Geschichten

Ich bin eine arbeitsscheue Sau

schwein

Leser Josef teilt seine Erlebnisse mit uns:

Es ist morgens kurz nach neun, da klingelt das Telefon.
Wenn um diese Zeit das Telefon klingelt, heißt das nichts Gutes! Meine Befürchtungen werden bestätigt, es ist meine Sachbearbeiterin von der Arge.
Sie schnarrt gleich ohne Gruß los: „Sie haben ja bei den Abrechnungen für die Bewerbungskosten nur wieder Absagen bekommen! Ich verstehe das nicht, sie sehen doch so gepflegt aus, und stinken tun sie auch nicht! Warum klappt das denn bei Ihnen nicht? Langsam hab ich da so meine Zweifel.“

Ah, ich stinke also nicht! Soll das jetzt ein Kompliment sein, oder was?
Noch bevor ich was erwidern kann, bellt sie in den Hörer, dass sie mir jede Menge Stellenangebote heraus gesucht habe, die sie mir in den nächsten Tagen zu schicken werde.
„Oh, das ist schön, dass sie an mich gedacht haben“, sage ich. Es wird von ihr sogleich nachgelegt: „Denken sie an den halbjährlichen Gesprächstermin, die Einladung kommt dann noch! Und sehen sie zu, dass bis dahin Ergebnisse da sind, sonst wird es bald duster im Karton!“
Nachdem sie mir einen schönen Tag gewünscht hat, ist das liebreizende Telefonat beendet, ich nenne diese Dame nicht umsonst Muräne!

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Sie hat sich in mich verbissen, bombardiert mich mit größtenteils sinnfreien Stellenangeboten, und natürlich bin ich schuld, dass es nicht klappt.
Da sind Firmen dabei, die suchen eine junge Frau, da sind Berufe dabei, die kann ich gar nicht und da sind Stellen dabei, die schon vergeben sind. Manchmal braucht man eine Qualifikation, die ich nicht habe, und manchmal suchen die auch einfach einen 22-jährigen Bachelor. Und Fotomodell oder Konstruktionszeichner bin ich auch nicht. Mit anderen Worten: Die Muräne schiebt mir lauter Stellen zu, das ist wahr Und ich bekomme keinen einzigen von diesen Jobs, das ist auch wahr. Aber sie hat mir auch noch nie einen Job angeboten, der auch nur im Entferntesten meiner Qualifikation, meinem Alter und meinem bisherigen Berufsleben entsprochen hätte.

Für sie ist aber alles klar: Der Mann ist faul und arbeitsscheu. Das läßt sie mich immer wieder spüren.

Ich hingegen bis fast Fuffzich und kann vor allem eins: Bestatter.
Das ist ein Nischenjob, ich weiß. Und ich bin ja auch bereit alles Mögliche zu machen, aber ich bin eben weder Bachelor, noch 22 Jahre alt, noch Fotomodell.
Ich habe Jahrzehnte in derselben Firma gearbeitet, zuverlässig, ohne viel Krankentage und bei Tag und Nacht, bei Nacht und Nebel. Dann bin ich wegen Pleite entlassen worden.
Eingezahlt habe ich immer, ich bin kein Schmarotzer. Ich will gerne wieder arbeiten.
An meiner Situation bin ich völlig schuldlos. Ich kann nichts für die Pleite meiner Firma.
Dennoch behandelt mich diese Dame, als sei ich ein Verbrecher, der aus Heimtücke nichts Besseres zu tun hat, als das Geld der ARGE zu verschleudern. Dieses üppige Geld!

Nach einer gewissen Zeit gewöhnt man sich dran, was bleibt einem anderes übrig?

Ich nehme nun meine Tasche und gehe einkaufen, das lenkt ab.
Nachdem ich bei Feinkost Albrecht und dem Bäcker war, schlage ich nun den Weg zum Drogeriemarkt ein.
Auf dem Weg dorthin muss ich an einer großen Kreuzung auf Grün warten. Da sehe ich aus den Augenwinkeln einen Leichenwagen, der die Kreuzung passieren wird, er ist von dem größten Unternehmer der Stadt.
Zu aktiven Zeiten von meiner Firma war er der größte Konkurrent.
Auf dem Beifahrersitz sitzt ein Bestatterkollege, mit dem ich mich noch nie verstanden habe.
Er hat mich erkannt, und aus dem geöffneten Fenster schreit er: „Hahhh, die Arbeitslosen gehen erstmal schick einkaufen!“.

