben selbst beigebracht hat und, in einer für ausgebildete Tastaturkünstler ausgesprochen unorthodoxen bis apokryph-kreativen Art, sehr schnell in die Tasten haut. Meine Schreibschrift ist akademisch verschlankt könnte man sagen. Ich jedenfalls kann sie lesen und darauf kommt es in den meisten Fällen an.

„Was bedeutet denn dieser Vermerk hier?“, will die Büser wissen und wedelt mir mit einem gelben Blatt vor der Nase herum.

„Na, das ist doch ganz einfach“, sage ich und lege eine übertrieben herausklingende, fast schon an Müdigkeit erinnernde, Langeweile in meine Stimme, nehme ihr das Blatt ab, um ihr meinen Vermerk vorzulesen. Sie würde dann dastehen, wie eine die nicht lesen kann. Also rücke ich meine Brille zurecht und schaue auf das Blatt.
Es ist vom Steuerberater und liegt für den 8. April auf Wiedervorlage. Da muß also dringend an diesem Tag etwas erledigt werden, soviel ist klar.
Ich gucke auf die Stelle, an der mein handschriftlicher Vermerk ist und da steht: Unbed… Gark….
Ich habe mal wieder nur den Anfang des Wortes halbwegs leserlich hingepinnt und den Rest in einer welligen Linie ausfließen lassen.
Gut, „Unbed…“ bedeutet ‚unbedingt‘, aber was heißt „Gark…“?

Als ich es aufschrieb, wußte ich ganz genau, was es bedeutet und war mir sicher, daß ich mich auch nach hundert Jahren noch daran werde erinnern können.

„Gark…..“???

„Na? Was bedeutet es?“, insistiert Frau Büser.

Ich runzele die Stirn und sage: „Ach so, ja nee, ist klar, ich weiß Bescheid. Ist schon in Ordnung.“
Dann lege ich das Blatt an die Seite, ich kann ja unmöglich zugeben, daß ich meine eigene Schrift nicht lesen kann.

Frau Büser verschränkt die Arme vor der Brust und schiebt die Zunge in die rechte Wange. Wenn sie so dasteht und das mit der Zunge macht, dann bedeutet das, daß eher die Pyramiden umfallen, als daß sie jetzt da weggeht.

„Ist in Ordnung, ich kümmere mich später darum“, sage ich nochmals und nehme ein anderes Blatt und tue so, als müsse ich das jetzt auf der Stelle intensiv lesen.

„Was steht da?“
Die Büser tippt mit dem Fuß, wie nur Frauen mit dem Fuß tippen können.
Bei meiner Frau kann dieses Tippen ganze Botschaften übermitteln. Je nach Aufsetzwinkel des Fußes und Tippfrequenz kann es bedeuten:
„Komm mir bloß nicht zu nahe, Du Mann, sonst beiße ich Dir den Kopf ab!“ bis hin zu „Dieses Geschenk muß ein Mann ausgesucht haben, es erfüllt nicht meine Erwartungen wie kann man so was bloß aussuchen, das paßt zu nichts anderem und sieht nicht im Entferntesten so aus wie etwas, was ich hätte haben wollen.“

Es kann aber auch bedeuten: „Kaufe bitte sechs Schlangengurken, aber nimm die dicken, nicht wieder die schrumpeligen Ökozäpfchen!“

So tippt die Büser also mit dem Fuß und ich muß irgendwas sagen, sonst fällt mir der Himmel auf den Kopf.

„Das ist ein interner Vermerk, wegen dem Steuerberater.“

„Wegen des Steuerberaters.“

„Sage ich doch!“

„Ruhrpöttler!“

„Hamburgerin!“

„Ach, was wissen Sie schon! Sagen Sie mir lieber was da steht.“

„Sagte ich doch gerade.“

„Nein, Sie sagten, daß das wegen des Steuerberaters ist, aber nicht was da genau steht.“

„Da steht ‚Garkifikation‘.“

„Garki.. was? Garkifikation?“

„Ja, das ist so eine Art Gratifikation, nur das man die in ausländischer Währung bezahlt.“

„Ach kommen Sie, das haben Sie sich jetzt ausgedacht!“

„Nö, das gibt es wirklich.“

Die Büser zieht die Augenbrauen hoch, schnappt sich den gelben Zettel, murmelt nochmals spöttisch „Garkifikation“ und geht hinaus.

Natürlich guckt sie bei Wikipedia nach und schnell spricht es sich herum erzählt sie es in der ganzen Firma herum, daß der Chef mal wieder seine eigene Sauklaue nicht hat lesen können und dann sogar noch ein Wort erfunden hat.

Na, der Alten werde ich es zeigen, ‚Die Rache ist mein, sprach der Herr‚!

Schon am nächsten Tag sehe ich, daß die Büser sich auf der Rückseite eines alten Briefumschlages eine Einkaufsliste aufnotiert und dann die Liste in die Tasche ihres Mantels steckt. Vermutlich will sie nach Feierabend noch im Supermarkt vorbei.

Die gute Frau, ob sie noch lesen kann, was sie da geschrieben hat, nachdem ich den Zettel mal kurz in den Fingern hatte?

© 2009 Peter Wilhelm

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