Da der Wagen wegen des Verkehrs langsamer fahren muss, stimmt er sogleich einen Song an, der aus Fußball-Arenen stammt. Er hat sich sogar die Mühe gemacht, ihn extra für mich um zu texten! Man kennt den Song auch mit dem Text: „Du hast die Haare schön, Du hast die Haare schön!“ Und im Stadion singen sie: „Du kannst nach Hause geh’n…“

Er singt aber quer über die Kreuzung: „Du kannst zur Arge gehen, du kannst zur Arge gehen…“

Den Rest verstehe ich nicht mehr, die Fahrzeugschlange bewegt sich schneller, und der Wagen ist weg.

Außer mir fragen sich noch acht andere Passanten, wer dieser Geistesgestörte aus dem Leichenwagen war.
Ich hatte angestrengt zur Seite geguckt, so wussten sie nicht, wer gemeint war. Endlich gab es Grün für uns, ich hörte einen älteren Herrn referieren: „Also bei Hitler, da gab es keine Arbeitslosen! Die haben alle die Autobahn gebaut!“ Im Weitergehen hörte ich noch Wortfetzen: „Ich war fünfzig Jahre in derselben Firma, nie krank, ich verstehe das alles nicht, wie kann man bloß so asozial sein und arbeitslos werden?“
Ein anderer Rentner sagt: „Arbeitlose sind doch alles arbeitsscheue Säue.“

Der Besuch im Dogeriemarkt tat mir gut, dort arbeitete zu jener Zeit eine liebe ältere Dame, die immer ein paar nette Worte für mich hatte.
Als ich den Bürgersteig wieder betrat, ging es mir ein wenig besser. Ja, man wird bescheiden. Ein paar Worte von einer Verkäuferin hatten mich aufgebaut.

Da stand ich wieder an der Ampel, und wartete auf Grün. Ich guckte nichtsahnend die Straße hoch, und siehe da, derselbe Leichenwagen passierte die Kreuzung.
Dieses Mal saß mein Lieblingskomponist am Steuer. Er hatte jetzt die Melodie eines uralten Schlager von Cindy und Bert umgetextet. „Immer wieder montags ging er zur Arge hin, di bi di di dib, und holt sich die dicke Knete!“

Leider konnte ich den Rest des mir erneut kredenzten Werkes nicht mehr mitkriegen, da sein Hintermann schon hupte.

Ich muss dazu sagen, dass ich diesem Mann nie etwas getan hatte, es war wohl die pure Schadenfreude.
Er selbst ist Quartalssäufer und hatte mal einen schlimmen Absturz, fiel in der Firma ein halbes Jahr aus. Der Inhaber hatte ihm gedroht, beim nächsten Mal wäre er weg. Ich vermute mal, dass sein Gehirn unter dem Alkoholmissbrauch tüchtig gelitten hat. Jedenfalls kann ich mir keinen anderen Grund vorstellen, warum der Mann sich so verhält.

Als ich nach diesem abwechslungsreichen Tag nach Hause kam, kochte ich mir erstmal eine Tasse Kaffee.

So jetzt noch das Telefon daneben, damit man nicht mehr groß aufstehen musste,falls jemand anruft.

Immerhin konnte ich die Tasse in Ruhe leer trinken, bevor das Telefon klingelte.
Bei meinem Glück heute müsste das wieder die Muräne sein, dachte ich, und bekam leider Recht. „In zwei Tagen haben sie ihre Stellenangebote! Da ist auch die Firma XY bei, hier die Telefonnummer. Rufen sie da jetzt schon mal an“, geiferte sie im Befehlston. „Ich habe das Gefühl Herr XY, das ich den Spriegel bei ihnen ein wenig mehr anziehen muss. Ich kriege sie schon weg, da sollen sie mal sehen.“

Nach einem Abschiedsgruß, der sich anhörte als ob sie mit ihren scharfen Zähnen den Hörer zerbeißt, war das Telefonat beendet.
Ich lehnte mich in die bequeme Garnitur zurück, und döste ein. Ich träumte von Muränen mit dicken Fischen im Maul, und alten Männern, die den Führer noch erlebt haben. Sowie von der Hitparade, die es schon lange nicht mehr gab. Es trat ein Künstler im schwarzen Anzug auf, der sagte: „Dieses Lied widme ich meinem lieben Kollegen XY.“

Ich wachte auf, als ich ein Geräusch an der Tür hörte, meine Frau kam von der Arbeit.

Sie fragte mich, ob irgendwas gewesen sei. Ich antwortete nur: „Nöh, ich war nur einkaufen!“

(Eine Geschichte von Leser Josef.)

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    #Arge #Sau #Telefon

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